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Matthias W. Birkwald

Gefangene in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbeziehen

18.12.2014

Rede von Matthias W. Birkwald MdB

18. Dezember 2014, Tagesordnungspunkt 17

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.

Wiedereingliederung fördern – Gefangene in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbeziehen

Drucksachen 18/2606, 18/2784

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer ein Verbrechen begeht und dafür in Haft muss, sitzt zu Recht im Gefängnis. Der Freiheitsentzug ist seine oder ihre Strafe. Aber die Linke sagt: Eine doppelte Strafe in Form von Altersarmut ist Unrecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Darum wollen wir die Gefangenen in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einbeziehen.

Unser Antrag kommt, Frau Kollegin, kurz vor Weihnachten und damit genau zur richtigen Zeit. Das sieht man in Mecklenburg-Vorpommern auch so. Ich zitiere und bitte insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der Union aufmerksam zuzuhören:

Zu jeder Zeit sollten Menschen die Möglichkeit bekommen, Rentenbeiträge einzuzahlen, um für das Alter vorsorgen zu können. Auch Gefangenen muss eine solche Chance geboten werden. Das betrachte ich als einen Teil des Resozialisierungsgedankens. Wer im Gefängnis an seiner straffreien Zukunft arbeiten kann, dem sollten wir keine Steine in den Weg legen.

Das ist absolut richtig. Wer hat es gesagt?

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Uli Hoeneß!)

Uta-Maria Kuder, CDU, die Justizministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

(Beifall der Abg. Halina Wawzyniak (DIE LINKE))

Sie versprach, das Thema 2015 in die Justizministerkonferenz einzubringen. Gut so!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Strafgefangene während ihrer Zeit im Gefängnis arbeiten und dafür künftig Rentenansprüche erwürben, so wäre das der beste Schutz vor Altersarmut. Im Übrigen gäbe es auch einen wichtigen Grund weniger, erneut straffällig zu werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Justizministerin nannte auch eine interessante Zahl: Mecklenburg-Vorpommern hätte einen Arbeitgeberanteil von nur rund 1,5 Millionen Euro im Jahr zu tragen, wenn es ‑ Zitat ‑ „zu einem Umdenken käme“. 1,5 Millionen Euro, das muss ja wohl drin sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Staatssekretärin, Ihr Ministerium hatte auf Anfrage des ARD-Magazins Kontraste am 30. Oktober 2014 erklären lassen, Ministerin Andrea Nahles begrüße das Vorhaben zwar, aber leider gebe es weiterhin Vorbehalte finanzieller Art der Länder.

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ja!)

Vorbehalte der Länder? Die kann ich bei der CDU-Justizministerin von Mecklenburg-Vorpommern nicht erkennen.

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Da sollte man eine Bundesratsinitiative machen!)

Der bayerische Finanzminister erwartet laut Kontraste 44 Millionen Euro Einnahmen aus der Arbeit in den bayerischen Haftanstalten. 44 Millionen Euro Einnahmen und 0 Cent davon gehen in die Rentenkasse? Das darf nicht so bleiben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In Nordrhein-Westfalen sind es 50 Millionen Euro Einnahmen jährlich, weil die Gefangenen Möbel bauen, Bücher binden oder für renommierte Unternehmen wie Gardena oder Siemens Gartengeräte oder Lampenteile herstellen. Ihr Stundenlohn beträgt gerade einmal 1,50 Euro. Dazu sage ich: Das ist viel zu wenig.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir brauchen endlich ein Umdenken. Gefangene wieder in die Gesellschaft einzugliedern und alles dafür zu tun, dass sie nicht rückfällig werden, darum muss es gehen.

Unser Antrag geht zurück auf eine Petition des Komitees für Grundrechte und Demokratie aus dem Jahr 2011. Diese Petition wurde von über 5 700 Menschen sowie von nahezu allen bundesweit tätigen Organisationen der Gefangenenhilfe unterzeichnet. Der Petitionsausschuss hatte sie im April 2014 an die Bundes- und die Landesregierungen weitergeleitet. Die Reaktion? Null, keine. Dabei hatte vor bereits bald 38 Jahren die Bundesregierung im damals neuen Strafvollzugsgesetz von 1977 vorgesehen, die Gefangenen in die Rentenversicherung einzubeziehen. Nur, Frau Kollegin Hiller-Ohm, das entsprechende Bundesgesetz wurde nie erlassen.

(Zuruf der Abg. Gabriele Hiller-Ohm (SPD))

Das heißt: Erstens. Alle Regierungen verstoßen seit 38 Jahren gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Zweitens. Alle Regierungen verstoßen seit 38 Jahren gegen das Sozialstaatsprinzip. Drittens. Alle Regierungen sind damit seit 38 Jahren für die absehbare Altersarmut von arbeitenden Gefangenen verantwortlich; und diese Altersarmut ist eine nicht zu rechtfertigende Doppelbestrafung.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Und viertens müssen Sie jetzt zum Schluss kommen.

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Das mache ich glatt. ‑ Deshalb fordern wir Linken, die Arbeitspflicht durch ein Recht auf Arbeit zu ersetzen; denn nur wer freiwillig arbeitet, darf in die Rentenkasse einzahlen. Die meisten Strafgefangenen wollen arbeiten, und sie arbeiten gerne. Dann muss aber auch gelten: Wer arbeitet, muss angemessen entlohnt werden, und wer arbeitet, muss Rentenansprüche erwerben dürfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)