Wow, kann man da nur sagen: Bis vor zwei Wochen erntete man als LINKER Rentenpolitiker Kopfschütteln, Entrüstung oder Häme. Jetzt wird aus unserem Wahlprogramm eine Forderung nach der anderen bejubelt:
Alle wollen den Sinkflug des Rentenniveaus stoppen, Horst Seehofer will die Riesterrente abwickeln, die Professoren Werding, Rürup, Wagner, die uns immer wieder "vorgerechnet" haben, dass die gesetzliche Rente nicht finanzierbar sei, fordern die Einbeziehung aller Erwerbstätigen in eben diese gesetzliche Rente.
Altersarmut, Minirenten und Riesterbetrug sind wieder Thema in den Talkshows, aber die produzieren ja erstmal nur eins: Viel Gerede und viel heiße Luft.
Nach 15 Jahren Rentenkürzungen
Entscheidend wird sein, wie Union und SPD ihre rentenpolitische Rolle rückwärts nach 15 Jahren Rentenkürzungen jetzt den Menschen erklären.
Erstens müssen sie erklären, warum sie seit 2000 Jahr für Jahr behauptet haben, dass die gesetzliche Rente gekürzt werden muss, um die Sozialausgaben nicht aus dem Ruder laufen zu lassen und die angeblich drohende demographische Zeitbombe zu entschärfen.
Ging es ihnen vielleicht doch nicht ausschließlich um die langfristige Finanzierbarkeit der Rente, sondern ebenfalls darum, die Exportindustrie anzukurbeln und aus ideologischen Gründen auch darum, Unternehmen und Reiche zu entlasten und den Sozialstaat Schritt für Schritt zu demontieren?
Zweitens müssen Union, SPD und Grüne erklären, warum sie 15 Jahre lang die private, kapitalgedeckte Altersvorsorge – kurz: die Riesterrente – propagiert haben, um die von ihnen selbst politisch willkürlich gerissene Lücke in der gesetzlichen Rentenversicherung zu schließen. Dabei war doch schon damals zu erwarten, dass Geringverdienende ihren Lohn zum Leben brauchten und kein Geld für die Beiträge übrig hatten, von denen hohe Provisionen und Gewinne von Banken und Versicherungen finanziert wurden und werden. Auch die Zulagen machten Riester nur bedingt attraktiv, denn erstens kann bis heute niemand einem Riestersparer oder einer Riestersparerin sagen, was im Alter bei Riester hinten rauskommt. Zweitens können auch Geringverdienende rechnen. Wer fünf Euro im Monat in einen Riestervertrag einzahlt, wird auch trotz Zulagen und Zinsen im Alter keine Leistungen erwarten können, die das gesunkene Rentenniveau kompensieren können. Erst recht nicht nach der Finanzkrise und während der lang anhaltenden Niedrigzinsphase.
Riester ist komplett gescheitert. Diesem Eingeständnis und auch der entsprechenden Kampfansage an die Versicherungskonzerne müssten dann drittens konkrete Gesetze folgen, die den falschen rentenpolitischen Kurswechsel der Jahrtausendwende rückgängig machten, aber Ministerin Andrea Nahles, die dafür zuständig wäre, wird jetzt kleinlaut und warnt vor Schnellschüssen. Denn ihr Köcher ist erstaunlich leer.
GroKo – Statt großer Wurf der nächste Rohrkrepierer
Vergangenen Freitag präsentierte sie mit Finanzminister Wolfgang Schäuble zwei Gutachten zur Reform der Betriebsrenten. Das sollte ihr erster großer Wurf werden. Aber man muss das sogenannte Kiesewetter-Gutachten nur bis zur dritten Seite lesen, um den nächsten Rohrkrepierer zu erkennen. Dort steht dann zu lesen:
Die befragten Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen hätten schlicht kein Interesse an betrieblicher Altersversorgung und Geringverdienende hätten einfach kein Geld für noch mehr private Vorsorge und sie vertrauten ihr auch nicht. Warum nur?
Nun, die Beschäftigten schreckt die Doppel- und Dreifachverbeitragung mit Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen ab. Sie wollen auch keine Ausweitung der sogenannten Entgeltumwandlung, weil sie damit ihre gesetzliche Rente selbst kürzten. Das ist meines Erachtens ein klares Plädoyer für eine Stärkung der gesetzlichen Rente anstelle des Ausbaus der betrieblichen Säule.
Die Vorschläge aus dem Hause von Andrea Nahles laufen bisher nur darauf hinaus, die garantierten Leistungen für zukünftige Betriebsrenten zu kürzen, um die Unternehmen in der Niedrigzinsphase zu entlasten. Die Vorsorgelücke im Alter wird also für die Mehrheit der diesen Weg Nutzenden größer und nicht kleiner werden.
