Meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Rentenberaterinnen und Rentenberater,
haben Sie vielen Dank für die Möglichkeit, Ihnen zu Ihren Rentnerberatertagen ein Grußwort übermitteln zu dürfen.
Das Jahr 2020 war ein rentenpolitisch ereignisreiches Jahr. Neue Gesetze und neue Rahmenbedingungen, aber sicher auch die Verunsicherung, wie es mit der Rente nach der coronabedingten Wirtschaftskrise weitergehen wird, werden sich auch in Ihrem Berufsalltag und den kommenden Beratungsgesprächen, aber vor allem in den von Ihnen unterstützten Sozialgerichtsverfahren der ersten und zweiten Instanz niederschlagen.
Lassen Sie mich aus meiner Sicht kurz die wesentlichen Stationen aus dem Rentenjahr 2020 benennen:
Im vergangenen Dezember beschloss die Koalition aus SPD und Union nach langem Ringen und unserem Druck, mit einem Freibetrag von 159,25 Euro zumindest Bezieherinnen und Bezieher kleiner Betriebsrenten zu entlasten. Der Freibetrag gilt seit dem 1. Januar 2020. Doch bei den meisten Betriebsrentnern und Direktversicherten wird er bis heute leider immer noch nicht angewandt. Ich habe mich gegenüber dem zuständigen Ministerium mehrmals beschwert, dass die Zahlstellen der Betriebsrenten gemeinsam mit den Krankenkassen die bürokratischen Voraussetzungen für diese eigentlich trivialen Vorgang schaffen und die minimale Entlastung endlich auf den Konten der Betroffenen ankommen möge.
Im März wurden die Ergebnisse der Rentenkommission veröffentlicht. Es war nur den Gewerkschaften zu verdanken, dass die Rentenkommission keine Rente erst ab 70 und keinen Komplettabsturz des Rentenniveaus beschlossen hat. Das sind die einzigen guten „Ergebnisse“ im 126 Seiten dicken Abschlussbericht. Etwas polemisch muss ich sagen: Diese Veranstaltung hätte man sich sparen können und es hat sich bewahrheitet, dass es ein Riesenfehler war, die Rentenexperten der demokratischen Oppositionsparteien mit Rentenkonzepten nicht in die Kommission zu berufen.
Nach einer jahrelangen Debatte und dem Sperrfeuer von Arbeitgeberverbänden und dem Wirtschaftsflügel der Union wurde mit der sogenannten „Grundrente“ ein umstrittenes, aber sozialpolitisch wichtiges Werkzeug im Kampf gegen niedrige Löhne und niedrige Renten (wieder) eingeführt. Von diesem Rentenzuschlag für lange Phasen im Niedriglohnsektor werden zumindest 1,3 Millionen Menschen profitieren und nun im Durchschnitt 75 Euro Rente mehr erhalten. Aber es hätten drei Millionen Menschen sein können. Das haben CDU und CSU verhindert und sie haben die Hürden für den Zugang massiv erhöht, die Leistungen gekürzt und – so muss man leider sagen: Sie haben aus sozialem Geiz ein bürokratisches Monstrum geschaffen.
Wir werden in den nächsten Monaten und Jahren riesige Umsetzungsprobleme, viel Frust bei den Betroffenen und sicherlich auch viele Gerichtsprozesse auf uns zukommen sehen. Viele werden frustriert sein, weil ihnen schon der Titel „Grundrente“ etwas Falsches verspricht, weil sie die 33 Beitragsjahre nicht schaffen oder wenn sie diese schaffen, dann sehen müssen, dass der versprochene Zuschlag erst gewährt und dann völlig willkürlich um 12,5 Prozent gekürzt wird. Viele Betroffene werden aber vor allem frustriert sein, wenn ihnen der Zuschlag in einem Jahr zusteht und im nächsten Jahr nicht zusteht, weil vielleicht ein Ehepartner einen Minijob annimmt und das Paar dann über die Einkommensprüfung stolpert. Diese haarsträubend komplizierte Einkommensprüfung bei einer durchschnittlichen Leistung von 75 Euro ist für die Betroffenen entwürdigend und für die Rentenversicherung und die Finanzämter ein Graus. DIE LINKE hatte in die parlamentarischen Beratungen viele konstruktive Änderungsanträge eingebracht. Leider vergebens.
Aber für das Jahr 2020 stehen noch einige Highlights auf der Tagesordnung.
Der Referentenentwurf zur „Digitalen Rentenübersicht“ liegt zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Grußwortes bereits vor.
