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Matthias W. Birkwald

"Dieses Problem muss dringend gelöst werden"

Im Interview mit der Redaktion der Krankenkasseninfo.de fordert Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) weitere Entlastungen bei den SV-Beiträgen auf Betriebsrenten und Versorgungsbezüge

26.10.2018
Matthias W. Birkwald auf der Fraktionsebene des Deutschen Bundestages

Durch das neue Versichertenentlastungsgesetz werden bestimmte Betriebsrenten und Versorgungsbezüge von der Beitragspflicht für die gesetzliche Krankenversicherung befreit. Das war längst überfällig, sagt Matthias W.  Birkwald, der als rentenpolitischer Sprecher der Linksfraktion sich seit Jahren für dieses Thema stark macht.      

Der Gesetzgeber hat in letzter Sekunde noch eine SV-Beitragsbefreiung für  bestimmte Betriebsrenten in das Entlastungsgesetz eingebracht. Sehen Sie das auch als Ergebnis Ihrer politischen Arbeit an?

In erster Linie ist die Gesetzesänderung eine Antwort auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juni 2018. Das Gericht hatte entschieden, dass Versicherte, die nach dem Ende oder dem Wechsel des Arbeitsverhältnisses eine Betriebsrente privat und ohne Arbeitgeberbeteiligung weiter besparen, in der Auszahlungsphase nicht verbeitragt werden dürfen. Warum? Weil es sich dann um private Vorsorge handelt.

Dabei geht es um vormalige Betriebsrenten, die über die Durchführungswege „Direktversicherung“ und „Pensionskasse“ organisiert werden. Die Versicherung oder Pensionskasse muss jetzt in diesen Fällen die Rente in einen betrieblichen und einen privaten Anteil aufteilen und letzterer wird dann nicht mehr verbeitragt. Das ist immerhin ein Erfolg.

Wie beurteilen sie diesen Erfolg nun hinsichtlich der sozialpolitischen Forderungen Ihrer Partei in Bezug auf die private und betriebliche Altersversorgung?

Ich bin kein Jurist, aber bis vor Kurzem hatte das Bundessozialgericht ja mehr oder weniger gesagt: Alles, was Betriebsrente heißt, muss auch verbeitragt werden. Das hat das Verfassungsgericht nun völlig zu Recht zurückgewiesen und klargestellt, dass man nicht nur auf die Überschrift des Versicherungsscheins schauen darf, sondern eben auch darauf, ob sich der Arbeitgeber daran überhaupt beteiligt hat. Die Frage ist also, wer hier eigentlich einzahlt. Das ist eine Debatte, die den Betroffenen, also den „Direktversicherungsgeschädigten“, immer wichtig war und die ich in ihrem Interesse für DIE LINKE auch ins Parlament getragen habe.

Zum einen also sage ich: Wer freiwillig privat fürs Alter vorsorgt, muss am Ende mehr rausbekommen als er oder sie eingezahlt hat. Zweitens sage ich: Die besondere steuerliche und sozialrechtliche Förderung von Betriebsrenten ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie auch wieder - wie früher - als betriebliche AltersVERsorgung funktioniert. Das heißt: Der Arbeitgeber muss sich zu mindestens 50 Prozent an der Finanzierung der Beiträge beteiligen.
 

Sind aus Ihrer Sicht mit diesem Gesetz nun wesentliche Missstände hinsichtlich der Doppelverbeitragung beseitigt?

Nein, wesentliche Missstände sind damit nicht gelöst, aber es sind erste Schritte in die richtige Richtung. Jetzt geht es um die Frage, wie man mit den Direktversicherungen und den Betriebsrenten allgemein umgeht und welche Lösung man für die Verträge findet, die vor 2004 abgeschlossen wurden. Es ist doch absurd: Das Leistungsniveau der gesetzlichen Rente wird abgesenkt und alle sollen privat, oder am besten betrieblich mit dem Arbeitgeber, vorsorgen. Dafür gab und gibt es dann auch steuerliche Anreize und große Kampagnen. So wollen es ja Union, FDP, SPD und Grüne und darum haben sie Ende der 90er Jahre damit begonnen, die gesetzliche Rente teilzuprivatisieren. Ich nenne nur die Stichworte 'Riester' und 'Absenkung des Rentenniveaus'.

