Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die ganz große Koalition aus Union, SPD, Grünen und FDP hat im Jahr 2001 das Niveau der gesetzlichen Rente auf Talfahrt geschickt. Um beinahe 20 Prozent wird die Rente bis 2030 gekürzt werden.
Nun frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was raten Sie den Menschen, wenn Sie gefragt werden, wie man für das Alter vorsorgen soll? Mit der Riester-Rente wohl eher nicht; denn sie ist der totale Flop.
Nein, jetzt soll es die betriebliche Altersvorsorge richten. Sie steht im Koalitionsvertrag. Viel passiert ist da bisher nicht.
Der Kollege Peter Weiß von der Union hat dazu gesagt – ich zitiere aus der FAZ vom 8. September –, er wolle, dass die Arbeitgeber mit Freude und Begeisterung ihren Arbeitnehmern eine betriebliche Altersvorsorge anbieten. Tja, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur, was die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber dann konkret mit Freude anbieten, welche schlechten Angebote sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dann oft machen und zu welchen Konditionen dann etwas angeboten wird: Dazu habe ich von der Koalition bisher noch nichts gehört. Genau das ist das Problem.
Zahlen die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen nämlich nichts dazu, wie das heute leider oft üblich ist, dann ist die betriebliche Altersversorgung ein reines Minusgeschäft. Das sage nicht ich, sondern das sagt Georg Plötz, der Altersvorsorgespezialist der Verbraucherzentrale Bayern. Das betone ich besonders für die CSU-Kolleginnen und -Kollegen im Saal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, wenn Sie die Arbeitgeber aus der Verantwortung und aus der Haftung entlassen, dann kümmern sie sich gar nicht mehr um die Konditionen der Betriebsrenten ihrer Beschäftigten. Schon heute sind Direktversicherungen bei den Chefs am beliebtesten; denn damit hat der Arbeitgeber nicht viel Arbeit. Er oder sie schließt dann zum Beispiel bei der Allianz oder AXA einfach eine Lebensversicherung für die Beschäftigten ab, mehr nicht.
Viele Beschäftigte verstehen gar nicht, was daran noch betriebliche Altersversorgung sein soll. Denn der Arbeitgeber macht gar nichts mehr, gerade bei Direktversicherungen.
Meine Damen und Herren, im März dieses Jahres habe ich mich mit Vertretern des Vereins Direktversicherungsgeschädigte e. V. getroffen. GMG-Geschädigte haben sie sich vorher genannt. 7,6 Millionen solcher Verträge gibt es. GMG, liebe SPD, steht für Ihr Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2004.
(Mechthild Rawert [SPD]: Gutes Gesetz!)
Schade, dass die Kollegin Ulla Schmidt nicht im Saal ist. Sie hat das GMG damals ja mit dem heutigen Ministerpräsidenten Seehofer verhandelt. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen Satz von Herrn Seehofer. „Das war eine der schönsten Nächte meines Lebens“, sagte er.
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das wissen wir noch!)
Für die Betroffenen sollte es aber ein böses Erwachen geben. Sie hatten nämlich bereits Direktversicherungen abgeschlossen und ihre Versicherungsprämien aus verbeitragtem Einkommen gezahlt, also aus ihrem Nettoeinkommen. Und dann beschließt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt aus Geldnot, dass diese Beschäftigten auch bei der Auszahlung im Alter volle Beitrage zur gesetzlichen Krankenversicherung zahlen müssen. Zum zweiten Mal volle Beiträge! Was heißt das? Das sind knapp 20 Prozent; denn die Rentnerin bzw. der Rentner zahlen den Arbeitnehmer- und den Arbeitgeberbeitrag, und dann ist das häufig eine dreifache Belastung. Das nenne ich kalte Enteignung, und das ist extrem ungerecht.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein Beispiel: Giuseppe Burcheri, ein ehemaliger Ford-Mitarbeiter, zahlte während seines Arbeitslebens, und er zahlt im Alter noch einmal. Was zahlt er? Er zahlt den eigenen und den Krankenversicherungsbeitrag des Arbeitgebers für eine sogenannte Betriebsrente. Hätte er eine private Zusatzversicherung abgeschlossen, hätte er aus seiner Zusatzrente gar keinen Krankenversicherungsbeitrag gezahlt, nicht einen Cent. „Hätte ich das damals gewusst, hätte ich die Versicherung nie abgeschlossen“, sagte Giuseppe Burcheri völlig zu Recht. Aber er konnte nicht wissen, was die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eiskalt, rückwirkend, ohne jeglichen Vertrauensschutz und für alle Altverträge beschließen würde. Das hat sie aber. Deshalb musste Peter Weber von seinen 21 874 Euro nun 5 131 Euro an seine Krankenkasse zahlen, so ein Beispiel aus der Wirtschaftswoche von gestern. Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Union, fordere ich Sie auf: Lassen Sie den Menschen endlich Gerechtigkeit widerfahren! Schaffen Sie die Doppelverbeitragung ab!
(Beifall bei der LINKEN)
Legen Sie einen Gesetzentwurf vor, der klipp und klar regelt, dass Sozialversicherungsbeiträge für Betriebsrenten nur einmal abgeführt werden müssen.
Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Birkwald.
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wenn bereits in der Ansparphase Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden, dann dürfen in der Leistungsphase bzw. auf die Kapitalabfindung keine Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge mehr fällig werden. Alles andere ist ungerecht und Garantiert beschissen! Das ist übrigens der Titel eines druckfrischen Buches über den ganz legalen Betrug mit den Lebensversicherungen.
Danke. Schönes Wochenende!
(Beifall bei der LINKEN)
Aktueller denn je: Ausführliches Interview im „Versicherungsboten“ zu allen wichtigen Fragen rund um die gesetzliche und die private Rente
Bundestagsrede in der Orientierungsdebatte am 26. Januar 2022