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Matthias W. Birkwald

Wir brauchen eine lebensstandardsichernde Rente

18.12.2015
Matthias W. Birkwald, DIE LINKE: Für eine gute, lebensstandardsichernde Rente!

Rede von Matthias W. Birkwald MdB

am 18. Dezember 2015 anlässlich der Beratung des

Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE „Rentenniveau anheben – Für eine gute, lebensstandardsichernde Rente“ (BT-Drs. 18/6878)

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Ich beginne mit einem Zitat: ... – zum Mitschreiben –: Die Rente ist sicher.

(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt ja auch!)

Das sagte der damalige Sozialminister Norbert Blüm, CDU, am 10. Oktober 1997 im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der LINKEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Sozialexperte der SPD, Rudolf Dreßler, antwortete ihm – Zitat –: Wer sich auf das Wort des Bundesministers ... verlässt, hat auf Sand gebaut.

Heute wissen wir: Rudolf Dreßler hatte recht. Das Rentenniveau befindet sich im freien Fall.

Was heißt das? Das Rentenniveau bezeichnet das Verhältnis zwischen einer Standardrente und dem Durchschnittsgehalt der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im selben Jahr. Die für die Berechnung zugrundegelegte Standardrente entspricht der Altersrente eines Durchschnittsverdieners nach 45 Jahren.

Dieses Rentenniveau – offiziell heißt es Sicherungsniveau vor Steuern – lag im Jahr 2000 bei 53 Prozent. Alle Fachleute sind sich einig: Das ist ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau. Und das wird seit 15 Jahren systematisch ruiniert. Gerhard Schröder, SPD, Walter Riester, SPD, und Joschka Fischer, Grüne, haben unter lautem Beifall von CDU und CSU dafür gesorgt, dass das Rentenniveau Schritt für Schritt dramatisch sinkt. Rudolf Dreßler hatte sich das bestimmt anders vorgestellt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Heute liegt das Rentenniveau nur noch bei 47,5 Prozent. Bis zum Jahr 2030 darf es auf bis zu 43 Prozent absinken. Meine Damen und Herren, das war unverantwortlich, ist unverantwortlich und wird unverantwortlich bleiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Was heißt das in Euro? Das heißt: Die Sekretärin aus Köln, die zum Beispiel am 1. Mai 2029 nach 45 Jahren Durchschnittsverdienst in Rente gehen wird, wird jeden Monat rund 245 Euro Rente weniger erhalten, weil die Rentenkaputtreformierer zwei sogenannte Dämpfungsfaktoren in die Rentenanpassungsformel eingebaut haben. Knapp 245 Euro weniger Rente im Monat – das macht rund 2 940 Euro Rente weniger im Jahr. Da Frauen ihre Rente durchschnittlich 21,4 Jahre beziehen, bedeutet das: Fast 63 000 Euro werden dieser Rentnerin durch die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors und des Riester-Faktors im Portemonnaie fehlen. 63 000 Euro Rentenkürzung nach einem harten Berufsleben – das ist sozial ungerecht, völlig inakzeptabel und absolut daneben!

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie behaupten, die drastischen Verluste bei der gesetzlichen Rente könnten die Menschen ja mit privater Altersvorsorge oder einer Betriebsrente ausgleichen. Drei-Säulen-Modell nennen Sie das. Ich sage Ihnen: Die Riester-Rente ist tot, und die betriebliche Altersversorgung ist gefangen in der Niedrigzinsfalle. Schauen Sie doch mal bitte in Ihrem eigenen Rentenversicherungsbericht auf Seite 40 nach. Da träumen Sie nämlich von einem Gesamtversorgungsniveau aus gesetzlicher Rente und Riester-Rente von 51,1 Prozent im Jahr 2029. Das ist maßlos überschätzt, weil Sie immer noch von einer Verzinsung von 4 Prozent ausgehen. Das ist völlig utopisch.

Liebe Koalition, Sie sind mit der Teilprivatisierung der Rente völlig auf dem Holzweg. Darum fordere ich Sie auf: Stoppen Sie die Talfahrt der gesetzlichen Rente! Die Linke sagt deshalb: Für eine gute und lebensstandardsichernde Rente muss das Rentenniveau angehoben werden. Auf 53 Prozent!

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege Weiß, Sie haben laut Handelsblatt vom 2. Dezember gesagt – Zitat –:

Die Rendite der gesetzlichen Rente liege bei drei Prozent. „Da haben kapitalgedeckte Systeme eher Schwierigkeiten, eine solche Rendite darzustellen.“…

(Zuruf von der CDU/CSU: Im Moment ja!)

