Zu Protokoll gegebene Rede vom 15. Oktober 2015
von Matthias W. Birkwald MdB
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richtlinie (BT-Drs. 18/6283)
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Sieben Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger arbeiteten 2013 nicht in ihrem eigenen Land. 1,1 Millionen Beschäftigte pendelten nicht von Köln nach Bonn oder nach Berlin, sondern über Grenzen hinweg. 1,2 Millionen Menschen werden von ihrem Chef befristet ins Ausland entsandt. Europa ist in Bewegung, und das ist gut so. Deshalb begrüßen wir jeden Schritt, der es diesen Pionierinnen und Pionieren in Europa erleichtert, sich frei zu bewegen, in einem anderen Land oder auch grenzüberschreitend zu arbeiten und damit die Idee Europa Tag ein Tag aus mit Leben zu erfüllen.
Bei der Frage von Rentenanwartschaften ist es oft besonders schwierig, sie über die Grenzen hinweg mitzunehmen und am Ende die unterschiedlichen Rentenpunkte, die man mal hier und mal dort gesammelt hat, auch ausgezahlt zu bekommen. Bei Betriebsrenten ist es oft noch schwieriger. Ich danke hier vor allem dem Europäischen Gewerkschaftsbund, der sich dieses Themas schon vor zehn Jahren angenommen hat, in einer Zeit, als man unter Freizügigkeit noch neoliberal verstand, dass sich Konzerne, ohne Steuern zu zahlen, mit Dumpinglöhnen und ohne Sozialstandards im Ausland niederlassen können sollten. Es begann dann eine lange Geschichte des Widerstands der Arbeitgeber, aber auch von Mitgliedstaaten, die alles tun wollten, um ein Recht auf die Übertragbarkeit von Betriebsrenten zu verhindern.
Noch 2007 stimmte die Große Koalition aus Deutschland gegen den Richtlinienentwurf. Sieben dürre Jahre später, im vergangen Jahr, war es dann endlich soweit: Die Mobilitätsrichtlinie erleichtert die Übertragung von Betriebsrenten von einem Job zum nächsten. Betriebsrentenanwartschaften bleiben bei einem Arbeitgeberwechsel grundsätzlich erhalten. Das alles gilt auch bei einem Arbeitgeberwechsel im Inland. Betriebsrenten gelten jetzt nach drei und nicht mehr nach fünf Beschäftigungsjahren als unverfallbar und garantiert. Für diese Garantie wird auch das Mindestalter der Beschäftigten von 25 auf 21 Jahre gesenkt. Kleinstanwartschaften dürfen nicht mehr ohne Zustimmung der Beschäftigten abgefunden werden. Dies gilt allerdings nicht bei einem Wechsel innerhalb Deutschlands. Außerdem wurden die Informationsrechte der Beschäftigten über ihre Betriebsrentenansprüche gestärkt.
Das alles begrüßen wir.
Das hat die Bundesregierung eins zu eins und schnell umgesetzt. Gut so!
Aber lassen Sie mich zum Schluss dieses Gesetzesvorhaben noch in den größeren Kontext einordnen!
László Andor hatte 2014 als amtierender EU-Sozialkommissar, die Mobilitätsrichtlinie begrüßt, da europaweit die Arbeitskräfte immer stärker auf Zusatzrenten und Zusatzpensionen angewiesen seien. Auch Herr Kollege Weiß von der Union hat jüngst im Handelsblatt gewarnt:
Der Handlungsdruck sei immens ... Seit 2009 stagniert die Verbreitung der bAV.
Wenn das so bleibt, müssen wir eines Tages feststellen, dass das Drei-Säulen-Modell der Altersversorgung aus im Niveau sinkender gesetzlicher Rente, Betriebs-und Riester-Rente gescheitert ist.
Ich prophezeie Ihnen:
Weder die richtige Mobilitäts-Richtlinie noch ihr jetzt schon bei Arbeitgebern und Gewerkschaften durchgefallenes Sozialpartnermodell Betriebsrente werden die betriebliche Altersversorgung so attraktiv machen, dass die Lücke, die Sie durch die Senkung des Rentenniveaus in die gesetzliche Rente gerissen haben, ausgeglichen werden wird, ganz zu schweigen vom Totalausfall der Riesterrente. Das Drei-Säulen-Modell ist gescheitert. Stärken Sie endlich die gesetzliche Rente, und heben Sie das Rentenniveaus wieder auf 53 Prozent an!
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