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Matthias W. Birkwald

Rentenniveau rauf! Jetzt!

01.12.2016

Rede von Matthias W. Birkwald MdB

im Deutschen Bundestag am 01. Dezember 2016 zur

a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE. Zeit für einen Kurswechsel – Rentenniveau deutlich anheben Drucksache 18/10471

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE. Rentenniveau anheben – Für eine gute, lebensstandardsichernde Rente Drucksachen 18/6878, 18/10517

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sehe Finanzstaatssekretär Spahn auf der Regierungsbank sitzen. Deswegen will ich zunächst einmal die Gelegenheit nutzen, noch einmal darauf hinzuweisen, dass wir eines in diesem Land auf gar keinen Fall machen dürfen: Kinderarmut und Altersarmut gegeneinander ausspielen. Wir müssen beides bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD))

Deswegen will ich kurz sagen: Nach den Kriterien der Europäischen Union haben wir derzeit 2,5 Millionen arme Kinder in diesem Land und über 2,85 Millionen arme Menschen, die ihren 65. Geburtstag bereits hinter sich gebracht haben. Liebe Koalition, hören Sie bitte damit auf, zu behaupten, es gebe keine Altersarmut, es gebe nur viel Kinderarmut. Es gibt beides, und wir müssen gegen beides etwas tun.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, 1957 hat Konrad Adenauer unser heutiges System der gesetzlichen Rente eingeführt. Sein Ziel war es, dass Menschen nach ihrem Arbeitsleben in den wohlverdienten Ruhestand gehen können, ohne auf allzu viel im Alter verzichten zu müssen. Das nennt man Lebensstandardsicherung. Alle Experten sind sich einig: Dafür brauchen wir ein Rentenniveau von 53 Prozent.

(Beifall bei der LINKEN - Kerstin Griese (SPD): Alle Experten?)

- Alle Experten und Expertinnen! - Bis zur Jahrtausendwende hielten sich Union und SPD auch an dieses Versprechen. Dann kamen Gerhard Schröder, SPD, Joschka Fischer, Grüne, Walter Riester, SPD, und die Union und die FDP haben zugestimmt, das Rentenniveau zu senken.

Jetzt sage ich Ihnen einmal, was die Absenkung des Rentenniveaus bewirkt hat. Im Jahr 2000 bekamen langjährig Versicherte, also Menschen, die immerhin 35 Jahre lang Beitrage in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hatten, wenn sie in die Rente gingen, noch 1021 Euro auf ihr Konto überwiesen. Im Jahr 2015 waren das nur noch 848 Euro. Wenn Sie sämtliche Preissteigerungen einrechnen, stellen Sie fest, eine solche Rente hätte im Jahr 2015 eigentlich 1340 Euro betragen müssen. Das bedeutet, die Rentenreformen von SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP kosten langjährig Versicherte jeden Monat 492 Euro. Ich finde, das ist skandalös.

(Beifall bei der LINKEN - Sven Volmering (CDU/CSU): Das ist die eine Seite der Bilanz!)

Das ist das verheerende Ergebnis einer falschen Arbeits- und Arbeitsmarktpolitik und einer falschen Rentenpolitik. Diese falsche Politik muss dringend gestoppt werden, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der LINKEN)

Einer der wichtigsten Gründe von vielen für diese Entwicklung ist das sinkende Rentenniveau. Vereinfacht gesagt ist das Rentenniveau das Verhältnis einer verfügbaren Standardrente zu einem verfügbaren Durchschnittseinkommen. Es hat also nichts mit dem letzten Gehalt im Erwerbsleben zu tun.

(Beifall der Abg. Katja Mast (SPD))

Das Rentenniveau ist aber die wichtigste Stellschraube für die Menschen, die bereits heute in Rente sind, und für diejenigen, die künftig in Rente gehen werden. Wenn nämlich das Rentenniveau sinkt, werden die Rentnerinnen und Rentner noch mehr als bisher von der Einkommensentwicklung der arbeitenden Menschen abgekoppelt. Man könnte auch sagen: Ihnen wird ein Stück Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand verwehrt. Das, meine Damen und Herren, darf nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Im April dieses Jahres hatte CSU-Chef Horst Seehofer erkannt, dass etwas falsch läuft. Er forderte höhere Altersbezüge für alle und die Rückabwicklung der Riester-Rente. Er behauptete sogar kühn, dass die 2001 beschlossene Kürzung des Rentenniveaus dazu führen werde, „dass etwa die Hälfte der Bevölkerung in der Sozialhilfe landen würde“. Dies betreffe besonders Frauen, die oft weniger verdienten als Männer, und die ihre Berufstätigkeit zugunsten der Familie unterbrächen. Bei der Reform müsse der gesetzliche Anteil an der Rente im Zentrum der Überlegungen stehen. Nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung sorge privat fürs Alter vor. Er sagte wörtlich: „Die Riester-Rente ist gescheitert“. Recht hat er!