Richtig, Herr Weiß. Betriebliche und private Vorsorge sind aber meistens kapitalgedeckt. Nur: Warum gehen Sie dann weiter den falschen Weg der beitragsfreien Entgeltumwandlung? Da steht nur Betriebsrente drauf, da ist aber keine Betriebsrente drin. Im Gegenteil: Bei der Entgeltumwandlung zahlen die Versicherten Geld von ihrem Bruttoeinkommen zum Beispiel in eine Direktversicherung ein. Dadurch sinkt ihr Lohn. Und deshalb werden geringere Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt. Die Folge: Wer Entgeltumwandlung macht, kürzt sich selbst die gesetzliche Rente. Und noch schlimmer: Weil die Lohnsumme aller Versicherten dadurch sinkt, wird auch die Rente von allen anderen gekürzt, sogar von denen, die selbst gar keine Entgeltumwandlung machen. Darum sage ich: Schaffen Sie die Entgeltumwandlung ab, und erhöhen Sie stattdessen das Rentenniveau!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Riester und solch schlechte Betriebsrenten sind keine guten Alternativen zur gesetzlichen Rente. Warum kürzen Sie dann das Rentenniveau bis 2030 so dramatisch? Jahr für Jahr bleibt die gesetzliche Rente hinter den Löhnen, dem Wachstum und dem Wohlstand immer mehr zurück. Dabei sollte die Rente genau das Gegenteil leisten, nämlich den im Arbeitsleben erreichten Lebensstandard sichern und die Menschen am Wohlstand, den sie sich erarbeitet haben, auch im Alter teilhaben lassen. Und: Die Rente soll vor Armut schützen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das tut sie aber nicht mehr, weil durchschnittlich Verdienende im Jahr 2030 bereits 31,5 Jahre werden arbeiten müssen, um eine Rente in Höhe der Sozialhilfe zu erhalten. Der durchschnittliche Bedarf der Grundsicherung im Alter liegt übrigens derzeit bei 785 Euro. Das ist nicht armutsfest. Deshalb lassen Sie uns die Notbremse ziehen und umkehren. Die Rente muss wieder den Löhnen folgen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe in der vergangenen Woche Sozialministerin Andrea Nahles gefragt, wie die beiden Kürzungsfaktoren, die Sie in die Rentenanpassungsformel hineingeschrieben haben, denn Jahr für Jahr wirken. Die Antwort der geschätzten Staatssekretärin Lösekrug-Möller war: Zwischen 2003 und 2015 blieben die Rentenerhöhungen wegen des Riester-Faktors um 4,5 Prozentpunkte hinter den Lohnerhöhungen zurück. – Noch erschreckender ist ein Blick in die Zukunft: Zwischen 2016 und 2029 werden es noch mal 7,8 Prozentpunkte sein, die die Renten hinter den Löhnen herhinken werden. Ursache: vor allem der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor. Heißt auf Deutsch: Die Löcher im Geldbeutel der Rentnerinnen und Rentner werden immer größer.

Meine Damen und Herren, den Nachhaltigkeitsfaktor haben Sie ja mal aus Angst vor der demografischen Entwicklung eingeführt. Seien Sie doch nicht so ängstlich. Es gibt doch zurzeit auch gute Entwicklungen. Ich nenne Ihnen vier.

Erstens. Wenn wir es schaffen, die vielen jungen Geflüchteten zügig in den Arbeitsmarkt zu integrieren, werden sie noch Jahrzehnte in die Rentenkasse einzahlen können. Das ist doch gut!

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Der erste richtige Satz!)

Zweitens. Es gibt viele Frauen, die nicht mehr nur Teilzeit arbeiten wollen, sondern Vollzeit.

Drittens. Seit einem Jahr gibt es endlich einen gesetzlichen Mindestlohn. Der ist zwar viel zu niedrig, aber immerhin erhöht er die Rentenansprüche, vor allem im Osten.

(Katja Mast [SPD]: Und du hast nicht zugestimmt!)

– Ich war einer der Ersten, der den gefordert hat. –

(Katja Mast [SPD]: Du hast nicht zugestimmt!)

Aber er ist zu niedrig. Er muss dringend auf 10 Euro angehoben werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre auch ein wichtiger und richtiger Schritt in Richtung einer armutsfesten Rente.

Und viertens werden immer mehr Kinder geboren.

Also: Diese Entwicklungen müssen klug gestaltet und ausgebaut werden. Das wäre viel besser, als weiterhin das Rentenniveau in den Keller zu schicken. Darum fordert DIE LINKE:

Erstens. Der Nachhaltigkeitsfaktor und der Riester-Faktor müssen aus der Rentenanpassungsformel gestrichen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Es wird eine neue Rentenanpassungsformel eingesetzt. Ihr Kern: Die Rente muss wieder den Löhnen folgen, ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Um das Rentenniveau wieder schrittweise auf lebensstandardsichernde 53 Prozent anzuheben, wird ein Rückholfaktor eingeführt.

