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Matthias W. Birkwald

Solidarische Mindestrente einführen – Altersarmut wirksam bekämpfen und das Rentenniveau anheben

Rede von Matthias W. Birkwald im Deutschen Bundestag

21.03.2019
Redebeitrag von Matthias W. Birkwald (Die Linke) am 21.03.2019 um 14:01 Uhr (89. Sitzung, TOP 7)

Der Bundestag beriet in seiner heutigen Sitzung erstmalig eine Stunde lang über einen Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel Solidarische Mindestrente einführen – Altersarmut wirksam bekämpfen und das Rentenniveau anheben (19/8555).

Nach der Debatte wurde der Antrag zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen werden.

Die Rede von Matthias W. Birkwald können Sie hier sich ansehen und anhören.

Nachfolgend können Sie die Rede nachlesen:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

in den vergangenen Wochen wurde viel über Altersarmut diskutiert.

Aber es wurde nicht erklärt, was Altersarmut bedeutet.

Altersarm sind nicht nur diejenigen, die heute trotz einer Rente den Gang zum Sozialamt antreten müssen und dann durchschnittlich 796 Euro „Grundsicherung im Alter“ netto inklusive Miete erhalten, also das Existenzminimum.

Das sind aktuell 421.500 Menschen. Oder die berühmten 2,7 Prozent der Altersrentnerinnen und –rentner. Es gibt aber viel mehr arme Alte.

Meine Damen und Herren,

die Altersarmut nimmt seit Jahren zu.

Die Armutsgrenze der Europäischen Kommission für Deutschland liegt 300 Euro über dem Existenzminimum und damit bei 1.096 Euro netto für Alleinlebende.

Und danach sind schon heute 2,8 Millionen Menschen, die älter als 65 sind, arm und eben nicht nur die drei Prozent oder 550.000 Menschen, die vom Rentner-Hartz IV leben.

Meine Damen und Herren,

2,8 Millionen Menschen leben schon heute in Altersarmut.

In einem der reichsten Länder der Welt.

Das ist absolut unerträglich, skandalös, durch nichts zu rechtfertigen und das muss unbedingt ein Ende haben!

Eine der wichtigsten Ursache ist und bleibt die Absenkung des Rentenniveaus durch SPD und Grüne unter lautstarkem Beifall von Union und FDP.

2003 mussten Beschäftige mit Durchschnittseinkommen 24 Jahre arbeiten, um im Alter nicht auf Sozialhilfe angewiesen zu sein.

Heute müssen Durchschnittsverdienende sage und schreibe 28 Jahre arbeiten, um über die Grundsicherungsschwelle von 796 Euro zu kommen.

Das sind vier Jahre mehr.

Und wer, wie viele Frauen, nur dreiviertel des Durchschnitts verdient, muss sogar 37 Jahre arbeiten, um mit der Rente über die Grundsicherung zu kommen.

Wir brauchen dringend eine rentenpolitische Kehrtwende!

Wie sieht die aus?

Erstens:

Das Rentenniveau muss wieder in etwa den Lebensstandard im Alter sichern.

Deshalb darf es nicht nur bei 48 Prozent eingefroren werden.

DIE LINKE fordert, das Rentenniveau wieder dauerhaft auf 53 Prozent anzuheben.

Wir stehen damit nicht allein.

Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband und der Sozialverband Deutschland unterstützen beispielsweise diese Forderung nachdrücklich.

53 Prozent hieße, dass alle Renten der heutigen Rentnerinnen und Rentner und die künftigen Renten der heutigen jungen und mittelalten Beschäftigten in mehreren Schritten um zehn Prozent stiegen.

Die sogenannte „Standardrente“ nach 45 Jahren zum Durchschnittslohn betrüge dann zum Beispiel ab 01. Juli nicht 1323,65 Euro netto (ab Juli 2019), sondern 1456,68 netto.

Das wären 133,03 Euro mehr Rente.

Netto.

Jeden Monat!

Das ist das Ziel.

Das hilft allen Generationen, den älteren und den heute noch jüngeren.

Und eins ist doch klar:

Wir brauchen gute Renten für die heute 80jährigen und für die heute 30jährigen!

Und wir dürfen Jung und Alt nicht gegeneinander ausspielen!

Meine Damen und Herren,

viele Menschen haben keine Chance, zum Durchschnittsgehalt zu arbeiten.

Darum muss zweitens der gesetzliche Mindestlohn umgehend auf mindestens zwölf Euro pro Stunde angehoben und die Tarifbindung gestärkt werden.

Höhere Löhne und ein höheres Rentenniveau - das sind die wichtigsten Maßnahmen, um zukünftige Altersarmut zu verhindern.

Drittens: Wir müssen die Arbeitslosigkeit bekämpfen und ihre Folgen für die Rente abmildern.

Deshalb sollen endlich wieder Rentenversicherungsbeiträge für Hartz IV-Betroffene gezahlt werden und zwar auf Basis des halben Durchschnittsverdienstes, so, wie es auch der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert.

Viertens fordert DIE LINKE seit Langem, die „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ für Beschäftigte mit niedrigem Einkommen zu reformieren und weiter zu führen.

