Heute berichten die Zeitungen der WAZ-Gruppe über meine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. Hier die wesentlichen Ergebnisse und meine Forderungen.
Die Antworten auf die Anfragen finden Sie hier zum Download: Drucksache 20/1253 (bundestag.de)
In Nordrhein-Westfalen konzentrieren sich wie in einem Brennglas zwei grundlegende gesellschaftliche Fehlentwicklungen: Zum Einen führte in den vergangenen zehn Jahren auch in NRW das zu niedrige Rentenniveau zu einer deutlichen Zunahme der Armut im Alter.
Zum Anderen wird diese Entwicklung durch die von harten Strukturbrüchen, dem massenhaften Wegfall gut bezahlter, tariflich geschützter industrieller Arbeitsplätze und einem viel zu großen Niedriglohnsektor geprägte spezifische wirtschaftliche Situation des Landes verstärkt: Zu niedrige Löhne, zu lange Erwerbsunterbrechungen oder zu kurze Teilzeit wegen Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Sorgearbeit verstärken die Wirkungen des zu niedrigen Rentenniveaus in NRW.
Wer behauptet, Armut und insbesondere Altersarmut, sei in Nordrhein-Westfalen nur ein Randphänomen, wird durch die umfangreiche Zahlensammlung der Antwort auf meine Kleine Anfrage an die Bundesregierung eines besseren belehrt: In NRW lebten im Jahr 2020 16,4 Prozent aller über 65jährigen in Armut (2010: 12,1 Prozent). Ältere Frauen waren überproportional stark von Altersarmut betroffen (18,5 Prozent) [1]. Vor Allem die Metropolen Köln, Düsseldorf und Dortmund sind besonders stark von Altersarmut betroffen und dort steigt die Altersarmut auch überdurchschnittlich stark an. Ein besonders hohes Armutsrisiko haben alleinstehende Frauen im Alter und chronisch kranke Menschen mit einer dauerhaften Erwerbsminderung zu tragen: 1,6 Millionen Frauen erhielten durchschnittlich eine Rente in Höhe von nur 779 Euro. Jede fünfte Erwerbsminderungsrente führte direkt zum Sozialamt.
Aber - und das ist das erschreckendste Ergebnis -, von 1,1 Millionen Altersrenten mit langen Versicherungszeiten von über 40 Jahren, mussten knapp 29 Prozent (320.000) mit einer Altersrente von weniger als 1.200 Euro auskommen. Renten unter der Armutsgrenze nach 40 Versicherungsjahren, das ist völlig inakzeptabel!
Die Bundesregierung darf deshalb das in den Keller gerauschte Rentenniveau von 48 Prozent nicht auch noch festschreiben, zumal derzeit alle noch so guten Rentenerhöhungen von der Inflation aufgezehrt werden. Und darum muss das Rentenniveau dauerhaft wieder auf lebensstandardsichernde 53 Prozent angehoben werden. Das ist finanzierbar mit einer Beitragserhöhung von einem Prozentpunkt des Bruttoeinkommens für Beschäftigte und Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und es würde die Renten um knapp zehn Prozent zusätzlich erhöhen.
Zum Schutz vor Altersarmut fordert DIE LINKE:
Niemand soll im Alter von weniger als 1.200 Euro netto leben müssen. Darum brauchen wir eine einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente von aktuell 1.200 Euro netto. Was in Österreich mit drei armutsfesten Mindestrenten, gestaffelt nach Beitragsjahren zwischen 1200 und deutlich über 1500 Euro, oder in den Niederlanden mit 1.218 Euro Grundrente im Alter nach 50 Jahren Leben in den Niederlanden für Alleinstehende gelingt, sollte auch in Deutschland möglich sein, denn: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und Artikel 1 unseres Grundgesetzes muss selbstverständlich auch für Rentnerinnen und Rentner gelten.
Im Kampf gegen die Altersarmut ist die sogenannte "Grundrente" ein stumpfes Schwert, da viele arme Menschen die 33 Versicherungsjahre gar nicht schaffen werden. Die begonnen Reformen bei der Erwerbsminderungsrente müssen jetzt konsequent und gleichwertig auch auf ältere Jahrgänge übertragen werden. Auch deshalb brauchen wir jetzt eine Diskussion über eine echte Solidarische Mindestrente nach österreichischem Vorbild. Niemand soll im Alter von weniger als 1.200 Euro netto leben müssen.
Der Altersarmut von Frauen muss mit der besseren Bezahlung und Entlastung der Sozial- und Erziehungsberufe und der Pflege begegnet werden.
