SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und FDP haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, der in der Rentenpolitik viele Fragen offen lässt und mit 'Haltelinien', 'Prüfaufträgen' und der Neuauflage von in den vergangenen vier Jahren nicht Erledigtem, eher nach Stillstand als nach Neustart oder gar Fortschritt aussieht. Ich habe mir das Kapitel genauer angeschaut. Finden Sie hier eine Kurzbewertung und als Download am Ende der Seite eine 23 Seiten lange ausführliche Bewertung.
Das einzig Gute an den Koalitionsbeschlüssen zur Rente ist, dass die FDP sich mit ihren radikalen Angriffen auf die gesetzliche Rente nicht durchsetzen konnte: Die Regelaltersgrenze wird nicht erhöht, und das Mindestrentenniveau von 48 Prozent ohne Rechentricks bleibt als untere Haltelinie erhalten. Eine echte Aktienrente zu Lasten der gesetzlichen Rente wird es nicht geben. Aber: Das Ergebnis dieses Abwehrkampfs heißt sozialdemokratischer Stillstand im Kampf für ein höheres Rentenniveau. Auf die große Frage, wie die stetig steigende Altersarmut bekämpft werden soll, finden sich im Koalitionsvertrag keine Antworten. Mit rentenpolitischem ‚Fortschritt’ oder gar einem ‚Neustart‘ hat das nichts zu tun", erklärt Matthias W. Birkwald, Rentenexperte der Fraktion DIE LINKE. Birkwald weiter:
Wir brauchen jetzt gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Sozialverbänden eine echte Debatte über eine stabile Finanzierung guter Renten. Die Steuerschätzung geht für die kommenden Jahre von zusätzlichen 15 Milliarden Euro pro Jahr aus. Da die Ampel auf Steuererhöhungen für Reiche verzichtet und die Beitragssatzbremse im Gesetz bleibt, heißt das klipp und klar: Für echte Leistungsverbesserungen für heutige und zukünftige Rentnerinnen und Rentner bleibt nichts mehr übrig. Und für eine sachgerechte Finanzierung der vielen nichtbeitragsgedeckten Leistungen gibt es ebenfalls kein Geld.
Von den zehn Milliarden Euro, die die Rentenversicherung im kommenden Jahr auf Wunsch der FDP bis auf Weiteres auf dem Kapitalmarkt parken soll, sind jedenfalls keine großen Sprünge zu erwarten, denn dieser Betrag entspricht in etwa den Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung von elf Tagen.
Viel sinnvoller wäre es gewesen, die Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung umzubauen, in die beispielsweise auch Politiker:innen und Beamt:innen einbezogen worden wären. Hier haben sich SPD und GRÜNE von der FDP die Butter vom Brot nehmen lassen. Alle jetzigen und künftigen Rentnerinnen und Rentner sind also die Verlierer der Koalitionsverhandlungen. Die Rentenkürzungspolitik der vergangenen 20 Jahre wird einfach fortgeschrieben - und mit der Wiedereinführung des Nachholfaktors werden die Renten im kommenden Jahr weniger stark steigen als bisher angenommen. Und das bei einer durchschnittlichen Rente von nur 1087 Euro netto vor Steuern.
Wir begrüßen die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro im kommenden Jahr. Das ist nicht zuletzt ein Erfolg der LINKEN im Bundestag, die seit Jahren sagt, dass der Mindestlohn bisher zu niedrig war und nicht vor Altersarmut schützen konnte. Davon könnten bis zu zehn Millionen Beschäftigte profitieren. Rechnet man den Sprung von 9,82 Euro auf zwölf Euro in eine spätere Rente um, so ergäbe sich nach 45 Jahren ein monatliches Plus von rund 150 Euro mehr Rente netto und man käme dann knapp über die heutige Sozialhilfeschwelle von 852 Euro. Das zeigt, dass der gesetzliche Mindestlohn ein wichtiger Schutzschirm gegen Altersarmut ist, aber bei Weitem nicht ausreicht.
Durch die Ausweitung der Minijobgrenze drohen außerdem viele der guten Effekte eines höheren gesetzlichen Mindestlohns wieder zunichte gemacht zu werden. Mehr als eine halbe Million sozialversicherungspflichtige Jobs werden durch Minijobs verdrängt. Geringfügig Beschäftigte bleiben oft im Niedriglohnsektor hängen, müssen unter ihrer Qualifikation arbeiten, sie bekommen oft keinen bezahlten Urlaub und keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Da die Wenigsten Rentenbeiträge entrichten, bringt ein Minijob oft kaum etwas für die eigene Rente und kostet die Sozialversicherungen mehrere Milliarden Euro im Jahr.
Erfreulich ist, dass nach vierjähriger Blockade endlich auch die Erwerbsminderungsrenten im Bestand verbessert werden sollen und der Härtefallfonds für Ostdeutsche, jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler endlich kommen soll. Das lange Verschleppen der alten Bundesregierung hat dazu geführt, dass viele Berechtigte nichts mehr von der Entschädigung haben werden. Deshalb muss jetzt unverzüglich ein fünfstelliger Betrag auf den Tisch, um diese Rentenungerechtigkeiten wenigstens im Ansatz zu heilen.
Das gleiche gilt für die seit 1976 offene Frage, dass arbeitende Strafgefangene für ihre Arbeit keine Rentenpunkte erhalten. Eine entsprechende Regelung ist bisher im Dickicht des Föderalismus blockiert worden. Hier braucht es im Geiste einer echten Resozialisierung endlich ein Bundesgesetz und Bundesmittel. DIE LINKE hat dazu schon 2013 und 2014 entsprechende Anträge eingebracht (Drucksache 17/13103 und 18/2606) und wurde immer wieder auf die Länder als angebliche Blockierer verwiesen.
Insgesamt bleibt der Koalitionsvertrag aus rentenpolitischer Sicht aber trotz dieser punktuellen Verbesserungen eine große Enttäuschung. Da die Wirtschaftsforschungsinstitute und die OECD ihre Wachstumsprognose nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamten Industriestaaten senken, sind auch konjunkturell keine sprudelnden Steuereinnahmen zu erwarten. Da im kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder greifen werden wird, werden jetzt schon Konflikte um politisch verknappte Mittel konstruiert: Müssen die Rentenausgaben nicht gekürzt werden, damit mehr in den Klimaschutz investiert werden kann? In den kommenden vier Jahren – so sieht es aus – droht rentenpolitischer Stillstand. Das heißt: Der Rente wird es mit der Ampel womöglich schlechter ergehen als unter Schwarz-Rot!
Wer eine gute und gerechte Rente mit einem lebensstandardsicherndem Rentenniveau von 53 Prozent und einer echten armutsfesten Solidarischen Mindestrente will, muss beim nächsten Mal DIE LINKE wählen.
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