Rede von Matthias W. Birkwald MdB DIE LINKE.
anl. der 2./3. Lesung des Antrages der LINKEN:
DDR-Altübersiedlerinnen und -Altübersiedler sowie DDR-Flüchtlinge vor Rentenminderungen schützen -Gesetzliche Regelung im SGB VI verankern (BT-Drs. 18/7699)
am 12. Mai 2016 im Deutschen Bundestag
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst begrüße ich auf der Besuchertribüne Herrn Dr. Holdefleiß, Herrn Dietrich und Herrn Ulrich von der Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge e. V. Meine Herren, seien Sie herzlich willkommen!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie streiten seit vielen Jahren gegen die Kürzung ihrer einmal versprochenen Renten. Vor dem Mauerfall waren sich CDU/CSU und SPD ihrer besonderen Verantwortung für aus der DDR geflohene und übergesiedelte Menschen bewusst, für Menschen, die alles hinter sich ließen, für Menschen, deren komplette Rentenansprüche von der DDR gestrichen wurden, und für Menschen, denen die Bundesregierung deswegen schwarz auf weiß ein Versprechen gab.
Ich habe Ihnen den Wegweiser für Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR mitgebracht. Er wurde vom Bundesinnenminister, vom Verfassungsminister, herausgegeben, und er ist mit dem Bundesadler, dem Bundeswappen der Bundesrepublik Deutschland, versehen. Er war das erste bundesdeutsche Dokument, das viele DDR-Flüchtlinge im Aufnahmelager in die Hand gedrückt bekamen. Darin versprach der Bundesinnenminister - ich zitiere -:
... Übersiedler ... werden in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich so behandelt, als ob sie ihr gesamtes Arbeitsleben in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hätten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, wir debattieren heute dieses Versprechen des demokratischen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir diskutieren darüber, weil dieses Versprechen von Ihnen gebrochen wurde.
(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Nein!)
Nach der Verabschiedung der Rentenüberleitungsgesetze von 1991 und 1993 wurden aus der DDR geflüchtete Menschen nämlich plötzlich nicht mehr so behandelt, als hätten sie ihr ganzes Arbeitsleben im Westen verbracht. Nein, sie wurden wieder so behandelt, als wären sie nie Bundesbürger geworden, sondern immer DDR-Bürgerinnen und -Bürger geblieben. Die Deutsche Rentenversicherung bewertete die Rentenanwartschaften von vielen Betroffenen neu. Auf Deutsch: Die Rentenversicherung hat vielen DDR-Flüchtlingen die versprochene Rente gekürzt, zum Teil um mehrere Hundert Euro.
Frau Kollegin Kolbe von der SPD und Herr Kollege Weiß von der CDU, Sie wissen das, und Sie bedauern das. Das habe ich gestern in der Ausschussdebatte durchaus so wahrgenommen, und ich respektiere das. Aber Sie verweigern sich, daraus irgendeine Konsequenz zu ziehen. Sie verstecken sich hinter seitenweisen Ausführungen von Beamtinnen und Beamten aus dem Bundesarbeitsministerium, die immer nur erklären, warum etwas nicht geht. So nicht! Probleme sind zum Lösen da.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Koalition, im Petitionsausschuss haben Union und SPD mehrere Petitionen zur Lösung dieses Problems abgelehnt, unter anderem mit der Begründung, dass die von uns vorgeschlagene Günstigerprüfung oder Vergleichsbewertung, Frau Kolbe, im Rentenrecht nicht vorgesehen sei.
(Daniela Kolbe (SPD): Den Satz haben Sie von mir aber nicht gehört!)
Das ist schlicht falsch. Schauen Sie sich alle bitte einmal den § 73 SGB VI an; hier geht es um die Erwerbsminderungsrente. Da steht das Wort „Vergleichsbewertung“ in der Überschrift. Nebenbei bemerkt - es ist auch schon gesagt worden -: Der Antrag von uns Linken und den Grünen ist nahezu wortgleich mit dem SPD-Antrag aus der vorigen Legislaturperiode. Da war die SPD noch in der Opposition.
(Kathrin Vogler (DIE LINKE): Hört! Hört!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Sie sagen, wenn die DDR-Flüchtlinge wieder ihre 100-prozentige Fremdrente erhielten, dann würden zum Beispiel Spätaussiedler aus der Sowjetunion, deren Renten gekürzt wurden, und politisch Verfolgte in der DDR gegenüber den DDR-Flüchtlingen benachteiligt. Anstatt das Vertrauen der DDR-Flüchtlinge, denen vom Rechtsstaat Unrecht angetan wurde, wiederherzustellen, spielen Sie höchst unterschiedliche Personengruppen, ja sogar Opfergruppen gegeneinander aus. Das, meine Damen und Herren, ist ein absolutes No-Go.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Matthias Bartke (SPD): Das ist doch Unsinn! Das ist doch das Letzte! Sie machen das!)
Im Übrigen hatten wir im Petitionsausschuss schon 2013 einen vollständigen überparteilichen Konsens. Es gab das Gutachten von Professor Heinz-Dietrich Steinmeyer aus dem Jahr 2014; es wurde auf meine Initiative hin im Auftrag des Petitionsausschusses für das Sozialministerium erstellt. Das Fazit von Professor Steinmeyer ist eindeutig - Zitat -: Es ist gezeigt worden, dass eine Lösung möglich ist, wenn bestimmte Rahmenbedingungen beachtet werden.
Genau das erwarte ich von Ihnen, und genau das erwarte ich vom Ministerium für Arbeit und Soziales. Handeln Sie, wägen Sie ab, drücken Sie sich nicht, und sorgen Sie dafür, dass Herr Dr. Holdefleiß, Herr Dietrich, Herr Ulrich und alle anderen 300 000 DDR-Flüchtlinge endlich die ihnen versprochenen Renten erhalten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
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