(Beifall bei der LINKEN - Kerstin Griese (SPD): Herr Seehofer und die Linke!)

‑ Sie können heute in der Süddeutschen Zeitung nachlesen, Kollegin Griese, wie Recht er damit hat und wie richtig das ist. In der Süddeutschen Zeitung finden Sie heute ein vernichtendes Urteil zu der ganzen Riester-Reform.

Ich komme auch zur SPD. Sie hat nämlich mit ihrem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel ins gleiche Horn gestoßen. Sigmar Gabriel sagte:

Das Niveau der gesetzlichen Rente darf nicht weiter sinken, sondern muss auf dem jetzigen Niveau stabilisiert werden

Was aber kam nach dem Koalitionsgipfel genau heute vor einer Woche in Sachen Rentenniveau nach wochenlangen geheimnisvollen Ankündigungen der Arbeitsministerin von zwei Haltelinien heraus? - Gar nichts! Null! Niente! Nitschewo! Nada! Zero! - Sigmar Gabriel und Horst Seehofer, zwei der Parteichefs von Schwarz-Schwarz-Rosa, haben sie voll auflaufen lassen. Das ist doch die Wahrheit!

Zu den Ostrentnerinnen und -rentnern sagen Staatssekretär Jens Spahn und sein Chef, Finanzminister Schäuble: Mir gäbet nix. - Bei allem Respekt vor Frau Ministerin Nahles: Man könnte auch sagen, Herr Schäuble und Herr Spahn ziehen die Frau Arbeitsministerin Nahles am Nasenring durchs Kanzleramt. So ist es doch!

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, ich weiß, bei der EM-Rente hat es Verbesserungen bei der Zurechnungszeit gegeben. Dazu muss man aber wissen: von 2018 bis 2024. Für die heutigen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner, deren Renten viel zu niedrig sind, tun Sie alle rein gar nichts. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Martin Rosemann (SPD): Da haben wir doch schon etwas getan!)

Sie lassen sie im Regen stehen.

Zu den Ostrenten. Jemand, der 1990, beim Fall der Mauer, in Rente ging, muss jetzt 100 Jahre alt werden, um noch „gleiche Rente für gleiche Lebensleistung“ zu erleben. Meine Damen und Herren von der Koalition, ich sage Ihnen: Das ist null Leistung.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Rentenniveau darf jetzt auch in Zukunft weiter sinken. CSU-Chef Seehofer hat nur eine große Klappe gehabt. Die Koalition lässt Alte und Junge im Regen stehen. Ich sage: Das ist ein Armutszeugnis.

(Dr. Martin Rosemann (SPD): Nicht die Koalition! Die CSU!)

Jetzt sind alle enttäuscht. Sogar Ministerin Nahles ist von den Beschlüssen des Koalitionsgipfels enttäuscht. Die Rentnerinnen und Rentner sind enttäuscht. Ministerin Nahles konnte der CDU nicht einmal abringen, dass das Rentenniveau wenigstens stabil bei den heutigen 48 Prozent bleibt.

Frau Nahles, ich sage: Im Interesse der vielen Millionen Menschen, die bereits heute Rente beziehen oder einmal eine beziehen wollen, hätte ich Ihnen hier einen Erfolg gegönnt. Stattdessen sagen Sie in der FAZ:

Ich würde ungern über das Rentenniveau streiten im Wahlkampf. Das führt zu einem reinen Überbietungswettbewerb und wird zu teuer. Das kann sich nur die Linkspartei leisten, die sich einen feuchten Kehricht darum kümmert, was es kostet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt!)

- Klatschen Sie nicht zu früh. - Das sagt die Richtige! Sie will nämlich noch einmal zusätzliche 60 Millionen Euro in den Riester-Unsinn investieren.

Nein, genau deshalb sind unsere beiden Anträge richtig und wichtig. Wir müssen das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent anheben; denn dann hätten wir die Probleme mit dem absinkenden Niveau nicht mehr, und die Menschen könnten auch im Alter ihren Lebensstandard halten. Das ist auch finanzierbar.

