Auf diesen Punkt ging auch Linksfraktionschefin Amira Mohamed Ali ein, die zugleich in dem Hilfspaket viele gute Regelungen ausmachte. Andere Regelungen zum Schutz Benachteiligter fehlten jedoch. So wäre ein finanzieller Ausgleich wichtig für Arbeitnehmer in „systemrelevanten“ Berufen, die teilweise „Hungerlöhne“ bekämen. Es sei auch ein fataler Fehler gewesen, lokale Produktionen abzubauen und dem Gesundheitswesen ein Spardiktat aufzuerlegen.
Sie fügte hinzu, viele Menschen stünden derzeit wirtschaftlich vor unlösbaren Problemen. Das Kurzarbeitergeld sollte daher auf 90 Prozent angehoben werden. Auch die ärmsten Teile der Bevölkerung, Hartz-IV-Bezieher und kleine Rentner, aber auch Obdachlose bräuchten mehr Hilfe. Die Linke-Politikerin forderte im Gegenzug eine Sonderabgabe von Menschen mit sehr großen Vermögen und Einsparungen beim Militäretat. Sie warnte außerdem davor, Freiheitsrechte auf Dauer einzuschränken. Das Land dürfe nach der Krise nicht weniger demokratisch und freiheitlich sein.
Vollständiger Redetext:
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen!
Das Hilfspaket der Bundesregierung zur Bewältigung dieser beispiellosen gravierenden Krise enthält viele gute Regelungen, mit denen wir einverstanden sind. Die Gespräche, die wir in den letzten Tagen mit der Bundesregierung dazu geführt haben, waren sehr konstruktiv.
Dennoch fehlen nach wie vor wichtige Regelungen, die notwendig sind, um sicherzustellen, dass durch diese Krise nicht viele Menschen in Not geraten und dass sich dadurch das Gesicht unseres Landes nicht extrem verändern wird.
Aber auch ich möchte zunächst auf die Menschen zu sprechen kommen, die in dieser Krise Herausragendes leisten. Das sind zum Beispiel die Beschäftigten im Gesundheitswesen, im Einzelhandel, die Berufskraftfahrer und viele andere in den sogenannten systemrelevanten Berufen. Ihnen wird in diesen Tagen zu Recht viel gedankt auch hier in diesem Hause. Man kann auch nicht oft genug Danke sagen.
Aber dieser Dank sollte sich nicht nur in Worten zeigen, nein, hier braucht es auch einen angemessenen finanziellen Ausgleich für die erhöhte Arbeitsbelastung, für die Würdigung dieses außergewöhnlichen Engagements.
Ein Zuschlag von 500 Euro pro Monat für diejenigen, die in den systemrelevanten Berufen arbeiten, das ist das Mindeste.
Und es kann nicht sein, dass zum Beispiel Pflegerinnen und Pfleger, deren enorme Wichtigkeit für unsere Gesellschaft uns jetzt jeden Tag vor Augen geführt wird, weiter zu Hungerlöhnen arbeiten müssen. Bitte entsprechen Sie unserem entsprechenden Antrag.
Und selbstverständlich muss sich die Wertschätzung auch darin zeigen, dass denjenigen, die aus beruflichen Gründen jetzt viel Kontakt zu Menschen haben - und das sind nicht nur Ärzte, Pfleger, Verkäuferinnen und Verkäufer, das sind auch Polizistinnen und Polizisten -, flächendeckend Schutzkleidung zur Verfügung gestellt wird. Hier braucht es wirkliche klare und schnell umzusetzende Konzepte und eine entsprechende Priorisierung.
Es war ein fataler Fehler, dass lokale Produktion abgebaut wurde und dass nicht genügend bevorratet wurde.
Aber auch die Kürzungspolitik im Gesundheitsweisen, das Spardiktat durch die Privatisierung der letzten Jahre, war falsch.
Gesundheit ist keine Ware; das muss spätestens, wirklich spätestens jetzt klar sein.