Und ich fordere die neue Bundesfamilienministerin Lisa Paus auf, als eine ihrer ersten Amtshandlungen endlich flächendeckende Betreuungsangebote für Kinder und für zu pflegende Angehörige auf den Weg zu bringen.
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Weitere wichtige Ergebnisse:
1. Im Jahr 2020 standen in NRW 7,1 Millionen Beitragszahlenden (ein Fünftel aller Beitragszahlenden in Deutschland) 4,1 Millionen Rentnerinnen und Rentnern (ein Fünftel aller Rentnerinnen und Rentner) gegenüber.
- Das Verhältnis von Beitragszahlenden zu Rentnerinnen und Rentnern hat sich entgegen aller Unkenrufe in den vergangenen zehn Jahren positiv entwickelt. Kamen im Jahr 2010 1,68 Versicherte auf eine:n Rentner:in, so waren es im Jahr 2020 1,73 Versicherte je Rentner:in (Angabe „in Prozent“ in der Tabelle ist falsch).
- Der demographische Wandel und der Renteneintritt der Generation der Babyboomer wird dieses Verhältnis aber in Zukunft verschlechtern. Die große Bedeutung der gesetzlichen Rente für die Altersvorsorge in Deutschland und NRW zeigt sich daran, dass 3,4 Millionen Ältere - und damit 90 Prozent aller Menschen ab dem Alter von 65 Jahren in NRW - eine gesetzliche Altersrente erhalten (Antwort zu Frage 7). Gerade einmal 2,1 Millionen Versicherte, d.h. nicht einmal jede:r Dritte (2,1 Millionen) erhielt 2018 eine staatliche Altersvorsorgezulage für eine Riesterrente[2]. Nur 15 Prozent (1,1 Millionen) aller Versicherten erhalten die volle Riesterzulage und sorgen damit im Sinne des Drei-Schichten-Modells fürs Alter vor (Frage 15).
2. Das niedrige Rentenniveau führt dazu, dass zu viele Rentnerinnen und Rentner trotz langer Beitragszeiten eine Altersrente unter der Armutsgrenze erhalten:
- In NRW wurden 2020 insgesamt 3,6 Millionen Altersrenten in Höhe von durchschnittlich nur 1.000,87 Euro ausgezahlt. Darunter sind sicherlich viele Rentnerinnen und Rentner mit sehr kurzen Beitragszeiten (Frage 4).
- Aber: Jede dritte Altersrente (1,1 Millionen) in NRW beruhte auf mehr als 40 Versicherungsjahren!
- Auch von diesen 1,1 Millionen Altersrenten mit sehr langen Versicherungszeiten mussten 320.000 Ältere - und damit knapp 29 Prozent - mit einer Altersrente von weniger als 1.200 Euro auskommen. Das zeigt: Die Rente sichert auch bei langen Beitragszeiten den Lebensstandard im Alter nicht mehr ab.
- Bei den 725.000 Altersrenten mit 45 und mehr Versicherungsjahren musste jede:r Fünfte (20,3 Prozent) mit einer Altersrente unter der Armutsschwelle von 1.200 Euro zu Recht kommen. Von Respekt kann hier gar keine Rede mehr sein.
3. Rentnerinnen als Hauptbetroffene von Altersarmut holen im Vergleich zu Männern zwar bei den Altersrenten auf, aber existenzsichernde Renten erreichen sie im Durchschnitt nur, wenn sie zusätzlich eine Witwenrente erhalten.
- Besonders auffällig sind die niedrigen Altersrenten für ca. zwei Millionen Rentnerinnen in NRW, die im Durchschnitt nur 724 Euro (Rentenzugang: 786 Euro) betragen und damit nur halb so hoch sind, wie die der Männer mit 1.360 Euro (Rentenzugang 1.242 Euro). Im bundesweiten Vergleich liegen die bestehenden Altersrenten der Männer in NRW über dem Durchschnitt (+54 Euro) und die der Frauen unter dem Durchschnitt (-101 Euro). (Frage 3)
- Der zeitliche Vergleich (Frage 3) zwischen 2010 und 2020 zeigt aber auch, dass die Altersrenten bei Männern (Bestand) in diesem Zeitraum nominal um 20 Prozent und die der Frauen um 52 Prozent zunahmen.
- Männer, die in NRW 2020 erstmals eine Altersrente bezogen, erhalten heute eine um 118 Euro niedrigere Rente als der gesamte Rentenbestand. Den heutigen Rentnern geht es also wesentlich schlechter als älteren Rentnern.
