Die funke-Mediengruppe befragte den Rentenexperten der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Matthias W. Birkwald, zu den Auswirkungen der Negativ-Zinsen für die Sozial- und Rentenkassen.
Das Interview lesen Sie hier:
Wie bewertet die Linke-Bundestagsfraktion die aktuelle Finanzsituation bei den Sozialversicherungen?
Die finanzielle Lage der Sozialversicherungen ist (noch) sehr positiv. Die Nachhaltigkeitsrücklage der Deutschen Rentenversicherung betrug im Juni 34,3 Milliarden (sic!) Euro und lag damit um vier Milliarden Euro über dem Vorjahreswert. DIE LINKE im Bundestag bewertet deshalb die aktuelle Finanzsituation der Sozialversicherungen zwar als gut, warnt aber davor, zum Beispiel die dringend notwendige Gleichstellung in der sogenannten „Mütterrente“ von vor und nach 1992 geborenen Kindern aus der Rentenkasse zu finanzieren. Dadurch verliert die Rentenversicherung jährlich 10 Milliarden Euro an Beitragsmitteln. Die verbesserte „Mütterrente“ muss aus Steuermitteln bezahlt werden.
(Quelle: https://www.bundesversicherungsamt.de/aufsicht/rentenversicherung/liquiditaet.html)
Zur zweiten Frage: Sind die Zinsverluste der Versicherungen im Verhältnis zu den jeweiligen Beitragseinnahmen zu groß? Müssen sich die Versicherten Sorgen machen?
Nein, ein Verlust von 49 Millionen Euro ist gegenüber Einnahmen aus Pflichtbeiträgen in Höhe von 203 Milliarden Euro im Jahr 2017 (+8,5 Mrd. € gegenüber 2016) kein Grund zur Beunruhigung. Die Versicherten müssen sich momentan keine Sorgen ob der Negativzinsen machen. Negativzinsen auf Reserven der Sozialversicherungen sind allerdings ökonomisch widersinnig. Ich fordere die Bundesregierung auf, dem Bundestag ein Gesetz zur Abschaffung der Negativzinsen für Sozialversicherungen vorzulegen, denn hier geht es nicht um Marktmechanismen und Profitmaximierung sondern um die Organisation des sozialstaatlichen Gemeinwohls.
Zur dritten Frage: Sollte man die Vorschriften für die Anlage der Beitragsgelder verändern, um den Zinsertrag bzw. die Rendite zu steigern? Wie könnte dies geschehen?
Ich rate streng davon ab, die Anlagerichtlinien für Sozialversicherungen zu lockern und Beitragseinnahmen aus der Nachhaltigkeitsrücklage verstärkt in Aktien zu parken. So geht man nicht mit dem Geld um, das zukünftigen Rentnerinnen und Rentnern zu steht. Denn es gibt ja eine positive Kehrseite: Durch die Niedrigzinsphase hat der Bund seit Ausbruch der Finanzkrise 162 Milliarden Euro beim Schuldendienst gespart. Wer also die Rentenfinanzen stabilisieren will, muss endlich gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die sogenannte Mütterente aus Steuermitteln finanzieren. Aber es gilt auch: Mit den Geldern der Sozialversicherungen darf keinesfalls gezockt werden, darum sieht DIE LINKE den Veränderungsbedarf eher bei den Negativzinsen selbst, die für Sozialversicherungen abgeschafft gehören (siehe oben).
Die Berliner Morgenpost berichtet hier darüber.
Die Westfälische Rundschau berichtet hier darüber.
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