Noch düsterer sieht es aus, wenn man den zweiten Baustein einer "großen Rentenreform" genauer betrachtet, die sogenannte "Lebensleistungsrente". Die Union lief bereits Sturm dagegen, obwohl sie langjährigen Beitragszahlenden netto gerade einmal 765,22 Euro im Osten und 813,02 Euro im Westen als "Schutz" bieten würde. Nach dem bisherigen Konzept wird sie im Westen nur 25 Euro und im Osten nur 50 Euro über dem gegenwärtigen regionalen durchschnittlichen Grundsicherungsniveau liegen. Das ist ein schlechter Witz! Teure Mieten oder Heizkosten, ganz zu schweigen von medizinischen Sonderbedarfen, wären damit bei Weitem nicht gedeckt. Bekämpfung von Altersarmut? Fehlanzeige.
DIE LINKE hat ihre Arbeit gemacht
DIE LINKE weiß schon seit Langem, dass an einer echten Stärkung der gesetzlichen Rente und an einer echten Mindestsicherung im Alter kein Weg vorbei führt: Wir sind zur Bundestagswahl 2013 mit einem 11-Punkte-Programm zur Rentenpolitik angetreten und haben in den vergangenen Jahren unsere Arbeit gemacht.
Wir haben zum Beispiel in den Bundestag eingebracht:
Bis zur Sommerpause werden wir unseren ANTRAG "Riester-Förderung in die gesetzliche Rente überführen" aus dem Jahr 2013 aktualisieren und konkretisieren, denn Riestern ist komplett gefloppt – trotz staatlicher Milliardenförderung. Die Zahl der Riesterrenten und der betrieblichen Renten stagniert, die Renditen sinken ins Bodenlose. Gefüllt haben sich nur die Taschen der Versicherungswirtschaft.
Eine lebensstandardsichernde gesetzliche Rente ist finanzierbar
Die jährlich eingesparten drei Milliarden Euro Riester-Förderung könnten sofort in die gesetzliche Rentenversicherung fließen. Wenn die Arbeitgeber*innen ihren gerechten Beitrag leisteten und die Riestermilliarden aller Beteiligten in die gesetzliche Rentenkasse gezahlt werden würden, wäre eine lebensstandardsichernde gesetzliche Rente auch finanzierbar.
Wer echte Teilhabe der Älteren will, muss die Kürzungsfaktoren aus der Rentenanpassungsformel streichen und wieder zu einem Rentenniveau von 53 Prozent zurückkehren, so wie es im Jahr 2001 war, bevor Rot-Grün die Rente ruinierte. Das würde durchschnittlich verdienende Beschäftigte nur 34,34 Euro im Monat kosten.
Wer dann noch zusätzlich vorsorgen will und kann, sollte nicht erst – wie heute möglich – ab 55, sondern vom ersten Arbeitstag an freiwillige Zusatzbeiträge in die gesetzliche Rente auf sein oder ihr persönliches Rentenkonto einzahlen können. Das könnte auch der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin tun. Sie bräuchten sich dann nicht mit der komplizierten Bürokratie der betrieblichen Altersversorgung herumschlagen und hätten nur die Beiträge in die Gesetzliche Rentenversicherung zu zahlen. Alles andere erledigte dann die GRV zu konkurrenzlos niedrigen Verwaltungkosten, für ein ganzes Erwerbsleben und ohne jede Provision oder die Notwendigkeit, für Aktionäre und Aktionärinnen Gewinne zu erwirtschaften.
Für Geringverdienende brauchen wir sofort einen armutsfesten gesetzlichen Mindestlohn von zunächst zehn Euro und sehr schnell dann elf und zwölf Euro. Und es braucht eine echte Solidarische Mindestrente, die ihren Namen verdient. Das Konzept dafür haben wir schon 2012 vorgelegt. Wir werden es im Herbst aktualisieren. Das Ziel ist klar:
Niemand darf heute im Alter von weniger als 1050 Euro netto leben müssen!
Und was tut die Kanzlerin? Noch vor der Bundestagswahl will sie einen neuen Rentenkonsens herstellen und das Thema aus dem Wahlkampf heraushalten. Das lässt Schlimmes befürchten. Noch ein fauler Kompromiss würde würde keine Probleme lösen und Altersarmut nicht bekämpfen. DIE LINKE wird das mit aller Kraft verhindern. Das Rentensystem muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Jetzt.
DIE LINKE ist bereit: Es wird ein heißer Wahlkampf um die Zukunft der Rente werden.
linksfraktion.de, 19. April 2016
Aktueller denn je: Ausführliches Interview im „Versicherungsboten“ zu allen wichtigen Fragen rund um die gesetzliche und die private Rente
Bundestagsrede in der Orientierungsdebatte am 26. Januar 2022