Die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes ist richtig. Aber uns muss doch auch klar sein, dass viele Menschen trotzdem vor unlösbaren Problemen stehen. Denjenigen, denen jetzt gerade der volle Lohn zum Leben ausreicht, reichen die 60 Prozent Lohnfortzahlung eben nicht. Deswegen muss das Kurzarbeitergeld auf 90 Prozent des vorherigen Lohns erhöht werden. Das sichert wesentlich besser ab.
Und Mitbestimmungsrechte dürfen auch in diesen Zeiten keinesfalls geschliffen werden; das fordern zu Recht auch die Gewerkschaften.
Ein weiterer Punkt, der im Paket der Bundesregierung nicht genug Berücksichtigung findet, betrifft die Ärmsten unserer Gesellschaft, diejenigen, die von Hartz IV betroffen sind und diejenigen mit sehr kleinen Renten: Hilfsangebote wie die Tafeln fehlen vielerorts. Und Nebenjobs, die benötigt werden, um kleine Renten aufzubessern, können nicht mehr angetreten werden, weil es diese Jobs nicht mehr gibt oder weil gerade ältere Menschen jetzt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr das Haus verlassen dürfen. Es ist darum notwendig, hier zu helfen. Deswegen: Stimmen Sie bitte unserem Antrag zu, die kleinen Renten und das Arbeitslosengeld II um 200 Euro pro Monat aufzustocken!
Es ist auch dringend notwendig, dass den obdachlosen Menschen in dieser Krise geholfen wird, die jetzt vor noch größeren Schwierigkeiten stehen, weil eben Hilfsangebote fehlen und es keine Spenden von Passanten mehr geben kann. Es ist notwendig, dass der Bund die Kommunen jetzt dringend mit Mitteln ausstattet, um hier schnelle Hilfsangebote zu schaffen.
Ein wesentlicher Punkt, über den wir hier heute sprechen und abstimmen werden, ist, dass in dieser Notsituation trotz der Schuldenbremse Schulden gemacht werden können. Wir werden dem als Linke zustimmen. Wir haben die Schuldenbremse, diese unnötige Beschränkung der Handlungsfähigkeit des Staates, schon immer für einen Fehler gehalten.
Wir müssen aber wirklich jetzt auch schon darüber reden, wie diese Schulden nach der Krise zurückgezahlt werden; denn wir Linke wollen verhindern, dass die Rückzahlung zu einem Sozialabbau und einem weiteren Investitionsstau führt.
Wir sind uns alle einig, dass es in dieser historischen Krise Solidarität verlangt, und große Teile der Gesellschaft leben sie jetzt ja auch vor. Die einen verzichten darauf, Konzertkarten zurückzugeben, die anderen spenden Lebensmittel oder Kleidung für Bedürftige und gehen für ältere Menschen in der Nachbarschaft einkaufen. Das, was an so vielen Stellen im Kleinen gilt, muss auch im Großen geschehen. Es gibt in unserer Gesellschaft einige mit sehr starken Schultern, mit einem riesigen Vermögen. Wir fordern eine Sonderabgabe für Multimillionäre und Milliardäre, damit sie einen gerechten Beitrag zur Bewältigung dieser historischen Krise leisten.
Wenn der Staat jetzt richtigerweise auch in Unternehmen einsteigt, um sie zu stützen und Arbeitsplätze zu sichern, dann muss bereits jetzt klar sein, dass bitte auch der Staat davon profitiert, wenn nach dieser Krise die Unternehmensgewinne wieder fließen. Das viel zu oft geltende Prinzip, dass die Gewinne privatisiert werden, die Schulden aber die Allgemeinheit tragen muss, darf hier nicht gelten.
Eine Einsparung, die dringend vorgenommen werden muss, ist eine Einsparung im Militäretat. Er ist viel zu hoch, und in diesen Zeiten weiter am 2-Prozent-Rüstungsziel der NATO festzuhalten, ist Wahnsinn.
