Rede von Matthias W. Birkwald, MdB (DIE LINKE) zur abschließenden Lesung des AN DIE LINKE Aufgaben und Zusammensetzung der Altersarmutskommission – Altersarmut umfassend und mit den richtigen Mitteln bekämpfen“, BT-Drs. 17/4422 am 17. März 2011
Sehr geehrter Herr/Frau Präsident/in, meine Damen und Herren,
Altersarmut ist bereits heute ein Problem. Seit die „Grundsicherung im Alter“ in Kraft getreten ist, ist die Zahl der Rentnerinnen und Rentner, die auf sie angewiesen sind, um über 55 Prozent gestiegen. Im Jahr 2003 gab es knapp 260 000 Betroffene, Ende 2009 waren es schon fast 400 000. Bereits heute sind 15 Prozent der Menschen über 65 Jahre in Deutschland armutsgefährdet – beinahe genauso viele wie im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Armut im Alter ist aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters und begrenzter Möglichkeiten, an dieser Situation noch etwas zu ändern, in der Regel verfestigte Armut. Das Problem ist seit langem bekannt. Ebenso bekannt ist, dass in Zukunft mit einer rasant steigenden Altersarmut – insbesondere in Ostdeutschland zu rechnen ist.
Deswegen ist der Plan der Bundesregierung, eine Altersarmutskommission einzusetzen, die Vorschläge zur Bekämpfung der Altersarmut entwickeln soll, nicht falsch. Doch ihre Zielsetzung bleibt diffus. Und die geplante Beteiligung von Lobbyisten aus der Versicherungswirtschaft verheißt nichts Gutes. Zudem wird sie zu spät eingesetzt und die Verzögerung des Abschlussberichts bis September 2012 lässt befürchten, dass tatsächlich wirksame Maßnahmen letztendlich doch wieder unter den Kabinettstisch fallen werden.
Altersarmut ist politisch gemacht. Langzeiterwerbslosigkeit, die Ausbreitung von Niedriglohnbeschäftigung und die von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene und von späteren Regierungskoalitionen fortgesetzte langfristige Absenkung des Rentenniveaus führen dazu, dass viele Beschäftigte keine armutsfesten Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung mehr erhalten und auf die unzureichende „Grundsicherung im Alter“ angewiesen sind. Die Versicherten im Osten stehen in einer besonderen Gefahr, künftig im Alter in Armut zu leben. Frauen sind, waren und werden auch in Zukunft weiter stark von Altersarmut betroffen sein. Erwerbsgeminderte werden ebenfalls sehr häufig Renten unterhalb des Existenzminimums beziehen.
Die bisher bekannte Zielsetzung geht in die falsche Richtung. Denn statt zu prüfen, wie die gesetzliche Rentenversicherung so reformiert werden kann, dass sie den Lebensstandard im Alter wieder sichert und langjährigen Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern ein Rentenniveau bietet, das deutlich über dem Niveau der „Grundsicherung im Alter“ liegt, will sie die private und betriebliche Altersvorsorge weiter stärken. Wer hier nicht mitziehen kann, wer keine Mittel für eine private Vorsorge aufzubringen vermag, wird mit einer stigmatisierenden Fürsorgeleistung abgespeist. Stattdessen will DIE LINKE ein Leben in Würde für Alle statt nur für Einige.
DIE LINKE stellt deshalb klare Anforderungen an eine sinnvolle Kommissionsarbeit:
· Wir wollen das Verfahren beschleunigen und das Thema Altersarmut aus den ministeriellen Hinterzimmern herausholen. Deshalb muss die Kommission demokratisch zusammengesetzt sein: Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Sozialverbände, Seniorenorganisationen und Wissenschaft sowie alle Parteien des Deutschen Bundestages müssen beteiligt werden. Lobbyisten der Versicherungswirtschaft darf kein weitere Einflussmöglichkeit gegeben werden.
· Wir wollen Klarheit in der Analyse: Die politischen Ursachen von Altersarmut müssen benannt werden – insbesondere die verfehlte Rentenpolitik durch den Paradigmenwechsel seit 2001, mit der das Ziel der Lebensstandardsicherung mit der gesetzlichen Rente aufgegeben worden ist und die Privatisierung der Alterssicherung ebenso eingeführt wurde wie eine nach wie vor stigmatisierende und unzureichende Grundsicherung im Alter. Ein besonderes Augenmerk muss auf die Situation von Frauen und auf die in Ostdeutschland gelegt werden.
· Wir formulieren ein klares Ziel: Wir wollen Lebensstandardsicherung und Altersarmutsvermeidung durch Reformen der gesetzlichen Rente und des Arbeitsmarktes erreichen.
· Die Kommissionsarbeit muss dem Dreiklang gute Löhne, gute Arbeit, gute Rente folgen. Dazu gehört unweigerlich die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns sowie ein energischer Ausbau der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Kommission muss darüber hinaus das Konzept einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung ebenso prüfen wie innerhalb dieses Konzepts anzulegende Elemente der Mindestsicherung. Und gerade für Ostdeutschland muss endlich ein Konzept entwickelt werden, mit dem die Renten in Ostdeutschland möglichst schnell auf das Westniveau angehoben werden können.
Vielen Dank!
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