Das ist das gute Instrument, das Hubertus Heil leider fälschlicherweise als „Grundrente“ bezeichnet.

Aber die SPD-„Grundrente“ oder die LINKE „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ sind keine Wundermittel.

Im Idealfall kämen Menschen nach jahrelanger Arbeit im Niedriglohnsektor ohne Bedürftigkeitsprüfung auf eine Rente in Höhe des Existenzminimums und es gäbe deutlich weniger verdeckte Altersarmut.

Das ist schon sehr viel.

Aber wir unterscheiden uns in einem Punkt:

Viele Frauen im Westen schaffen keine 35 Beitragsjahre.

Darum sagt DIE LINKE:

Wer mindestens 25 Jahre in der Gesetzlichen Rentenversicherung versichert war und wessen versicherungspflichtiges Einkommen zwischen 20 und 80 Prozent des Durchschnittsentgelts lag, erhält einen Zuschlag auf die Rente.

Die durchschnittliche Rente dieser Menschen wird verdoppelt, maximal jedoch auf die Rentenhöhe, die sich aus einem Gehalt in Höhe von 80 Prozent des Durchschnittsentgelts ergibt.

Fünftens wollen wir, das wieder fünf Jahre an Schul-, Fachschul- und Hochschulausbildung rentensteigernd anerkannt werden!

Das wäre sehr gut für alle Erzieherinnen und Erzieher, zum Beispiel.

Sechstens: Für Alle, denen trotz dieser Maßnahmen im Alter immer noch Armut droht wollen wir eine echte einkommens- und vermögensgeprüfte „Solidarische Mindestrente“ einführen.

Diese orientiert sich in der Höhe an den beiden aktuell verwendeten Armutsschwellen von 999 Euro (Mikrozensus) und 1.096 Euro (EU-SILC) und soll demzufolge heute 1050 Euro netto betragen.

Darum müssen wir die gesetzliche Rente stärken!!!

Keine Sockelrente, keine Grundrente, keine Basisrente.

Meine Damen und Herren,

unsere Forderungen sind solide finanzierbar, wenn man denn auf die Menschen hören würde und nicht auf die Initiative Neue Unsoziale Marktwirtschaft.

Die OECD hat die Menschen gefragt, wo die Menschen der Schuh drückt, wovor sie Angst haben. Die Ergebnisse wurden vorgestern veröffentlicht.

Zentrale Erkenntnis:

Die mit Abstand größte Sorge der Menschen in allen 36 OECD-Ländern ist ihre finanzielle Sicherheit im Alter.

In Deutschland betrachten mehr als drei Viertel der Befragten die Rente als das größte Risiko in ihrem Leben.

Da läuft doch etwas falsch in unserem Land!

Und darum ist fast die Hälfte (45 Prozent) der Deutschen bereit, zusätzlich zwei Prozent ihres Einkommens für eine höhere Rente zu bezahlen, also 65 Euro im Monat bei Durchschnittsverdienenden.

Und 77 Prozent der Deutschen wollen, dass Reiche stärker besteuert werden, um ärmere Bevölkerungsgruppen zu unterstützen.

Damit gibt es in Deutschland mehr Befürworter von stärkerer Umverteilung als in den meisten anderen Ländern (38 Prozent).

So und genau das setzt unser Finanzierungkonzept um.

 

Meine Damen und Herren,

für die Finanzierungsdetails schauen Sie bitte in unseren Antrag.

Eine armutsfeste und den Lebensstandard wieder sichernde Rente ist finanzierbar.

Sie nähme Millionen Menschen die Sorge vor Altersarmut.

Ich finde, das ist ein gutes Rentenkonzept für Jung und Alt.

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Übrigens (außerhalb der gehaltenen Rede): 

Der Rentenbeitragssatz von 18,6 Prozent ist der niedrigste seit 20 Jahren.

Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sind die Rentenausgaben seit mehr als 30 Jahren absolut stabil bei 11 Prozent.

Deshalb müssen wir jetzt entscheiden, dass wir den heutigen und zukünftigen Rentnerinnen mehr vom erwirtschafteten Kuchen zugestehen!

Um das Rentenniveau dauerhaft auf 53 Prozent zu erhöhen wollen wir den Rentenbeitragssatz bis 2030 schrittweise auf 25,7 Prozent erhöhen.

Das würde uns im Jahr 2020 29 Milliarden zusätzlich an Rentenbeiträgen bringen und im Jahr 2030 wären es gar 52 Milliarden zusätzlich.

Deshalb würden den Beschäftigten und ihre Chefinnen im kommenden Jahr bei einem durchschnittlichen Bruttoverdienst von 3364 Euro gerade mal knapp 39 Euro mehr im Monat in die Rentenkasse zahlen müssen.

2030 wird nach Schätzungen der Bundesregierung der durchschnittliche Bruttolohn bei 4537 Euro liegen.

Dann müsste man davon 88 Euro zusätzlich für eine sichere Rente ausgeben.

Aber dafür könnte man auf die vier Prozent Riesterbeitrag verzichten.

Kurz:

Bei einem paritätisch finanzierten Ausbau der gesetzlichen Rente hätte man am Ende mehr im Geldbeutel als vorher.