Die massiven Kritiken des Projektes CashBA in der medialen Berichterstattung, insbesondere seitens der Wohlfahrtsverbände, regten mich als Obmann der Linksfraktion im Bundestags-Ausschuss für Arbeit und Soziales dazu an, mir das Projekt CashBA mit der für Notfälle künftig vorgesehenen Barcodezahlung für SGB II und SGB III-Berechtigte mal konkret vor Ort anzusehen.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) plant, ab dem 01.01.2019 das bisherige Verfahren der Barzahlungen über Geldausgabeautomaten (GAA) durch ein neues Barzahlungsverfahren CashBA, bzw. Barcode genannt, zu ersetzen. Die Kosten pro Auszahlung würden dadurch von 7,40 Euro auf fünf Euro gesenkt. Der neue Zahlschein ist neutral und weiß und darauf ist ein Barcode gedruckt. Der Barcode enthält keine Personenangaben, keine Adressen, kein Logo der ausstellenden Dienststelle, keinerlei Sozialdaten oder dergleichen. Er sieht so aus, wie die Zahlscheinbelege, die auch von 800 Unternehmen an Kund*innen, zum Beispiel bei Rückgaben im Onlinehandel oder von Banken oder bei Guthabenauszahlungen von Energieversorgern, vergeben werden. Diese können an Kassen von ca. 8500 Akzeptanzstellen (statt an 309 Geldautomaten bundesweit) im beteiligten Einzelhandel anonym eingelöst werden, ohne dass dort eingekauft werden müsste. Der Datenschutz sei gewährleistet, da die BA keinerlei personenbezogenen Daten an den/die externen Auftragnehmer*in oder die beteiligten Einzelhändler*innen übermittelt. Daher stuft die BA die Barcode-Zahlscheine als diskriminierungsfrei ein.
Mit einem Koffer voller kritischer Fragen habe ich am vergangenen Freitag, dem 20.07.2018, das Jobcenter im Landkreis Neuwied besucht. Dieses ist seit dem 28.05.2018 einer der Pilotstandorte für das Projekt CashBA. In einer großen Runde ließ ich mir das ganze System intensiv erklären. Vertreten waren unter anderem Herr Bernhard Henn, Hauptstadtvertreter der Agentur für Arbeit in Berlin; Herr Starfeld, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Neuwied; Herr Gambert, Teilprojektleiter CashBA; Herr Potthast, stellvertretender Geschäftsführer des Jobcenters Neuwied und weitere Mitarbeiter*innen, drei davon mit direktem „Kundenkontakt“ aus dem Servicecenter. Es freute mich sehr, dass mit Frau Runkel-Horn von der Diakonie und Frau Pauly von der Caritas zwei Vertreterinnen der Wohlfahrtsverbände mit in der Runde saßen, auf deren Antworten auf meine kritischen Fragen ich besonders gespannt war.
Von grundlegender Bedeutung war für mich, dass die neutralen Barcode-Auszahlscheine nur ausnahmsweise im Notfall und nur für Menschen mit besonderem Hilfebedarf ausgestellt werden. Die Regelzahlung, d.h. die Überweisung der Leistungen auf das Konto der Leistungsempfänger*innen, wird dadurch definitiv nicht ersetzt werden. Es handelt sich regelmäßig nur um durchschnittlich 0,4 bis 0,5 Prozent aller Auszahlungsfälle von Arbeitslosengeld oder Hartz IV-Leistungen! Im Bereich des Jobcenters Neuwied wird der Barcode-Zahlschein durchschnittlich nach nur 24 Minuten nach Erhalt eingelöst, obwohl der Barcode fünf Tage gilt. Der Weg zur Akzeptanzstelle stellt also offenkundig für die meisten Betroffenen kein Problem dar, weil viele Akzeptanzstellen in kurzer Entfernung zum Jobcenter liegen, nämlich durchschnittlich 650 Meter. 85 Prozent liegen unter einem Kilometer. Die längste Distanz beträgt allerdings zwölf Kilometer zum Wohnort (nicht zum Jobcenter). Hier wäre dann der dauerhaft für Notsituationen weiterhin angebotene Postscheck sinnvoller, da die Postbank in der Nähe liegt. Die kurzen Distanzen sind auch bundesweit vorgesehen.
Nutzen können (nicht müssen!!) den Barcode im Notfall folgende Menschen mit Leistungsansprüchen aus SGB II und III:
• Menschen ohne Konto;
• Neuangekommene Geflüchtete mit schnellem Hilfebedarf
• Obdachlose („Menschen ohne festen Wohnsitz mit täglichem Hilfebedarf“) und z.B.
• Menschen, die kurzfristig ein Jobangebot wahrnehmen und dafür eventuell ein Auto oder Geld für Fahrtkosten benötigen.
Sie erhalten alle eine mündliche Erläuterung des Verfahrens und einen Infoflyer, den sie in 17 (!) verschiedenen Sprachen bekommen können.
Seit der Pilotierung des Landkreises Neuwied Ende Mai sind 300 Barcodes mit einer Auszahlungshöhe von 55.000 Euro ausgegeben worden. Das gesamte Auszahlungsvolumen betrug 11.800.000 Euro. Hier lässt sich erkennen, dass nur ein geringer Anteil von 0,47 Prozent Barcode-Zahlscheine erhält (s.o.). Bundesweit seien es 0,49 Prozent in den zehn Piloteinrichtungen.
Überraschend war für mich, dass im Gegensatz zur massiven Kritik z.B. der Kölner Caritas, die Erfahrungen der Vertreterinnen der dort ansässigen Caritas (4000 Klient*innen) und der dortigen Diakonie durchweg positiv waren. Sie haben vor Ort kommunal ehrenamtliche Bürgerfahrdienste organisiert, mit denen sie Menschen in ländlichen Kreisen weite Fahrwege ersparen. Dies ist sinnvoll.
Besonders beeindruckte mich, dass alle drei Mitarbeiter*innen mit persönlichen Kontakt mit Hartz IV-Betroffenen in besonderen Notlagen auch auf intensive Nachfragen nur von zustimmendem und nicht von kritischem Feedback seitens der SGB II und III-Leistungsberechtigten berichten konnten. Das ist bei 8000 erwachsenen Leistungsberechtigten (darunter 1750 Geflüchtete) das Wesentliche.
Unmittelbar im Anschluss führte ich über die datenschutzrechtliche Seite von CashBA ein Gespräch mit Herrn Roland Appel, dem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen, der zehn Jahre lang Landtagsabgeordneter war und der sich als Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen zum Thema Bürgerrechte und Datenschutz einen Namen gemacht hat. Er berät Unternehmen und Institutionen in Sachen Datenschutz. Auch er hat bei CashBA keine datenschutzrechtlichen Bedenken.
Nun bin ich gespannt, ob die Erfahrungen und Rückmeldungen aus den anderen Pilotstandorten ähnlich ausfallen werden.
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