Im Urlaub erreichte mich die Nachricht vom Tode Professor Dr. Matthias Zimmers. Dies macht mich sehr traurig und betroffen. Mit Matthias Zimmer teilte ich mir nicht nur den Vornamen, sondern auch den Geburtsjahrgang, und wir Beiden zogen gemeinsam erstmals 2009 in den Deutschen Bundestag ein. Zwölf Jahre lang gehörten wir gemeinsam dem Ausschuss für Arbeit und Soziales an; lange Zeit davon Beide als Obmann unserer jeweiligen Fraktion. Eine Wahlperiode lang war Matthias stellvertretender Ausschussvorsitzender und in der folgenden Legislaturperiode war ich es. So lernten wir uns gut kennen.
Matthias Zimmer war ein Mensch, Politiker und Abgeordnetenkollege, den ich aus vielen Gründen sehr geschätzt habe. Er war alles andere als nur ein soziales Feigenblatt der Union, sondern aus vollster Überzeugung zwölf Jahre lang Landesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) in Hessen sowie deren stellvertretender Bundesvorsitzender. Bereits Jahre bevor die Union durch das Ergebnis der Bundestagswahl 2013 gezwungen war, sich mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu arrangieren, hatte Matthias ihn innerparteilich gegen viele Widerstände verfochten. Die katholische und christliche Soziallehre waren ihm nie bloße Worte, sondern Antrieb, in seiner Partei und der CDU/CSU Fraktion für eine Politik zugunsten der abhängig Beschäftigten zu streiten.
Und noch etwas hat uns verbunden: eine zeitlang hörte mein damaliger Bürgerbüromitarbeiter politikwissenschaftliche Vorlesungen an der Universität zu Köln, die Matthias Zimmer dort gab. Das fanden wir alle drei witzig.
Matthias habe ich auch für seine liberale Ader geschätzt. Zu oft hat man es in der Politik entweder mit „Betonköpfen“ zu tun oder mit Leuten, die ihr Fähnchen nach dem Winde drehen. Zimmer aber zeigte, dass es ein Drittes gibt: Er war fähig und willens, im Lichte neuer Erkenntnisse, besserer Argumente und Zweifel seine Position zu reflektieren und zu ändern. So zitiert in einem Nachruf auf ihn das Portal Queer.de Matthias Zimmer dazu, wie er seine Meinung zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare änderte: „Im August 2011 habe ich zu diesem Thema eine Anfrage auf Abgeordnetenwatch erhalten. Ich bin in mich gegangen und meine Position hat mich bei näheren Nachdenken nicht zufrieden gestellt. Ich kam zu dem Schluss, dass ich meine ablehnende Haltung nicht aufrecht erhalten konnte, weil sich auch gleichgeschlechtliche Lebenspartner wie Eheleute lieben, füreinander einstehen, füreinander Verantwortung übernehmen.“ Folgerichtig gehörte Matthias dann auch 2017 dankenswerterweise zu den Unionsabgeordneten, die im Bundestag für die „Ehe für alle“ stimmten. Ausdruck seiner Liberalität was sicherlich auch, dass er mit seiner Frau eine Sozialdemokratin geheiratet hatte.
Nicht minder beeindruckend war Matthias Zimmer als politischer Intellektueller und literarischer Geist. Er hatte einen schier unerschöpfliche Fundus an theologischen, historischen und geisteswissenschaftlichen Kenntnissen, welcher mich immer wieder sehr beeindruckte. Matthias Zimmer wurde als Politologe über die Deutschlandpolitik der Regierung Kohl promoviert und er habilitierte sich mit einer Arbeit über den Staat und Internationale Politik nach dem Westfälischen Frieden. Aber auch darüber hinaus veröffentlichte er regelmäßig und unermüdlich auf intellektuell hohem und höchstem Niveau. Dies kann in einer Zeit, in der viele Politikerinnen und Politiker meinen, ihre Politik nicht mehr begründen oder sich zu stark auf die Unkultur in manchen unsozialen Medien einlassen zu müssen, kaum hoch genug eingeschätzt werden. Dass sich Matthias fraktionsübergreifend ein hohes Ansehen erarbeitet hatte, davon ließ sich leider ausgerechnet sein eigener Kreisverband der Frankfurter CDU nicht hinreichend beeindrucken. Statt seiner wurde ein anderer Bewerber für den Bundestagswahlkreis 182/ Frankfurt I nominiert, der diesen aber im Unterschied zu Zimmers drei Direktwahlsiegen in Folge bei der jüngsten Bundestagswahl nicht gewinnen konnte.
Engagierter und kreativer Pragmatiker, der er war, verzagte Zimmer nach Ende seiner Abgeordnetenzeit jedoch nicht, sondern er engagierte sich auch ohne Mandat weiterhin in der CDA und veröffentlichte neben seinen politischen Arbeiten wie beispielsweise „Alte Werte in neuer Zeit“, in dem ich überraschende Übereinstimmungen fand, auch Romane. Seinen „Frankfurter Politikrimi“ untertitelten Roman „Der tote Bundestagsabgeordnete“ hatte ich mit allergrößtem Genuss lesen dürfen. Er gefällt mir so gut, dass ich ihn gerne verschenke. Auch seinen in diesem Jahr erschienen Roman „Calixt“, der viele theologische Motive aufweist, las ich mit viel Vergnügen. Darin zeigte Matthias ein Verständnis der gesellschaftlichen Gegebenheiten in der DDR, wie es selbst viele Linke nicht aufbringen dürften.
Eine solch hohe Differenzierungsfähigkeit auf einem brisanten politischen Gebiet – das muss ihm erst mal jemand nachmachen. Er schickte mir sein Buch mit dem Hinweis, ich möge es bitte lesen und ihm anschließend mitteilen, was ich davon hielte. Am vergangenen Sonntag hatte ich es ausgelesen und rief ihn an, um ihm zu diesem Buch mein Feedback zu geben. De facto also, um es in den höchsten Tönen zu loben. Seine Frau sagte mir, er schliefe, und sie wolle ihn ob seines Gesundheitszustandes nicht wecken und so bat ich sie, ihn zu grüßen und um seinen Rückruf zu bitten. Zum erhofften Rückruf sollte es aber leider nicht mehr kommen: Am vergangenen Dienstag ist Matthias Zimmer nach langer schwerer Krankheit verstorben.
Ich denke an seine Frau Kerstin, seine Angehörigen und spreche ihnen und allen seinen Liebsten mein aufrichtiges Beileid aus und wünsche ihnen viel Kraft in dieser schweren Zeit. Sie alle verlieren einen herzensguten Menschen und die Politik ein echtes Original, in seinen eigenen Worten einen aufrechten Arbeiter „im Maschinenraum der Demokratie“. Möge sein Andenken auf Dauer gewahrt und gewürdigt werden, und mögen sich hoffentlich viele Menschen an seiner politischen und intellektuellen Beharrlichkeit, seiner menschlichen Größe und seinem sozialen Gewissen ein Vorbild nehmen.
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