Ein Rentenniveau von 53 Prozent brächte der Standardrentnerin oder dem Eckrentner von heute 127 Euro mehr Netto und dem von 2030 314 Euro, und das ist auch finanzierbar. Ich kann es nicht mehr hören, dass die Beiträge in den Himmel wachsen, durch die Decke gehen oder explodieren. Jemand, der heute durchschnittlich verdient - 3 022 Euro brutto im Monat -, müsste nur 33 Euro mehr in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen - und der Arbeitgeber auch. Dann würden wir das Rentenniveau erreichen.

(Dr. Martin Rosemann (SPD): Ja, heute! - Katja Mast (SPD): Und 2045?)

- Ich habe mit Ihrem Zuruf gerechnet. Die Bundesregierung geht von einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 4 423 Euro im Jahre 2029 aus. Dann kann man dadurch, dass man 99 Euro mehr pro Monat in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt, ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau sichern.

Jetzt kommt der Clou: Dann brauchen wir die Riester-Beiträge nicht mehr. Sie muten den Menschen zu, mindestens 4 Prozent ihres Einkommens für Riester einzuzahlen. Das heißt, die Menschen hätten heute jeden Monat 75 Euro mehr in der Tasche - 108 Euro weniger für Riester, 33 Euro mehr in die gesetzliche Rentenversicherung -, und im Jahr 2029 wären es noch 65 Euro mehr. Ich sage Ihnen: Ein anständiges Rentenniveau ist finanzierbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Berechnung wird auch von der Ministerin in ihrem schönen Rentenversicherungskonzept bestätigt. Schauen Sie auf Seite 26! Da werden alle Zahlen belegt.

(Sven Volmering (CDU/CSU): Das ist Quatsch mit Soße, echt!)

Im Jahr 2000 musste man 24 Jahre arbeiten, um bei einem Rentenniveau von 53 Prozent eine Rente in Höhe der Sozialhilfe bzw. der Grundsicherung im Alter zu bekommen. Aktuell sind das aber schon 29 Jahre und 9 Monate, und wenn es so weitergeht, dann werden wir dies in Zukunft selbst bei einem Rentenniveau von 46 Prozent erst nach 33 Jahren erreichen.

Ich komme zum Schluss.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Ja, bitte.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Hören Sie auf Norbert Blüm. Er war 16 Jahre Arbeitsminister und hat gesagt - Zitat -:

Die Rente muss höher sein als die Grundsicherung, sonst verliert das System seine Legitimation. Ein Niveau von 46 Prozent wird dafür nicht reichen.

Recht hat er.

Man kann eine gute Rente finanzieren. Schauen Sie nach Österreich. Darüber reden wir aber ein anderes Mal.

Ich sage: Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

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Zwischenfrage an Peter Weiß (CDU/CSU) im weiteren Verlauf der Debatte:

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Kollege Weiß, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Herrn Matthias W. Birkwald?

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):

…..

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Das ist jetzt aber Ihre Redezeit. - Also Herr Birkwald, bitte.

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie das klargestellt haben. Das verlängert die Redezeit von Herrn Weiß.

Herr Weiß, ich hätte mich nicht gemeldet, wenn Sie nicht gerade sozusagen nach der Zwischenfrage gegiert hätten. Ich will Ihnen einmal Folgendes erläutern: In Ihren Beiträgen kommen die Begriffe Wirtschaftswachstum und Produktivitätsfortschritt niemals vor.

Jetzt machen wir das einmal ganz konkret; denn ich ahnte schon, dass Sie so etwas sagen würden. Im Jahr 1960 betrug der Durchschnittsverdienst umgerechnet 260 Euro. Damals hatten wir einen Beitragssatz von insgesamt 14 Prozent, also je 7 Prozent für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Der Beitrag in die Rentenversicherung betrug 18,20 Euro. Wenn man die von dem damaligen Gehalt abzieht, blieben 241,80 Euro übrig.

Jetzt machen wir zwei Schritte: 2016 sind bei einem Gehalt von 3 022 Euro brutto und einem Beitragssatz von 9,35 Prozent 283 Euro als Beitrag zu zahlen. Übrig bleiben 2 739 Euro.

Jetzt gehen wir ins Jahr 2030. Dann wird das Durchschnittseinkommen 4 502 Euro betragen. Wenn man dann einen Beitragssatz von 29 Prozent paritätisch finanziert, bleiben 3 849 Euro übrig.

Anders ausgedrückt: Der Kuchen wächst, und selbst wenn die Beitragssätze steigen, bleibt hinterher für die Beschäftigten wesentlich mehr übrig. Für die Finanzierung brauchen wir nur die Rückkehr zur Parität, dass sich die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber endlich wieder vollständig paritätisch an der Finanzierung der Alterssicherung beteiligen.

(Beifall bei der LINKEN - Sven Volmering (CDU/CSU): Das ist Quatsch!)