Im nachfolgenden dokumentieren wir die Rede von Matthias W. Birkwald zum Antrag der Linksfraktion „Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Betriebsrenten – Doppelverbeitragung abschaffen“, veröffentlicht auf Drs. 19/242 [PDF].
Bezieherinnen und Bezieher von betrieblicher Altersvorsorge müssen unter Umständen für ihre Betriebsrente zweimal Krankenversicherungsbeiträge zahlen: beim Ansparen der Betriebsrente und bei der Auszahlung. Diese ungerechte Doppelverbeitragung ist lange bekannt, wird aber politisch nicht angegangen. Viele Rentnerinnen und Rentner werden damit um einen Großteil ihrer Altersvorsorge gebracht. Dieser Antrag - und ähnliche aus der letzten Wahlperiode - fordert die Bundeesregierung auf, das zu ändern.
Die Rede zum Ansehen und Hören gibt es hier
Die Rede zum Nachlesen gibt es hier:
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit der Jahrtausendwende haben Union, SPD, FDP und Grüne das Rentenniveau drastisch abgesenkt, und Sie alle haben die Menschen dazu aufgefordert, ihre dadurch entstehenden Rentenlücken mit privater und betrieblicher Altersvorsorge auszugleichen. Heute haben 57 Prozent der Beschäftigten einen Anspruch auf eine Betriebsrente, wenn sie in Rente gehen. Für viele von ihnen gibt es dann ein böses Erwachen.
Einer von ihnen ist Franz Häntze, den ich mit vier Mitstreiterinnen des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten auf der Besuchertribüne herzlich begrüße.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Häntze hat innerhalb von zwölf Jahren 26 000 Euro in eine Direktversicherung eingezahlt. Sein Arbeitgeber hat ihm noch 4 000 Euro dazugegeben. Das macht zusammen 30 000 Euro. Brutto wurden ihm 31 500 Euro ausgezahlt - die Minizinsen und die Inflation lassen wir einmal beiseite -; darauf musste er dann 6 600 Euro Steuern zahlen. Damit nicht genug: Knapp 6 000 Euro Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge wurden ihm abgezogen.
Von seinen eingezahlten Beiträgen in Höhe von 26 000 Euro hat Herr Häntze netto, nach allen Abzügen, nur 18 900 Euro ausgezahlt bekommen. Meine Damen und Herren, das ist ein beispielloses Ausplünderungskonstrukt und eine völlig inakzeptable kalte Enteignung.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir Linken hatten es im Wahlprogramm gefordert, und ich fordere es jetzt: Die 2004 von Horst Seehofer, Olaf Scholz und Ulla Schmidt eingeführte doppelte Belastung von Betriebsrenten mit völlig überzogenen Krankenkassenbeiträgen muss ohne Ausnahme abgeschafft werden - auch für Altverträge.
(Beifall bei der LINKEN)
Das wäre einfach, wirkungsvoll und vor allem: Es wäre gerecht. Ich fordere die Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD heute dazu auf, dies in ihrem Koalitionsvertrag zu verankern - am besten auf Seite 1.
(Beifall bei der LINKEN)
Mit Ihrem sogenannten Betriebsrentenstärkungsgesetz aus dem vergangenen Jahr haben Sie wenigstens die Doppelverbeitragung mit Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen der betrieblichen Riester-Renten abgeschafft. Das ist okay. Aber damit erreichen Sie gerade einmal 0,1 Prozent der Betroffenen. Alle anderen lassen Sie bis heute im Regen stehen. Ich fordere Sie deshalb auf: Stehen Sie zu dem, was Sie im Wahlkampf versprochen haben.
Erinnern Sie sich: Im Juni 2017 hatten das SPD-Präsidium und der SPD-Parteivorstand einstimmig beschlossen, dass bei Betriebsrenten künftig nur noch der Arbeitnehmerbeitrag fällig werden sollte, also nur noch 10 oder 11 statt mehr als 18 Prozent. Immerhin! Andrea Nahles sagte am 15. September 2017 in Düren - Zitat -: So viel Ärger, wie wir mit dem Scheiß haben! Den können wir uns echt sparen, wenn wir die 3 Milliarden investieren. - Zitatende. - Gut gebrüllt Löwin!
(Beifall bei der LINKEN)
Selbst bei den geplatzten Jamaika-Sondierungen kam das Thema zur Sprache. Wenn ich mir aber die 28 Seiten der Sondierungsergebnisse von Union und SPD und die heutigen Agenturmeldungen anschaue, dann muss ich leider feststellen: Das Wort Betriebsrente kommt bei Ihnen nicht einmal vor. Dabei sagte der SPD-Kollege Lauterbach dem „Tagesspiegel“, er wolle da nachbessern. Ja, was ist denn nun? Wo denn? Wie denn?
Zur CDU/CSU: Sie, verehrte Kolleginnen Karliczek von der CDU und Zeulner von der CSU, kennen doch all diese Fälle. Sogar der Chef Ihrer Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, der Kollege Dr. Carsten Linnemann, sagte am 4. November in der „Rheinischen Post“ - ich zitiere -:
Die doppelte Krankenkassen-Verbeitragung von Betriebsrenten ist für die Betroffenen ein großes Ärgernis und gehört abgeschafft. ... Wer privat vorsorgt, muss signifikant mehr haben als derjenigen, der nicht vorsorgt.
Ich frage mich: Wer blockiert denn da noch? Jens Spahn, sind Sie es, wie es im „Stern“ zu lesen war? Ich hoffe, nicht.
Ich fordere Sie auf: Vereinbaren Sie in Ihrem Koalitionsvertrag, die doppelte Beitragszahlung auf Direktversicherungen und Betriebsrenten in der Anspar- und Auszahlungsphase zu beenden! Sorgen Sie dafür, dass Menschen, die in der Ansparphase bereits Sozialversicherungsbeiträge abgeführt haben, in der Auszahlungsphase keine mehr zahlen müssen!
Das wäre ein Schritt hin zu besseren Betriebsrenten und schüfe Vertrauen bei den Betroffenen. Die haben nämlich - oft aus ihrem verbeitragten Netto - 10, 20, 30 Jahre lang fürs Alter gespart, und nun werden ihnen mehr als 18 Prozent abgezogen. Zusätzlich werden ihre Betriebsrenten noch versteuert, und unter dem Strich ist das häufig ein Minusgeschäft.
Dann hätten sie ihr Geld besser unters Kopfkissen oder ins Schließfach gelegt. Das darf nicht so bleiben. Nehmen Sie endlich die Probleme der Menschen ernst. Reden Sie nicht nur, handeln Sie!
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Aktueller denn je: Ausführliches Interview im „Versicherungsboten“ zu allen wichtigen Fragen rund um die gesetzliche und die private Rente
Bundestagsrede in der Orientierungsdebatte am 26. Januar 2022