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Matthias W. Birkwald

Rentenniveau anheben - Mütterrente verbessern

14.03.2014

Rede des Rentenpolitischen Sprechers der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Matthias W. Birkwald, MdB

am 14. März 2014 im Deutschen Bundestag

Beratung zweier Anträge der LINKEN:

„Rentenniveau anheben, Leistungen verbessern und die wesentlichen Ursa­chen für sinkende Renten und Altersarmut bekämpfen“ (BT-Drs. 18/767)

und

„Vollständige Gleichstellung und gerechte Finanzierung der Kindererziehungs­zeiten in der Rente umsetzen - Mütterrente verbessern“ (BT-Drs. 18/765)

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit Mitte Januar gibt es einen Entwurf der Bundesregierung für das Rentenversicherungs-Leis­tungsverbesserungsgesetz. Seitdem wird darüber diskutiert. Manche Menschen glauben sogar, dass das, was drinsteht, schon beschlossen sei. Dem ist aber gar nicht so. Weil es nur und ausschließlich einen Gesetzentwurf der Bundes­regierung gibt, findet die erste Lesung noch nicht einmal im Bundestag statt, sondern im Bundesrat. Und wann? Heute. Weil das so ist und weil wir Linken sagen: „Dieses Rentenpaket muss auch im Deutschen Bundestag diskutiert werden“, haben wir unsere Anträge eingebracht, die wir heute beraten.

Mit diesen Anträgen werden wir Ihnen unsere linken Alternativen dar­stellen. Ich will auch mit Kritik nicht sparen. Damit fange ich einmal an.

Man kann sagen: Ja, es gibt Leistungsverbesserungen, die ersten in der Rente seit 1977. Das will ich durchaus anerkennen. Aber insgesamt muss man schon sagen, dass Ihr Rentenpaket nach dem Motto gestrickt ist: Manches wird besser, aber nichts wird gut. Warum? Das Allerwichtigste, das repariert werden muss, fehlt nämlich in Ihrem Rentenpaket. Das ist der Punkt, dass das Renten­niveau dringend wieder angehoben werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Seit dem Jahr 2000 sinkt das Rentenniveau. Damals lag es noch bei 53 Prozent. Das sicherte den Lebensstandard im Alter. Heute liegt es bei 47,9 Prozent, und, wenn nichts geändert wird - so steht es schon im Gesetz -, wird das Rentenniveau bis auf 43,7 Prozent im Jahr 2030 sinken. Das heißt, alle Ihre schönen Verbesserungen, Frau Staatssekretärin, werden durch das sinkende Rentenniveau, gegen das Sie nichts tun, wieder aufgefressen. Deswegen sage ich: Das Rentenpaket enthält Schritte in die richtige Richtung, aber es ändert nichts an dem zentralen Problem, und das ist falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer im Jahr 2001 eine Rente von 1 000 Euro hatte, wird, wenn sich nichts än­dert, bei einem Rentenbeginn im Jahr 2030 nur 810 Euro Rente bekommen. Das ist das Problem. Deswegen müssen wir eine wirkliche Rentenreform ma­chen. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, reicht nicht.

Der zweite Punkt. Sie haben die Rente ab 63 vorgeschlagen. Dazu sage ich Ihnen: Auch das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber so, wie Sie es vorgeschlagen haben, ist es eine Mogelpackung. Viele Menschen wissen ja überhaupt nicht, dass die Rente ab 63 nach diesem Gesetzentwurf nur für an­derthalb Jahrgänge vorgesehen ist, nämlich für die Menschen, die 1952 gebo­ren sind, sowie für die Menschen, die ab Juli 1951 geboren sind. Für alle ande­ren Menschen gilt die Rente ab 63 nicht. Sie müssen mit mehreren Monaten mehr rechnen. Wenn sie im Jahr 1964 oder später geboren wurden, dann gilt für sie die Rente ab 65. Das ist also eine Mogelpackung. Insgesamt profitieren auch viel zu wenig Menschen davon. Nach den Aussagen der Bundesregierung sind es nur 50 000 zusätzlich. Das reicht nicht.

(Dr. Martin Rosemann (SPD): 200 000!)

Wer 45 Jahre hart gearbeitet hat, hat ein Recht auf eine anständige Rente und auf den Ruhestand.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie diskutieren außerdem allen Ernstes darüber, dass Zeiten der Ar­beitslosigkeit bei der Berechnung der Rente ab 63 nicht zählen sollen. Ja, Sie sagen: Okay, Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I zählen wir dazu, aber Zeiten des Bezugs von Arbeitslosenhilfe respektive Zeiten von Hartz IV zählen wir nicht dazu. Ich frage Sie jetzt: Was ist denn der Unterschied zwischen ei­nem Maurer, der einmal vier Jahre am Stück arbeitslos gewesen ist und dem­zufolge auch Arbeitslosenhilfe- oder Hartz-IV-Zeiten hatte, und einem Maurer, der viermal ein Jahr arbeitslos gewesen ist? Die Lebensleistung ist aus meiner Sicht die gleiche. Deswegen sagen wir Linken: Alle Zeiten der Arbeitslosigkeit müssen bei der Berechnung der Rente ab 63 bzw. ab 65 berücksichtigt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Übrigen ist 63 schon viel zu spät. Es gibt eine neue Studie vom Insti­tut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. In einem Artikel dazu mit der Überschrift: „Vor der Ziellinie ausgebrannt“ steht - ich will Ihnen ein kurzes Zitat nennen -:

Schlechte Karten, bis zur Regelaltersgrenze im ange­stammten Beruf arbeiten zu können, haben demnach Bauarbeiter, was wenig überrascht, zudem aber auch Menschen in Textil- und Bekleidungsberufen, in der Holz- und Kunststoffverarbeitung, Hilfsarbeiter, Polsterer, Ma­schinisten, Warenprüfer, Versandfertigmacher und Ernäh­rungsberufe. Die Mehrheit von ihnen scheidet noch vor dem 60. Geburtstag aus ihrem Beruf aus.

