Auf Antrag von FDP und AfD debattierte der Deutsche Bundestag zum Thema "Altersarmut bekämpfen".
In der Debatte machte der Rentenexperte der Bundestagsfraktion DIE LINKE., Matthias W. Birkwald, deutlich:
"1,2 Millionen Männer und 1,6 Millionen Frauen über 65 Jahren leben in unserem Land in Armut - das ist eine Schande. Wir brauchen dringend eine einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente, die vor Armut schützt. Niemand in diesem Land soll im Alter von weniger als 1 050 Euro leben müssen.
Was in Österreich geht, geht auch in Deutschland."
Die gesamte Debatte können Sie hier sich anhören.
Die Rede von Matthias W. Birkwald zum TOP können Sie sich hier anhören.
Zum Nachlesen gibt es die Rede nachfolgend:
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass wir endlich über Altersarmut reden, und zwar anhand von konkreten Vorschlägen. Aber worüber reden wir überhaupt?
Die AfD spricht in ihrem Antrag von 420 000 Menschen. In den Talkshows hört man immer: Nur 2,7 Prozent der Rentnerinnen und Rentner seien arm, weil sie in der Grundsicherung im Alter sind. Das, meine Damen und Herren, sind aber nicht arme Rentnerinnen und Rentner, sondern das sind die sehr armen, die unterhalb des Existenzminimums von weniger als 796 Euro durchschnittlich leben müssen.
Armut ist nach EU-Definition aber, wer als alleinlebender Mensch in Deutschland weniger als 1 096 Euro im Monat zur Verfügung hat. Wenn wir diese Zahl nehmen, dann sind heute bereits 17 Prozent aller Menschen über 65 Jahre in unserem Land als arm zu bezeichnen. Das sind 1,2 Millionen Männer und 1,6 Millionen Frauen. 2,8 Millionen Menschen - das ist eine Schande. Dagegen müssen wir dringend etwas tun.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bundesminister Heil hat ein Konzept zur Grundrente vorgelegt. Meine Damen und Herren, vergessen Sie diesen Begriff. Was er vorgelegt hat, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist alles, nur keine Grundrente.
Was er vorgelegt hat, ist eine gute Sache, jedenfalls im Kern, aber es ist die Rente nach Mindestentgeltpunkten,
(Beifall des Abg. Ralf Kapschack (SPD))
die - surprise, surprise - heute schon Zeiten bis 1991 einschließt und die es schon einmal in einer anderen Form gab.
Diese Rente nach Mindestentgeltpunkten hat natürlich nie eine Bedürftigkeitsprüfung gekannt. Da hat auch die FDP zugestimmt, aber dazu später.
(Johannes Vogel (Olpe) (FDP): Ja, aus guten Gründen!)
Gewerkschaften, Sozialverbände und Die Linke sagen, es gibt auch Kritisches an der sogenannten Grundrente. Beispielsweise sind die 35 Beitragsjahre mindestens 10 Jahre zu viel. Das, was vorgelegt worden ist, sind Bruttowerte und keine Nettowerte. Aber so weit, so gut.
Kommen wir zu den beiden Schnellschüssen von AfD und FDP. Frau Schielke-Ziesing, ehrlich gesagt, Ihr Antrag ist wohl Hasenfüßigkeit pur. Sie schreiben im Titel des Antrages „Armutsbekämpfung“, aber wenn man den Antrag liest, so wollen Sie die Altersarmut nur abmildern.
Das von Ihrer Truppe: abmildern! Da muss ich sagen: Das ist ein bisschen wenig.
Wir müssen Altersarmut vermeiden und bekämpfen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ihr Antrag bezieht sich auf einen einzigen Punkt. An den Freibetrag für Riester und für bAV von 212 Euro wollen Sie nicht ran. Sie wollen nur die gesetzliche Rente anrechnungsfreistellen, und das auch nur mit popeligen 15 Prozent. Also, da sind die FDP mit 20 Prozent und Herr Heil mit 25 Prozent deutlich weiter.
Da kann ich nur sagen: Die Freibeträge für die gesetzliche Rentenversicherung sind okay - das wollen wir auch -, aber die Rente nach Mindestentgeltpunkten ist besser.
Das, was Sie und auch die FDP machen, bekämpft nicht Armut.
Wir müssen an die Wurzeln gehen. Wir haben einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa, und deswegen brauchen wir dringend einen gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro.
(Johannes Vogel (Olpe) (FDP): 20!)
Auch das Mitglied der Mindestlohnkommission, Robert Feiger, hat heute gesagt, dass die Kommission so nicht weitermachen kann. Wir müssen außerdem die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen dringend erleichtern.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
So, nun zur FDP.
Liebe FDP, Ihr Antrag ist wirklich mit heißer Nadel gestrickt, und er ist auch schlecht. Er hat nichts mit Rente zu tun. Sie wollen ausschließlich die Grundsicherung ein bisschen reformieren.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, pauschale Aufwertung verbiete sich, alle Ansprüche seien gleich viel wert.
Das ist historisch falsch. Seit 1992 gibt es die Rente nach Mindestentgeltpunkten.
(Johannes Vogel (Olpe) (FDP): Ja, aber die wurde beendet aus bestimmten Gründen!)
Beide Gesetze wurden mit einer großen Mehrheit von Union, SPD und - hören Sie zu! - FDP angenommen
(Zurufe von der LINKEN: Oh!)
und haben das beitragsäquivalente System der gesetzlichen Rente um die Aufwertung ergänzt.
Da hinten sitzt der Kollege Cronenberg. Sein Vater hielt damals die Rede für die FDP zur Rentenreform 1992, in der einer Rente nach Mindestentgeltpunkten zugestimmt wurde.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Johannes Vogel (Olpe) (FDP): Das war in den 80er-Jahren! - Kai Whittaker (CDU/CSU): Also, Sippenhaft haben wir nicht mehr in Deutschland!)
Ich sage Ihnen: Das, was Sie vorgelegt haben, reicht vorne und hinten nicht.
Was wir brauchen, ist eine lebensstandardsichernde Rente, weil das Prophylaxe gegen Altersarmut ist.
Wir brauchen ein Rentenniveau von 53 Prozent.
Die Rente nach Mindestentgeltpunkten in reformierter Form haben wir schon lange gefordert.
Ich sage Ihnen eins: Lassen Sie uns was Vernünftiges machen.
Wir brauchen eine einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente, die vor Armut schützt.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Birkwald.
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Niemand in diesem Land soll im Alter von weniger als 1 050 Euro leben müssen. Was in Österreich geht, geht auch in Deutschland.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
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