Armut hängt in der Bundesrepublik stark von den jeweiligen regionalen Strukturen und den konkreten Lebensverhältnissen der Menschen ab. Der EU-Definition folgend ist in Deutschland arm, wer weniger als 60 Prozent – einschließlich aller Sozialleistungen wie Kindergeld, Wohngeld etc. – des mittleren Einkommens der Bevölkerung, des „Medianeinkommens“, netto zur Verfügung hat. Nach Angaben der amtlichen deutschen Statistik lag dieser Wert 2014 in der Bundesrepublik für einen Single bei 917 Euro und für einen Paarhaushalt mit zwei kleinen Kindern bei 1.926 Euro.
Die vom IW vorgelegte Studie stellt zunächst heraus, dass Einkommensarmut in besonderer Ausprägung vor allem in den östlichen Bundesländern und den städtischen Regionen mit Strukturproblemen in den westlichen Bundesländern zu finden ist. Allerdings bereinigt man die regional erzielten Einkommen der Menschen um ihre jeweilige regionalspezifische Kaufkraft, ergibt sich weiter ein differenzierteres Bild: demnach verringert sich die „Armutsinzidenz“ in den östlichen Bundesländern spürbar, während Städte – mit ihren höheren Preisniveaus – eine stärker ausgeprägte Armut aufweisen.
Köln zählt als wachsende Millionenstadt bislang nicht zu den klassischen Armutsregionen der Bundesrepublik. Die nun vorgelegte Studie des IW bestätigt aber nun das, was wir LINKEN in Köln schon lange Zeit thematisieren: die Stadt Köln hat hinsichtlich des Wertes der Armutsgefährdung seiner Bewohner*innen ein außerordentlich großes wie schwerwiegendes Problem. So sind 20 von 100 Kölner*innen ihrem Einkommen nach von Armut bedroht und auf die Kaufkraft bezogen ergibt sich für die Domstadt ein noch schlimmerer Zustand: 26 von 100 Kölner*innen sind nach ihrer Kaufkraft her von Armut bedroht. Und mit diesem Wert rangiert Köln im Bundesvergleich in der „Flop 5“. Lediglich die Städte Bremerhaven und Gelsenkirchen weisen noch höhere Werte auf. Platz drei in der Bundesliga ist für den „Effzeh“ ein wünschenswerter, für die Stadt Köln ein bitterer, wie nicht hinzunehmender Wert. Und auch der Bundesländervergleich muss für die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf ein Alarmzeichen sein: lediglich ein Flächenbundesland liegt beim regional preisbereinigten Medianeinkommen noch hinter NRW: Mecklenburg-Vorpommern. Im nordöstlichen Bundesland liegt der Wert bei 18,5 und in NRW bei 17,7 Prozent. In Bayern, dem Spitzenreiter der Bundesländer, liegt der Wert mit 12,4 Prozent auch noch viel zu hoch, findet DIE LINKE.
Wir LINKEN meinen: Massenhafte Armut in einem reichen Land ist ein gesellschaftspolitischer Skandal erster Güte! Und das gilt leider auch für Köln. Mehr und mehr Kölner*innen können sich keine Zahnbehandlungen mehr leisten, Menschen mit Zahnlücken prägen häufiger das Stadtbild. Viel zu viele Kölner*innen werden als Alleinerziehende – in den absolut meisten Fällen Frauen – im Stich gelassen, finden wegen unzureichender Kita- und Betreuungsangebote keine existenzsichernde Erwerbsarbeit. Viel zu viele Kölner*innen werden zu Opfern unseres Bildungssystems, das im OECD-Vergleich zu den sozial ungerechtesten gehört. Und dann müssen wir auch die Kölner*innen erwähnen, deren karge Rente es viel zu häufig nicht mehr erlaubt, einige Kölsch mit Freund*innen zu trinken.
Das IW spricht sich für eine „Kombination zielgruppenspezifischer und regionalpolitischer Maßnahmen“ aus, um Gruppen die durch Armut gefährdet sind – wie Alleinerziehende und Erwerbslose – zu befähigen, den monetären Wert der Armutsschwelle nicht unterschreiten zu müssen. Qualifizierte Ganztagsbetreuung und arbeitsmarktnahe Schulungen sind für das IW die passenden Rezepte. Die hier vorgelegten knappen Lösungsvorschläge weisen zwar die richtige Richtung, bleiben dabei aber gewohnt unbestimmt und müssen daher zwingend ergänzt werden.
Wir LINKEN haben Antworten auf diese desaströse Entwicklung vorgelegt. Kernforderungen und sozialpolitischer Dreiklang LINKER Politik sind: (1) eine einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente von 1.050 Euro netto, (2) eine sanktions- und repressionsfreie soziale Mindestsicherung statt Hartz IV sowie (3) eine schnelle Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes. Da nach Auskunft der Bundesregierung ein Stundenlohn von 11,68 Euro brutto erforderlich ist, um nach 45 Beitragsjahren Anspruch auf eine Rente oberhalb des heutigen Grundsicherungsniveaus zu haben, setze ich mich für eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes auf 12 Euro ein, denn Arbeit darf auch im Alter nicht arm machen.
Als Kölner Rentenpolitiker ist für mich klar, dass Niemand im Alter von weniger als 1.050 Euro leben muss! Unser Ansatz einer einkommens- und vermögensgeprüften Solidarische Mindestente weißt hierzu den richtigen sozialpolitischen Weg. Ich halte es mit dem ersten Artikel des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Daran müssen sich die politischen Entscheidungsträger*innen von CDU/CSU, SPD und Grünen auch bei den anstehenden Landtagswahlen in NRW am 14. Mai und der Bundestagswahl im September messen lassen. Alle Demokrat*innen sind aufgerufen, diese verfassungsrechtliche Schwelle nicht weiter zu unterschreiten. Ein sozialpolitisches „Weiter so“ darf es im Interesse der von Armut Betroffenen nicht geben.
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