- Bei den Frauen zeigt sich wegen eines veränderten Erwerbsverhaltens immerhin ein Anstieg um 62 Euro. Das heißt: Die neuen Rentnerinnen erhalten eine höhere Rente als ältere Rentenjahrgänge.
- Die geschlechtsspezifische Altersrentenlücke ist auf Grund dieser Entwicklungen in NRW zwischen 2010 und 2020 im Rentenzugang von 51 Prozent auf 37 Prozent gesunken (Deutschland: 30 Prozent) und ausgeglichen wird diese Rentenlücke vor allem für 901.000 Witwen in NRW, die (oft zusätzlich zur eigenen Altersrente) eine Witwenrente in Höhe von durchschnittlich 757 Euro erhalten (Achtung: Die Statistik ist hier verwirrend, da auch Witwerrenten bei Männern angegeben werden).
- Frage 6 zielt, im Unterschied zur ausschließlichen Betrachtung der ausgezahlten Altersrenten, auf die an eine Person ausgezahlte Gesamtrente. Diese Betrachtung nach dem sogenannten „Personenkonzept“ verändert das Bild insbesondere bei Frauen, die häufig zusätzlich zur Altersrente noch eine Witwenrente erhalten, die insbesondere in Westdeutschland und dem dort noch vorherrschenden Ernährermodell nach wie vor eine wichtige Rolle spielt:
- Die durchschnittlich ausgezahlte Rente (nach Abzug von Kranken- und Pflegeversicherung) lag für 4,1 Millionen Rentnerinnen und Rentner in NRW bei 1.120 Euro (2010: 878 Euro). 3,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner erhielten nur eine einzelne Rente in Höhe von durchschnittlich 1039 Euro. 1,6 Millionen Frauen mit nur einer Rente erhielten nur eine Rente in Höhe von durchschnittlich 779 Euro.
- 800.000 Rentnerinnen und Rentner (darunter 717.000 Frauen und damit 30 Prozent aller Rentnerinnen) erhielten neben der Altersrente noch eine Witwen- oder Witwerrente. Der Rentenzahlbetrag erhöhte sich bei dieser Gruppe auf 1447 Euro (Frauen: 1427 Euro).
- Insbesondere den von Altersarmut betroffenen alleinstehenden Frauen würde es helfen, wenn Zeiten der Pflege und der Kindererziehung rentenrechtlich besser bewertet werden würden und die sogenannte „Grundrente“ zu einem echten Zuschlag für erzwungene Phasen der Niedriglohnbeschäftigung ausgebaut werden würde.
4. In NRW bezogen im Jahr 2020 285.5000 Menschen Grundsicherung im Alter (155.310) oder wegen Erwerbsminderung (130.240).
- Seit 2010 gab es einen Zuwachs um knapp 40 Prozent. Der Zahl der Grundsicherungsfälle wegen Erwerbsminderung wuchs überproportional. Die Verhältniszahlen zur jeweiligen Bevölkerungsgruppe (18-65 bei Erwerbsminderung (!!!) und über 65 im Alter) zeigen, dass vor Allem die Metropolen Köln (2020: 8,3 Prozent), Düsseldorf (8,4 Prozent) und Dortmund (7,0 Prozent) besonders stark von Altersarmut betroffen sind und sie dort auch seit 2010 überdurchschnittlich anstieg.
- Einen genaueren Blick auf den Zusammenhang von Rentenhöhe und Grundsicherungsbezug erhält man, wenn man nicht nach dem Anteil der Grundsicherungsbeziehenden an der Gesamtbevölkerung fragt, sondern deren Anteil an den Rentenempfänger:innen. Hier zeigt sich die besondere Dramatik bei den Erwerbsminderungsrenten sehr deutlich: Mussten im Jahr 2010 schon 9,3 Prozent aller EM-Renten in NRW Sozialhilfe (Grundsicherung) beziehen, so waren es zehn Jahre später schon 17,1 Prozent und bei den Männern sogar 19,8 Prozent. Jede Fünfte Erwerbsminderungsrente führte also direkt zum Sozialamt.
- Die Ausgaben für die „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ lagen 2020 bundesweit bei 7,6 Millionen Euro und in NRW bei 1,9 Millionen Euro und sie stiegen dort seit 2010 um 78 Prozent an. Dass die Zahl der Sozialhilfeempfänger:innen im gleichen Zeitraum „nur“ um 40 Prozent anstieg, zeigt, dass die Pro-Kopf-Ausgaben überproportional angestiegen sind und damit immer mehr alte und dauerhaft kranke Menschen auf immer höhere Sozialhilfesätze angewiesen sind.
