Mit nationalistischen Ausfällen ist der Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke in den letzten Monaten verstärkt negativ aufgefallen. Scheinbar positiv wirken dagegen seine sozialen Forderungen zur Rente. Steckt da mehr dahinter als der Versuch, Wählerstimmen einzufangen, vor allem im Osten Deutschlands?
Der Kölner Demografie- und Rentenexperte Professor Gerd Bosbach hat Höckes Rentenkonzept analysiert.
Herr Bosbach, was ist so interessant daran, wenn ein Landesverband der AfD sich ein Rentenkonzept ausdenkt?
Leider haben Höcke & Co. meine soziale Argumentation zu Demografie und Rente einfach kopiert. Vor allem die Belege zur These „Produktivität schlägt Demografie“. Da rechne ich genau vor, wie mit höheren Löhnen mehr Rentner gut versorgt wurden und in Zukunft auch werden können, wenn die Arbeitgeber bei Löhnen und Beiträgen nicht weiter geschont werden. Allerdings hat die AfD dieses Konzept durch nationalistische Forderungen verdreht.
Welche Strategie steckt dahinter?
Mich erinnert das an die Taktik der Nationalsozialisten vor 1933. Mit sozialen Forderungen von Gewerkschaften und KPD, teilweise auch von Sozialdemokraten, wurden die Arbeiter geködert, und anschließend wurden Juden vergast, die Entwickler der sozialen Forderungen in den KZs getötet und es wurde ein fürchterlicher Weltkrieg entfesselt.
Also glauben Sie der AfD nicht, dass sie die Rente wirklich sozial denkt.
Der Gesamt-AfD sowieso nicht, die wollen in wichtigen Teilen sogar die gesetzliche Rente zugunsten der unsozialen Privat-Rente opfern. Aber auch die Höcke-AfD scheint mir überwiegend andere Absichten zu haben.
Woraus schließen Sie das?
Höcke selber hat seine sozialen Aktivitäten 2018 so begründet: „Die soziale Frage war das Kronjuwel der Linken, es war ihre Existenzgarantie. Und wenn wir als AfD glaubwürdig bleiben und entschlossen bleiben, dann können wir der Linken dieses Kronjuwel jetzt abjagen! Und das sollten wir tun!“
Es sind also taktische Motive, nicht Sorge und Einsicht über steigende Altersarmut. Außerdem verdreht seine thüringische AfD richtige soziale Analysen zu nationalistischen und damit unsozialen Forderungen.
Geht das etwas genauer?
Im Höcke-Rentenpapier heißt es: „Doch nicht nur die gebrochenen Erwerbsbiographien bedingen zunehmend die Altersarmut. Hinzu kommt: Deutschland beherbergt den größten Niedriglohnsektor Europas …“. Richtig!
Aber dem begegne ich doch nicht mit einer Staatsbürgerrente – nur für Deutsche. Gerade ausländische Kollegen sind im besonderen Maße von Arbeitslosigkeit, Niedriglöhnen und daraus folgenden Armutsrenten bedroht.
Da werden nationalistische Gedanken scheinbar aus sozialen Analysen gefolgert. Deshalb glaube ich Höcke die sozialen Absichten nicht. Statt der Wertschätzung der Arbeit interessiert die AfD die Wertschätzung der richtigen nationalen Herkunft. Aber soziales Denken ist nicht teilbar.
So ist es. Durch die Übernahme der Begründungen aus der sozialen Bewegung – und tatsächlich gut geschrieben – erscheint das Papier erst einmal attraktiv für Leute, die ohnehin weniger Ausländer im Land haben wollen. Aber bei gründlicher Lektüre müsste auch denen vieles unangenehm auffallen.
Zum Beispiel?
Die Thüringer AfD will die Beitragsbemessungsgrenze zunächst beibehalten. Das ist unsozial, auch für Deutsche, denn Spitzenverdiener zahlen einen geringeren Anteil ihrer Einkommen in die Rentenkasse ein als Arbeitnehmer mit geringeren Einkommen.
Welche Ideologie sehen Sie hinter dem Konzept?
Als Nutznießer der Veränderungen der letzten Jahrzehnte wird fast nur „das internationale Versicherungskapital“ oder an anderer Stelle „das grenzenlose internationale (Finanz-)Kapital“ genannt.