Meine Damen und Herren, ich schließe mich Ihrer Stellungnahme an, dass niemand etwas gegen das Ziel des Gesetzes haben kann, den Versicherten „durch regelmäßige, möglichst vollständige, verständliche, verlässliche und vergleichbare Informationen zum Stand der individuellen Alterssicherung“ einen klaren Blick auf ihre eigene finanzielle Zukunft zu sichern. Es darf aber nicht sein, dass erst in einer späteren Verordnung die Vorgaben an die privaten Versicherer geklärt werden. Gewerkschaften, Sozialverbände, die Rentenberaterinnen und Rentenberater, aber vor allem der Deutsche Bundestag müssen an der Ausgestaltung der neuen Renteninformation von Anfang bis Ende beteiligt werden. Wichtig ist mir auch, dass den Versicherten diese umfassende Renteninformation nicht nur digital, sondern auch schriftlich, schwarz auf weiß, und Jahr für Jahr, zugesandt werden wird, denn auch Menschen ohne einen Internetzugang haben ein Recht auf barrierefreie Informationen.
Das BMAS plant – seit Jahren überfällig – einen Schritt in Richtung Erwerbstätigenversicherung zu gehen und Selbständige verpflichtend in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen. Der Streit wird sich sicherlich darauf konzentrieren, wie das sogenannte OptOut gestaltet werden wird und wie Selbständigen der Weg in die gesetzliche Rentenversicherung eröffnet werden wird – oder eben nicht.
DIE LINKE im Bundestag wird auf dem Weg zur Erwerbstätigen-versicherung einen Schritt weiter gehen. Wir haben ein realistisches Modell entwickelt, das sicherstellt, dass Bundestagsabgeordnete ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und spätestens von Herbst 2021 an in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden können (Drucksache 19/17255). Wir wollen gleichzeitig die Beitragsbemessungsgrenze für alle hohen Einkommen bis 2023 verdoppeln und sehr hohe Rentenansprüche im höchsten verfassungsmäßig zulässigen Maße abflachen. Dann würden nicht nur Bundestagsabgeordnete, sondern endlich auch Besserverdienende mehr an der Finanzierung gesetzlicher Renten beteiligt werden.
Zu guter Letzt bin ich sehr gespannt, da laut Medienberichten der Bundesfinanzhof noch in diesem Jahr über die doppelte Besteuerung von Renten entscheiden will. Finanzminister Olaf Scholz wird sich dann nicht mehr wegducken können vor dem Unmut, der Komplexität und auch den Ungerechtigkeiten, die mit der zunehmenden Rentenbesteuerung verbunden sind. Auch hier war DIE LINKE im Bundestag Vorreiterin und hat mit einem Antrag (Drucksache 19/10282) und einer Anhörung im Finanzausschuss nicht nur das Thema auf die Tagesordnung des Bundestages gebracht, sondern auch einen Lösungsweg präsentiert. Um die Doppelbesteuerung so weit wie möglich einzudämmen, müssen die Stufen bis zur vollständigen nachgelagerten Rentenbesteuerung nicht nur bis 2040 sondern bis 2070 verlängert werden.
Lassen Sie mich am Ende noch auf eine große Baustelle hinweisen, die Sie sicherlich auch in Ihrer Beratertätigkeit seit Jahren kennen dürften. Ich nehme immer mehr – in Emails, Anrufen oder bei der Lektüre von Sozialgerichtsurteilen – wahr, dass die Erwerbsminderungsrente endlich in den Focus der Politik rücken muss. An erster Stelle steht dabei vor allem die drückende Ungerechtigkeit, dass die Bestandsrenten von den Verbesserungen bei der Zurechnungszeit ausgeschlossen wurden und dazu erwarten die Sozialverbände VdK und SoVD noch in diesem Jahr eine Entscheidung des Bundessozialgerichts.
Aber es gibt auch beim Zugang zu Erwerbsminderungsrenten, bei der Beurteilung von psychischen Erkrankungen und nicht zuletzt bei der Frage des verschlossenen Arbeitsmarktes so viele Baustellen, dass hier kleine Reformschrittchen nicht mehr weiter helfen.
Deshalb wäre ein rentenpolitischer Neuanfang im Umgang mit chronisch kranken Menschen für mich eines der wesentlichen Themen für die nächste Legislaturperiode. Ich weiß, dass zu diesem Thema aus Ihrer Beratungstätigkeit sehr viel Sachverstand vorhanden ist und sicherlich auch viele spannende Einzelfragen auftauchen und darum würde ich mich über einen Austausch – nicht nur zu diesem „Herzensthema“ – mit Ihnen sehr freuen.
Ich wünsche Ihnen interessante und informative Rentenberatertage und Ihrer Veranstaltung einen guten Verlauf.
Mit freundlichen, angst und virenfreien, gelassenen und gesundheitsfördernden Grüßen,
Ihr Matthias W. Birkwald
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