5. Weil die Rente nicht für die Miete reicht, sind immer mehr Rentnerinnen und Rentner auch in NRW auf Wohngeld angewiesen. Zusätzlich zu den 155.000 Älteren, deren Mieten und Nebenkosten von der Sozialhilfe finanziert werden, wurde 81.723 Rentnerinnen und Rentnern Wohngeld gewährt (genauer: lebten in Haushalten mit Wohngeldbezug). Die Wohngelderhöhung 2020 hat die Zahl der wohngeldbeziehenden Rentnerinnen und Rentner um 26,6 Prozent ansteigen lassen und damit auf den höchsten Stand seit 2012. Die Ausgaben fürs Wohngeld beliefen sich in NRW auf 371 Millionen Euro. Je Haushalt werden im Durchschnitt 195 Euro Wohngeld gewährt. Bundesweit machen die Rentnerinnen und Rentner knapp die Hälfte aller Wohngeldhaushalte aus (Frage 12).
6. Minijobs: Im Jahr 2021 arbeiteten in NRW 1,6 Millionen Menschen in einem Minijob; für eine Million Menschen war das die Hauptbeschäftigung[3].
- Geringfügig entlohnt Beschäftigte mit einem Minijob sichern sich nur dann einen Anspruch auf Erwerbsminderung, Reha-Leistungen und auf eine Altersrente, wenn sie (im gewerblichen Bereich) den Pauschalbetrag ihres Chefs oder ihrer Chefin selbst um den Eigenanteil von 3,6 Prozent zur Rentenversicherung ergänzen, sich also nicht von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen.
- In NRW lassen sich aber 80 Prozent der 1,6 Millionen Minijobbenden von der Rentenversicherungspflicht befreien. Minijobs haben also nicht nur verheerende Auswirkungen auf die spätere Rentenhöhe, sondern verbauen bei Abwahl der Beitragspflicht auch den Anspruch auf weitere wichtige Rentenleistungen. Bei langfristiger Beschäftigung im Minijob bedeutet das den sicheren Weg in die Altersarmut. Betroffen sind davon meist Ältere, Geringqualifizierte und Frauen[4]. Die von der Bundesregierung geplante Ausweitung der Minijobgrenze auf 520 Euro wird vor Allem die Altersarmut von Frauen verschärfen!
- Außerdem zeigen die Zahlen: Da Minijobbende vor allem in privaten Haushalten und im Gastgewerbe beschäftigt sind, waren sie von den Folgen der Corona-Pandemie besonders betroffen und wurden meist als erstes entlassen: Zwischen 2019 und 2020 gingen über 120.000 Minijobs verloren.
- (Ergänzt mit Zahlen der BA Statistik) Im Jahr 2021 waren in NRW insgesamt eine Million ausschließlich geringfügig beschäftigt, über 60 Prozent davon Frauen.
- Die Älteren (55 und älter) machten 42 Prozent (431.000) der Minijobbenden aus. Im Rentenalter waren 207.862 Menschen ausschließlich geringfügig beschäftigt. Ihr Anteil an allen Minijobbenden stieg von 13,6 (2012) auf 20,2 Prozent (2021).
- In Relation zur Bevölkerung der gleichen Altersgruppe gehen heute 9,5 Prozent aller Menschen im Alter von 60-67 einer geringfügigen Beschäftigung nach.
[1] Als arm gilt nach der hier verwendeten Definition (Mikrozensus) ein Singlehaushalt, der von weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens (Median) bzw. von weniger als 1.124 Euro (2020) leben musste (Antwort auf Frage 13 und 14 im Anhang). Vor der in der Antwort zu Frage 13 erläuterten statistischen Umstellung, lag die Altersarmutsquote noch über dem Bundesdurschnitt.
[2] Nicht aufgeführt werden hier Personen, die nur in Form einer Steuerentlastung gefördert wurden. Die bundesweite Statistik zeigt, dass dies nur ein Prozent der Riestersparer:innen (NRW: 8.199 Personen) betrifft. Tablle 11: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerliche_Themengebiete/Altersvorsorge/2020-11-16-Statistische-Auswertungen-Riester-Foerderung-bis-2019.html
[3] https://statistik.arbeitsagentur.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Einzelheftsuche_Formular.html?nn=1523064&topic_f=beschaeftigung-sozbe-geb-gem
[4] https://www.gib.nrw.de/service/downloaddatenbank/g-i-b-bericht-4-2020-arbeitsmarktreport-nrw-2020 Frauenanteil = 75 %
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