Bis vor wenigen Wochen erntete man als LINKER Rentenpolitiker nur Kopfschütteln. Jetzt wird aus unserem Wahlprogramm eine Forderung nach der anderen bejubelt: Alle wollen den Sinkflug des Rentenniveaus stoppen, Horst Seehofer will die Riesterrente abwickeln, der Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung fordert die Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die gesetzliche Rente.
Entscheidend wird sein, wie Union, SPD und Grüne ihre rentenpolitische Rolle rückwärts begründen, nachdem sie jahrelang behauptet haben, dass die gesetzliche Rente gekürzt werden muss, um die Sozialausgaben nicht aus dem Ruder laufen zu lassen und die angeblich drohende demographische Zeitbombe zu entschärfen. Außerdem müssen sie erklären, warum sie 15 Jahre lang die private, kapitalgedeckte Altersvorsorge – kurz: die Riesterrente – propagiert haben, um die von ihnen selbst politisch willkürlich gerissene Lücke in der Gesetzlichen Rentenversicherung zu schließen.
Trotz staatlicher Milliardenförderung ist Riester gescheitert: Die Zahl der Riesterrenten stagniert ebenso wie die Zahl der betrieblichen Renten, die Renditen sinken ins Bodenlose. Gefüllt haben sich nur die Taschen der Versicherungswirtschaft. Diesem Eingeständnis müsste eine Kampfansage an die Versicherungskonzerne folgen sowie konkrete Gesetze, die die Rentenreformen der Jahrtausendwende rückgängig machten. Die jährlich eingesparten drei Milliarden Euro Riester-Förderung könnten sofort in die gesetzliche Rentenversicherung fließen.
Ministerin Andrea Nahles, die für einen neuen Kurs in der Rentenpolitik zuständig wäre, wird jetzt kleinlaut und warnt vor Schnellschüssen. Vergangenen Freitag präsentierte sie mit Finanzminister Wolfgang Schäuble zwei Gutachten zur Reform der Betriebsrenten. Aber man muss nicht lange suchen, um den nächsten Rohrkrepierer zu erkennen. Im sogenannten Kiesewetter-Gutachten steht, dass die befragten Arbeitgeber gar kein Interesse an betrieblicher Altersversorgung zeigten und Geringverdienende kein Geld für noch mehr private Vorsorge hätten. Sie vertrauten ihr auch nicht, denn die Beschäftigten schreckte die Doppel- und Dreifachverbeitragung mit Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen ab. Sie wollten auch keine Ausweitung der sogenannten Entgeltumwandlung, weil sie damit ihre gesetzliche Rente selbst kürzten – ein klares Plädoyer für eine Stärkung der gesetzlichen Rente anstelle des Ausbaus der betrieblichen Säule.
Wer echte Teilhabe der Älteren will, muss die Kürzungsfaktoren aus der Rentenanpassungsformel streichen und wieder zu einem Rentenniveau von 53 Prozent zurückkehren, so wie es im Jahr 2001 war, bevor Rot-Grün die Rente ruinierte. Das würde durchschnittlich verdienende Beschäftigte nur 34,34 Euro im Monat kosten. Wer zusätzlich vorsorgen will und kann, sollte nicht erst – wie heute möglich – ab 55, sondern vom ersten Arbeitstag an freiwillige Zusatzbeiträge in die gesetzliche Rente auf sein oder ihr persönliches Rentenkonto einzahlen können. Das könnte auch der Arbeitgeber tun, der sich dann nicht mit der Bürokratie der betrieblichen Altersversorgung herumschlagen bräuchte. Die Gesetzliche Rentenversicherung könnte das alles zu konkurrenzlos niedrigen Verwaltungskosten erledigen ohne Provision oder die Notwendigkeit, für Aktionäre Gewinne zu erwirtschaften.
DIE LINKE sagt schon seit Langem, dass an einer Stärkung der gesetzlichen Rente und an einer echten Mindestsicherung im Alter kein Weg vorbei führt. Würden die Arbeitgeber ihren gerechten Beitrag leisten und die Riestermilliarden aller Beteiligten in die gesetzliche Rentenkasse gezahlt, wäre eine lebensstandardsichernde gesetzliche Rente finanzierbar. Für Geringverdienende brauchen wir sofort einen armutsfesten gesetzlichen Mindestlohn von zunächst zehn und sehr schnell elf und zwölf Euro. Und es braucht eine echte Solidarische Mindestrente. Das Ziel ist klar: Niemand darf im Alter von weniger als 1.050 Euro netto leben müssen!
Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher und parlamentarischer Geschäftsführer für DIE LINKE. im Bundestag.
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