Seit 2004 müssen gesetzlich krankenversicherte Rentner auf ihre Betriebsrente neben dem Arbeitnehmeranteil auch den Arbeitgeberanteil des Krankenversicherungsbeitrags zahlen. Direktversicherte, die sich ihre Altersversorgung in einer Summe auszahlen lassen, mussten bis 2004 überhaupt keine Sozialabgaben von der Kapitalabfindung abführen. Seither gilt auch für sie die doppelte Beitragspflicht, was leicht 20 Prozent der Kapitalabfindung ausmachen kann. Entsprechend groß ist bis heute die Empörung über die „nachträgliche kalte Enteignung“ bei den in die Millionen gehenden Betroffenen.
Trotzdem fanden sich bisher keine parlamentarischen Mehrheiten dafür, den Zustand wieder zu ändern. Allein die Linke macht seit Monaten Druck. Kurz nach dem Start der neuen Koalition, im Dezember 2017, brachte sie einen Antrag in den Bundestag ein, mit dem sie die Bundesregierung auffordert, „einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die doppelte Beitragszahlung auf Direktversicherungen und Betriebsrenten in der Anspar- und in der Auszahlungsphase beendet.“
Das Schicksal solcher Anträge ist normalerweise besiegelt, bevor sie in den Bundestag eingebracht werden. Sie werden nämlich routinemäßig von den Fraktionen der Regierungskoalition CDU/CSU und SPD mit ihrer komfortablen Bundestagsmehrheit abgelehnt, selbst wenn einige Koalitionäre inhaltlich dafür sind. Das gebietet die Koalitionsräson.
Genau das sollte eigentlich bei der heutigen Sitzung des federführenden Gesundheitsausschusses des Bundestags auch passieren. Doch dazu ist es nun doch nicht gekommen. Vielmehr wurde überraschend auf Antrag der SPD das Thema ganz von der Tagesordnung des Gesundheitsausschusses genommen. Damit wird es frühestens nach der parlamentarischen Sommerpause erneut den Bundestag beschäftigen.
Die offizielle Begründung lautete, die SPD habe noch Beratungsbedarf. Zudem arbeite die Koalition derzeit selbst noch an einer Lösung des Problems. Hinter den Kulissen hieß es jedoch ergänzend: Grund für den Absetzungsantrag sei vor allem gewesen, dass nicht alle SPD-Vertreter im Ausschuss bereit sein würden, den Antrag der Linken einfach so abzulehnen.
Der Rentenexperte der SPD, Ralf Kapschack, erklärte dazu auf Anfrage des Handelsblatts: „Wer will, dass die Betriebliche Altersversorgung in Deutschland noch eine Zukunft hat, muss beim Thema doppelte Beitragsbelastung endlich etwas tun.“
Die Linke reagierte positiv auf die Entscheidung. „Wir freuen und zusammen mit den Betroffenen, dass die Koalitionsparteien offenbar endlich bereit sind das Thema anzugehen“ sagte der Rentenexperte der Linken Matthias Birkwald dem Handelsblatt. Die Linke erwarte aber nun auch, dass es in den kommenden Wochen zumindest einen ersten großen Schritt in Richtung einer Lösung des Problems geben wird.
Auf die Frage, wie dieser aussehen könnte, verwies Birkwald auf einen Beschluss, den kürzlich die 41-köpfige Landesgruppe Nordrhein-Westfalen der SPD im Bundestag getroffen hat.
Danach soll für „eine kurzfristige Entlastung“ in einem ersten Schritt ein Freibetrag von 152,25 Euro eingeführt werden, der in Zukunft bei jeder Betriebsrente beitragsfrei bleibt. Bisher gilt nur eine Freigrenze in gleicher Höhe. Ist die Betriebsrente höher, muss sie vom ersten Euro an verbreitragt werden. Da das Gros der Betriebsrenten unter 250 Euro im Monat liegt, wäre das für die meisten Versicherten schon eine deutliche Entlastung. In einem zweiten Schritt müsse dann die Beitragsbelastung wieder auf den Arbeitnehmerbeitrag halbiert werden, wie er auch bei der gesetzlichen Rente fällig wird.
Lege die Koalition in der näheren Zukunft nichts vor, werde die Linke den öffentlichen Druck auf die Bundesregierung erhöhen, kündigte Birkwald an. Er warf in diesem Zusammenhang vor allem der CSU vor, bei dem Thema nach wie vor auf der Bremse zu stehen.
Der bayerischen Schwesterpartei der CDU dürfte es zumindest nicht ganz unrecht sein, dass das Thema jetzt von der Tagesordnung des Gesundheitsausschusses genommen worden ist und frühestens nach der Sommerpause wieder aufgerufen wird. Denn dort gibt es ein großes Interesse daran, dass das Thema Doppelbeiträge auf Betriebsrenten nicht den Landtagswahlkampf in Bayern belastet. Jenseits des Main ist der Unmut der Direktversicherten über den nachträglichen politischen Eingriff in ihre Altersversorgung nämlich kein bisschen kleiner als im Rest der Republik. Gewählt wird in Bayern aber erst im Oktober.
Anders als in der CSU wächst dagegen in der CDU die Bereitschaft, etwas für die Betriebsrentner zu tun. Nach dem Sozialflügel der CDU sieht sogar der Wirtschaftsflügel inzwischen Handlungsbedarf. „Wir brauchen hier einen Befreiungsschlag“, sagte der Vorsitzende der Mittelstandvereinigung der Union, Carsten Linnemann auf Anfrage des Handelsblatts. „Ich sehe zwei Ansätze: Entweder wir wandeln die Freigrenze für Einkünfte aus Betriebsrenten in einen Freibetrag um. Oder wir regeln es so, dass von Betriebsrenten nur noch der Arbeitnehmerbeitrag abgeführt werden muss. Ich sehe hier echten Handlungsbedarf.“
(Handelsblatt vom 27. Juni 2018)
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