Bauarbeiter sind im Durchschnitt 57,6 Jahre alt, wenn sie aufhören, zu arbeiten, Krankenschwestern 60,9 Jahre. Das zeigt: Selbst diese Berufe haben keine Chance, die Rente ab 63 zu erreichen.

Deswegen sagen wir Linken: Wer 40 Jahre lang gearbeitet hat, soll die Chance haben, ab 60 abschlagsfrei in Rente zu gehen. Das wäre sozial und gerecht.

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Wa­rum so spät? Warum nicht mit 50?)

Das ist ein guter Vorschlag. Was würde seine Umsetzung bedeuten? Es würde bedeuten, dass ein Fliesenleger, der mit 20 Jahren angefangen hat, auf den Knien auf dem Fußboden herumzurutschen, und eine Altenpflegerin, die 40 Jahre lang Patienten geschleppt hat, endlich ab 60 in Rente gehen dürften. Das wäre völlig richtig. Deswegen sagen wir: Wir müssen insgesamt die Rente erst ab 67 wieder abschaffen.

(Dr. Martin Rosemann (SPD): Wer zahlt das?)

Denn alle anderen, die nicht 40 oder 45 Beitragsjahre haben, schaffen noch nicht einmal das. Die Rente erst ab 67 ist eine gigantische Rentenkürzung. Sie zu beseitigen, würde Durchschnittsverdienende nur 7,26 Euro kosten. Ich habe keinen gefunden, der das nicht machen will. Deswegen: Weg mit der Rente erst ab 67!

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt will ich noch etwas zur Mütterrente sagen. Derzeit kriegt eine Frau, die ein Kind vor 1992 geboren hat, für dieses Kind im Westen 28,14 Euro und im Osten 25,74 Euro auf dem Rentenkonto gutgeschrieben. Ich bitte Sie! 25 Jahre nach dem Fall der Mauer sind Kinder auf dem Rentenkonto in Ost und West unterschiedlich viel wert? Das ist absolut nicht akzeptabel. Wir wollen den vollen Satz für alle Kinder, egal ob sie in Köln oder in Leipzig oder in Dresden gebo­ren worden sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:

Kollege Birkwald, Sie müssen zum Schluss kommen.

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Ja, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss und sage noch: Die Mütterrente muss aus Steuermitteln finanziert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und diese darf nicht allein den Beitragszahlerinnen und Beitragszahler übergeholfen werden.

(Beifall des Abg. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­NEN))

Es darf nicht sein, dass die Sprechstundenhilfe für ihren Arzt die Mütterrente finanziert; der ist nämlich im Versorgungswerk.

(Karl Schiewerling (CDU/CSU): Genau!)

Das sagt nicht nur die Linke; das sagen eigentlich fast alle Fachleute. Das Bei­spiel gerade ist vom Präsidenten der Deutschen Rentenversicherung. Hören Sie auf ihn!

Wir brauchen insgesamt eine Rente, von der man leben kann, die vor Altersarmut schützt und den Lebensstandard sichert.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Anschließende Kurzintervention während der Rede der Bundestagsabgeord­neten Dagmar Schmidt (SPD-Fraktion):

dbtg.tv/fvid/3211438

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. ‑ Frau Schmidt, Sie haben eben über die Er­werbsminderungsrente und die von Ihnen vorgeschlagenen Verbesserungen gesprochen. All diese Verbesserungen ‑ das will ich noch einmal sagen ‑ gehen auch aus der Sicht der Linken in die richtige Richtung. Aber ‑ Sie müssen jetzt sehr tapfer sein ‑ die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft überholt Sie da links. Der Kollege Peter Weiß und der Staatssekretär Karl-Josef Laumann, Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, haben ein Papier mit dem Titel „Erwerbsminderungs­rente verbessern“ vorgelegt. Darin schreiben sie:

Mit den geplanten Neuregelungen werden Erwerbsminde­rungsrenten durchschnittlich um monatlich 40,- € angeho­ben. Angesichts der sinkenden Erwerbsminderungsrenten ist dies eine eher bescheidene Korrektur.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Recht haben sie!)

Ich mache das nicht oft, aber ich stimme den Kollegen von der Union in diesem Fall zu. Die beiden machen zwar auch Vorschläge, die ich nicht teile. Aber CDA und Linke haben gemeinsam das Ziel, die Erwerbsminderungsrente so zu verbessern, dass die Menschen etwas davon haben.

Die durchschnittliche Höhe einer vollen Erwerbsminderungsrente lag im Jahr 2012 bei nur 646 Euro. Das bedeutet: Wenn jetzt 40 Euro dazukommen, dann werden viele Erwerbsminderungsrentnerinnen und ‑rentner davon über­haupt nichts haben, sondern dieses Geld wird ihnen bei der Grundsicherung wieder abgezogen. Deswegen sagen wir Linken: Die Abschläge müssen weg. Denn sie betragen im Durchschnitt über 77 Euro, und fast alle Betroffen, über 96 Prozent von ihnen, müssen sie tragen. Wenn die Abschläge abgeschafft würden, dann hätten die Menschen, die ja nicht freiwillig krank geworden sind, auch et­was davon. So muss man aber sagen: Sie sind zu kurz gesprungen. Gut ge­wollt ist noch nicht gut gemacht.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)