Die Antwort der Bundesregierung vom 03.04.2019 auf die Kleine Anfrage "Entwicklung der Tarifbindung in Deutschland", (BT-Drs. 19/8133) von Pascal Meiser u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, kommentiert Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher und Obmann im Ausschuss für Arbeit und Soziales der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag:
"Die tiefen Verwerfungen auf dem Postmarkt in Folge der inzwischen schon über 20 Jahre zurückliegenden Postprivatisierung treffen Nordrhein-Westfalen besonders hart. Denn ausgerechnet diese Branche, in der das mittlere Bruttomonatseinkommen (Median) der Kernbeschäftigten in den vergangenen zehn Jahren um 15,7 Prozent gesunken ist, wächst in NRW besonders schnell.
Da das mittlere Bruttomonatseinkommen (Median) in der Gesamtwirtschaft im gleichen Zeitraum um 23,7 Prozent gestiegen ist, liegt das Durchschnittseinkommen in der Branche inzwischen um 30 Prozent unterhalb des Durchschnittseinkommens aller Beschäftigten.
Bedenkt man, dass die wachsende Zahl ausländischer Subunternehmer bei den Paketdienstleistern von den vorliegenden Statistiken nicht erfasst ist, dürfte die Realität in der Branche sogar noch düsterer aussehen.
Es ist völlig inakzeptabel, dass viele Briefträger und vor allem Paketzusteller, die täglich dafür sorgen müssen, dass unsere Briefe und Pakete ihr Ziel erreichen, für diese harte Arbeit mit Niedriglöhnen abgespeist werden. Für Nordrhein-Westfalen ist ein Gegensteuern besonders dringlich, damit das Land im Strukturwandel nicht noch mehr den Anschluss an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung verliert. Eine herausragende Rolle muss dabei die Tarifbindung spielen, da Beschäftigte in tarifgebunden Betrieben in der Branche im Schnitt 662 Euro brutto mehr erhalten als ihre Kolleg*innen in nicht tarifgebundenen Unternehmen.
Die Bundesregierung muss dringend gegen die Schmutzkonkurrenz vorgehen, die die Löhne in dieser Branche immer mehr unter Druck setzt. Die Paketzustellung muss wie bei die Briefzustellung an das Vorliegen einer Lizenz geknüpft werden. Wer gegen Recht und Gesetz verstößt, dem muss diese Lizenz umgehend entzogen werden. Tarifverträge müssen künftig auch gegen den Willen der Arbeitgeberseite für allgemeinverbindlich erklärt werden können und auf aus dem Ausland entsandte Arbeitnehmer erstreckt werden. Schließlich muss endlich dafür gesorgt werden, dass auch die Postdienstleister für die Arbeitsbedingungen bei ihren zahllosen in- und ausländischen Subunternehmer haften, wie es in der Bau- und Fleischindustrie bereits geregelt ist, und dies mit verstärkten Kontrollen dann auch tatsächlich durchgesetzt werden.”
Zusammenfassung für Nordrhein-Westfalen:
Mit einer Zunahme um 38,5 Prozent auf 93.972 Beschäftigte ist in den vergangenen zehn Jahren in Nordrhein-Westfalen die Anzahl der Beschäftigten in der durch sinkende Durchschnittseinkommen geprägten Post-, Kurier- und Expressbranche deutlich stärker angestiegen als im Bundesdurchschnitt von 24,1 Prozent.
Auch die Anzahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten in dieser Branche stieg im von 2008 bis 2017 in NRW um 28,5 Prozent auf 26.853 und somit fast doppelt so schnell wie im Bund mit 14,7 Prozent.
Dieser überproportionale Anstieg der Beschäftigung bei den Post- und Paketdiensten ist jedoch alles andere als eine gute Nachricht für Nordrhein-Westfalen. Im Gegenteil: Der Trend zur Abkopplung und Nordrhein-Westfalens von der positiven Wirtschaftsentwicklung in den süddeutschen Flächenländern verfestigt sich, wenn die Beschäftigung gerade dort besonders stark steigt, wo gegen den gesamtwirtschaftlichen Trend die Einkommen stark sinken. Auch innerhalb von NRW öffnet sich mit diesem Beschäftigungswachstum im Niedriglohnsektor die Schere zwischen Arm und Reich weiter.