Da schimmern schon die rechten Feinde durch, das Ausland und das Geldkapital – bei Rechten oft mit Juden assoziiert.
Dass die Hauptnutznießer und Betreiber der Rentenreformen alle Arbeitgeber sind, also auch die deutschen, die bei ihren Beiträgen zur Rente massiv sparen, das haben die AfDler beim Abschreiben aus der sozialen Bewegung bewusst „übersehen“.
Warum?
Das Motto lautet: Zur deutschen „Volksgemeinschaft“ gehören alle, egal ob Arbeiter oder klein- und mittelständische Unternehmer. Der „wahre“ Feind sitzt im Ausland.
Bei der Frage des Renteneintrittsalters wird es für alle unsozial. Mit vielen schönen Worthülsen verbrämt wird jede Grenze für den Renteneintritt abgelehnt. „Wann jemand nicht mehr in der physischen oder psychischen Verfassung ist, am Arbeitsleben teilzunehmen, soll jeder für sich entscheiden. Der Rentenantritt wird jedermann ab 63 Jahren freigestellt.“
Klingt doch gut, oder?
Ja, aber von einer Obergrenze für den Renteneintritt ist keine Rede. Die daraus folgenden Abschläge bei der Rente werden zwar zugegeben, aber für Deutsche wegen des Ausgleichs durch die Staatsbürgerrente als unwichtig abgetan.
Und es kommt noch heftiger. Höcke sucht nach Lösungen wie „das Arbeitseintrittsalter gesenkt“ werden kann.
Verlängerung der Lebensarbeitszeit nach unten und nach oben, das gibt es mit der Höcke-AfD. Die Arbeitslosigkeit wird so sicher nicht gesenkt.
Sozial ist anders.
Hat ein solches Konzept irgendwelche Realisierungschancen?
Ich vermute stark, dass die Forderungen auch juristisch nicht haltbar sind. Die Diskriminierung von Nicht-Deutschen verstößt gegen das Grundgesetz, wo es in Artikel 3 ausdrücklich heißt „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ und nicht „Alle Deutschen sind gleich“.
Aber das wird Höcke & Co. nicht stören.
Es geht um Stimmenfang – aktuell bei drei ostdeutschen Landtagswahlen - und um Verbreitung nationalistischer Töne, nicht um Verhinderung von Altersarmut.
Wer gegen Altersarmut aufstehen will, sollte bei den Originalen der sozialen Forderungen suchen, nicht beim nationalistischen Plagiat.
Was ist der entscheidende Unterschied zwischen Original und Plagiat?
Viele Papiere aus den sozialen Bewegungen, aus Gewerkschaften und einigen sozialen Parteien harren der Umsetzung. Dabei werden die Interessen der Gewinner der Demografie-Angst – vorwiegend alle Arbeitgeber und Versicherungen - eingeschränkt.
Das erfordert Mut und nicht Nationalismus.
Die AfD wird gegen Altersarmut sicherlich nicht helfen.
Die Höcke-Rente ist ja nur ein Beitrag zur innerparteilichen Debatte. Wie sieht denn die Rentenpolitik der Gesamt-AfD aus?
Sie erinnert mich an einen Gemischtwaren-Laden. Für die Besserverdienenden fordert Jörg Meuthen mehr Privatrente.
Eine Forderung, die sicher auch bei wohlhabenden Partei-Spendern gut ankommt.
Zugleich fordert Höcke für die Ärmeren und Enttäuschten „Weg mit der Privatrente“ und eine Stärkung der gesetzlichen Rente für Deutsche.
So können sie überall Stimmen saugen.
Auch das kennen wir schon aus der Geschichte. Der eine Teil der NSDAP hat mit der deutschen Groß- und Rüstungsindustrie geplant, der andere mit abgeschriebenen sozialen Forderungen Stimmen gefangen.
Die Folgen waren damals katastrophal und für fast alle auch unsozial.
Glauben Sie, dass die AfD sich irgendwann zwischen dem sozialen und dem neoliberalen Nationalismus entscheiden wird?
Ob der Kampf der insgesamt sieben Konzepte in der Partei jemals ausdiskutiert wird, scheint offen. Bisher wird das immer nur verschoben.
Wenn aber doch, wird wahrscheinlich wahltaktisch entschieden.
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