So, und jetzt fragen Sie alle: Was kostet das?

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Milliarden!)

Wie soll das denn finanziert werden?

Nun, die Einführung einer neuen Rentenanpassungsformel kostet nach unseren Berechnungen 30,31 Milliarden Euro. Der Beitragssatz müsste nur um je 1,18 Prozentpunkte für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen ansteigen. Für durchschnittlich verdienende Beschäftigte wären das 34,40 Euro im Monat – für ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau! Die Riester-Rente wäre dafür dann nicht mehr nötig. Das wäre doch wunderbar!

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das Rentenniveau anzuheben, ist der Kern einer guten Rentenpolitik. Ein höheres Rentenniveau bedeutet höhere Renten für die heutigen Rentnerinnen und Rentner und höhere Renten für die künftigen Rentnerinnen und Rentner. Das ist Generationengerechtigkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein höheres Rentenniveau ist gut für Jung und Alt, es ist gut für Frauen und Männer, gut für Ossis und Wessis und für Schwerbehinderte und Nichtbehinderte. Ein höheres Rentenniveau sortiert nicht ein noch aus. Ein gutes Rentenniveau ist gut für alle.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen diese Wende in der Rentenpolitik. Die gesetzliche Rente muss den Lebensstandard wieder sichern, und niemand soll im Alter von weniger als 1 050 Euro im Monat leben müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege.

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Darum werden wir auch im kommenden Jahr unseren Vorschlag für eine Solidarische Mindestrente neu in die Debatte und den Bundestag einbringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

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Kurzintervention/Zwischenfrage von Matthias W. Birkwald MdB an den Abgeordneten Peter Weiß (CDU/CSU) im weiteren Verlauf der Debatte:

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Weiß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Birkwald?

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Bitte schön. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Gnade! – Heiterkeit)

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Weiß, dass Sie die Frage zulassen. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen keine Angst haben: Wir machen das Seminar im Ausschuss.

(Heiterkeit)

Der Kollege Weiß hat eben erklärt, die Linke habe behauptet, der Nachhaltigkeitsfaktor wirke immer und jederzeit dämpfend. – Dazu stelle ich fest: Das hat die Linke natürlich nicht getan. Wir sind ja nicht doof.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wissen, dass der Nachhaltigkeitsfaktor in manchen Jahren positiv wirkt.

Herr Kollege Weiß, ich habe vorhin schon darauf hingewiesen: Ich habe das Ministerium gefragt, wie sich die Faktoren auswirken. Auf dem mir vorliegenden Papier ist zu sehen, dass der Nachhaltigkeitsfaktor von 2003 bis 2015 nur mit minus 0,18 Prozentpunkten gewirkt hat. Das war in der Tat sehr harmlos. Aber das Ministerium hat mir freundlicherweise auch mitgeteilt, dass diese Entwicklung in Zukunft eben ganz anders aussehen wird. Für den Zeitraum von 2016 bis 2029 steht hier ein Minus von 4,38 Prozentpunkten.

Ich frage Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Nachhaltigkeitsfaktor in den nächsten 14 Jahren dafür sorgen wird, dass massenhaft Rentnerinnen und Rentner deutlich weniger Rente erhalten werden?

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt darauf an!)

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Kollege Birkwald, in Ihrer Rede vorhin haben Sie gesagt, es gebe auch aus Ihrer Sicht positive Entwicklungen. Zum Beispiel würden Sie davon ausgehen, dass die Flüchtlinge, die derzeit zu uns ins Land kommen, alle einmal Rentenbeitragszahlerinnen und -beitragszahler würden. Das haben Sie vorgetragen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn wir das schaffen! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wir müssen dafür arbeiten!)

Das ist richtig. Das ist genau die Wirkung, die ich beschrieben habe. Wenn die Zahl der Menschen, die bei uns in Deutschland Arbeit haben und Beiträge zahlen, in Relation zu der Zahl der Rentnerinnen und Rentner nicht sinkt, sondern steigt, dann ist die Berechnung des Ministeriums nicht mehr richtig; dann korrigiert sie sich ins Gegenteil. Das habe ich vorgetragen.

Das beweist nur, dass eines richtig ist: Der Nachhaltigkeitsfaktor und auch der früher von der CDU und Norbert Blüm vorgeschlagene demografische Faktor haben einen Ausgleich geschaffen zwischen der Generation, die arbeitet und Beiträge zahlt, und der Generation, die im Ruhestand ist und Rente bezieht.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Nicht der demografische Faktor! Der Nachhaltigkeitsfaktor!)

Wenn wir dafür sorgen, wie wir es zurzeit in der glücklichen Situation in Deutschland machen, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zunimmt, dann wirkt der Nachhaltigkeitsfaktor positiv. Das ist das, was ich sagen wollte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Okay!)