Ich möchte hier auch ausdrücklich António Guterres, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, zustimmen, der Anfang dieser Woche im Angesicht dieser Pandemie einen weltweiten Waffenstillstand gefordert hat. Wenn Deutschland einen Beitrag dazu leisten will, dann müssen selbstverständlich sofort alle Waffenexporte gestoppt werden.
Außerdem dürfen die Menschen, die aus Krieg und Elend geflohen sind und jetzt auf den griechischen Inseln bzw. an der griechischen Grenze ausharren müssen, in dieser Krise nicht vergessen werden. Dazu gehört eben auch, dass die Bundesregierung ihre Zusage, die minderjährigen Flüchtlinge aufzunehmen, nicht vergisst.
Wir stellen heute wichtige Weichen - nicht nur dafür, was während dieser Krise geschieht, sondern auch dafür, wie dieses Land nach der Krise aussehen wird.
Es gibt große Unternehmen, die sehr stark sind, die über große Rücklagen verfügen. Sie werden diese Krise - teilweise auch mit staatlicher Hilfe - überstehen. Daneben gibt es die anderen, die kleinen und die mittelständischen Unternehmen, die diese Rücklagen nicht haben. Ja, das Hilfspaket enthält Kredithilfen und teilweise auch Direktzahlungen. Das alles sind richtige Schritte, die wir unterstützen. Für viele sind diese Direktzahlungen aber leider nur Tropfen auf heiße Steine, und die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen, kommt für viele kleine und mittelständische Unternehmen, für Handwerksbetriebe, für Soloselbstständige, aber auch für Künstlerinnen und Künstler nicht infrage, weil Kredite ja zurückgezahlt werden müssen, was ihnen nicht möglich ist.
Diese Menschen brauchen umfassende Hilfe, und zwar schnell und unbürokratisch. Nur so kann verhindert werden, dass durch diese Krise die weitere Monopolisierung der Märkte, die Verdrängung kleinerer und mittlerer Unternehmen durch wenige Großkonzerne, exponentiell vorangetrieben wird. Wir müssen alles tun, um die Vielfalt zu erhalten - auch die Vielfalt der Kunst und der Kultur -; denn diese Vielfalt macht uns aus. Das ist der größte Reichtum, den wir haben.
In diesen Zeiten tragen nicht nur die öffentlich-rechtlichen, sondern auch viele private, lokale Medien eine große Verantwortung. Die Regionalzeitungen, die lokalen TV- und Radiosender: Sie sind wichtiger denn je. Sie informieren vor Ort, sie klären auf, und sie bilden ein wichtiges Gegengewicht gegen so manche Falschinformation aus dem Internet. Sie brauchen jetzt Hilfe, weil überlebenswichtige Werbeeinnahmen wegbrechen. Das Gleiche gilt auch für freie Journalistinnen und Journalisten, die jetzt ohne Aufträge dastehen. Wenn wir der freien Presse helfen, dann stützen wir unsere Demokratie.
Die notwendige Eindämmung der Pandemie erfordert derzeit Einschränkungen von Grundrechten, wie wir es uns vor zwei Wochen noch nicht vorstellen konnten. Es ist jetzt auch die Zeit, in der sich die Demokratie bewähren muss, und deshalb ist dies auch die Stunde, in der wir darauf achten müssen, dass Grund- und Freiheitsrechte nicht durch die Hintertür dauerhaft ausgehöhlt und eingeschränkt werden.
Hierbei wird die Linke nicht mitmachen. Wir werden nicht zustimmen, wenn es zum Beispiel um Handytracking oder um eine dauerhafte Beschneidung von Versammlungsrechten geht. Wir werden nicht zulassen, dass parlamentarische Mitbestimmungsrechte ausgehebelt werden. Unser Land darf nach dieser Krise keinesfalls weniger demokratisch und freiheitlich sein.
Vielen Dank.
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