2003 geriet dann die Krankenversicherung in eine Finanzkrise. Horst Seehofer (CSU) und Ulla Schmidt (SPD) suchten nach neuen Einnahmequellen und beschlossen über Nacht, den vollen und also doppelten Beitragssatz auf Betriebsrenten zu erheben. Das bringt ihnen seitdem zwei bis drei Milliarden Euro jährlich an Mehreinnahmen aus „Versorgungsbezügen“. Selbst Betriebsrenten aus Altverträgen wurden dadurch plötzlich um knapp 20 Prozent gekürzt und ebenso viele Verträge, bei denen sich der Arbeitgeber gar nicht finanziell beteiligt hatte. Dies betraf sogar viele tausend Verträge, die aus dem Nettoeinkommen bespart wurden.

Das heißt, das Entlastungsgesetz kann für Sie nur ein Auftakt sein, für weitere Abgabenminimierung bei Betriebsrenten und Bersorgungsbezügen zu kämpfen?  

Selbstverständlich, denn das geht so alles nicht. Dieses Problem musste und muss dringend gelöst werden. Darum hat sich DIE LINKE im Bundestag mit mehreren parlamentarischen Initiativen der berechtigten und breiten Bürgerproteste angenommen.Nun haben wir es geschafft, dass auch die anderen Parteien sich bewegen und nach Lösungen, wie zum Beispiel dem halben Beitragssatz in der Auszahlungsphase oder einem echten Freibetrag suchen.  

War es nicht auch eine Forderung der LINKEN, dass sämtliche Einkommensarten und vor allem Kapitaleinkünfte zur Beitragsfinanzierung in der GKV herangezogen werden sollen? Aus welchem Grund haben Sie sich so vehement des Themas angenommen?

 Ja, das ist richtig und das ist ein Grundprinzip unseres Konzepts einer Bürgerversicherung, die bei uns Solidarische Gesundheitsversicherung heißt. Das zweite Prinzip ist aber auch, dass wir Menschen nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verbeitragen wollen und das auch paritätisch finanzieren wollen.

Und ein weiteres Prinzip kommt hinzu: Wir wollen die sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung, also die schlechteste Form einer Betriebsrente, bei der der Arbeitgeber Geld spart und die Versicherten sich ihre gesetzliche Rente kürzen, komplett abschaffen.

Der Kern des Versichertenentlastungsgesetzes betrifft die Parität beim Zusatzbeitrag und Entlastungen für Selbstständige. Welche Kritikpunkte an der Gestaltung der SV-Beiträge bleiben aus Ihrer Sicht weiter bestehen?

Auch die paritätische Finanzierung der GKV wurde ja 2004 von SPD und Grünen abgeschafft – mit der Zustimmung von CDU und FDP im Bundesrat. Die Große Koalition nimmt jetzt endlich ihre eigene Verschärfung zurück. Aber echte Parität sieht anders aus, denn nach wie vor tragen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen erheblichen Teil der Gesundheitskosten alleine. Das betrifft zum Beispiel Zuzahlungen zu Zahnersatz, zu Sehhilfen, zu Arzneimitteln, zu Pflegedienstleistungen, aber auch zu Heil- und Hilfsmitteln. DIE LINKE fordert dashalb, dass diese Leistungen wieder in den Leistungskatalog der Krankenversicherung aufgenommen werden!

Auch von der Entlastung durch das neue Gesetz kommt wegen der Erhöhung des Pflegebeitrags nur wenig bei den Versicherten an. Deshalb führt an der Einführung unserer Solidarischen Gesundheitsversicherung kein Weg vorbei.