Dies zeigen die von der Bundesregierung nur für die Bundesebene vorgelegten Zahlen zur Einkommensentwicklung deutlich:
In der Post-, Kurier- und Expressbranche ist das mittlere Bruttomonatsentgelt (Median) von Kernbeschäftigten (1) zwischen 2007 und 2017 um 15,4 Prozent gesunken. Im gleichen Zeitraum ist das mittlere Bruttomonatsentgelt in der Gesamtwirtschaft um 23,7 Prozent angestiegen. Im Jahr 2007 war das mittlere Bruttomonatsentgelt in der Branche noch signifikant höher (10,2 Prozent) als das in der Gesamtwirtschaft. Im Jahr 2017 lag der Wert knapp 30 Prozent niedriger als in der Gesamtwirtschaft.
Das mittlere Bruttomonatsentgelt von Männern in der Post-, Kurier- und Expressbranche ist in dem Zeitraum zwischen 2007 und 2017 schneller und zwar um 17,2 Prozent auf 2.405 Euro in 2017 gesunken. Bei den Frauen ist das mittlere Bruttomonatsentgelt in der Branche um 7,3 Prozent auf 2.705 Euro in 2017 gesunken. Das mittlere Gehalt von Frauen in der Branche lag um 12,5 Prozent höher als das der Männer.
Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst von Vollzeitbeschäftigten in der Post-, Kurier- und Expressbranche ist zwischen 2007 und 2017 um 4,7 Prozent auf 3.121 Euro angestiegen. Dies lag um ein Viertel niedriger als der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Vollzeitbeschäftigten in der Gesamtwirtschaft (4.149 Euro). Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst von Teilzeitbeschäftigten in der Branche ist im gleichen Zeittraum um 16,8 Prozent auf 1.525 Euro angestiegen. Dies lag um mehr als ein Viertel niedriger als der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Vollzeitbeschäftigten in der Gesamtwirtschaft (2.102 Euro).
In tarifgebundenen Unternehmen in der Post-, Kurier- und Expressbranche ist der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst von Vollzeitbeschäftigten zwischen 2007 und 2017 um 4,3 Prozent auf 3.244 Euro angestiegen. In nicht-tarifgebundenen Unternehmen ist die Zahl im gleichen Zeitraum um 6,0 Prozent auf 2.582 Euro gesunken. Zwischen 2012 und 2015 war der Rückgang in nicht-tarifgebundenen Unternehmen mit 22,1 Prozent besonders stark. In 2017 verdienten Vollzeitbeschäftigte in tarifgebundenen Unternehmen durchschnittlich 662 Euro brutto mehr als Vollzeitbeschäftigte in nicht-tarifgebundenen Unternehmen in der Branche. Im Jahr 2007 war die Diskrepanz noch 363 Euro.
230.000 Beschäftigte in der Post-, Kurier- und Expressbranche oder 49,2 Prozent aller Beschäftigten in der Branche verdienten im Jahr 2014 einen Niedriglohn von (damals) weniger als zehn Euro. Damit lag der Niedriglohnanteil in der Branche mehr als doppelt so hoch wie in der Gesamtwirtschaft (21,4 Prozent).
In der ersten Hälfte des Jahres 2018 waren mehr als die Hälfte aller Neueinstellungen in der Post-, Kurier und Expressbranche befristet (52,7 Prozent). Die Befristungsquote lag damit signifikant höher als in der Gesamtwirtschaft (41,8 Prozent). In 2013 waren noch fast zwei Drittel (64,1 Prozent) aller Neueinstellungen befristet.
Ergebnisse im Einzelnen für das Bundesland Nordrhein-Westfalen:
Eine ausführliche Auswertung der Ergebnisse auf Bundesebene finden Sie hier.
(1) ausgenommen sind Beschäftigte über 64 Jahre, in Bildung oder Ausbildung oder in einem Wehr-, Zivil- sowie Freiwilligendienst.
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