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Matthias W. Birkwald

Gespräch mit einem Hartz-IV Betroffenen

Frank B. (49) ist seit über 20 Jahren im Sozialleistungsbezug. In dieser Zeit hat er viel mitmachen müssen. Ein Gespräch über Behördenschikane, seelische Gesundheit und den Wunsch nach Arbeit.

09.01.2024

Team Birkwald (TB): Stellen Sie sich doch bitte einmal kurz vor, wer sind Sie, wie alt sind Sie und welche Erfahrungen haben Sie mit dem Jobcenter gemacht?

Frank B.: Mein Name ist Frank B.; ich bin 49 Jahre alt. Ich bin im Rhein-Main-Gebiet aufgewachsen. Ich lebe seit knapp fünf Jahren im Rheinland bzw. der Eifel und stehe kurz davor, in das 21. Jahr meines SGB II Bezuges einzutreten. Meine Erfahrungen mit dem Jobcenter sind seit über 20 Jahren durchweg negativ. Ich bin gesundheitlich, existentiell und gesellschaftlich komplett verbrannt.

TB: Gibt es da konkrete Vorkommnisse, wie Sie ungerecht behandelt wurden?

Frank B.: Das lässt sich gar nicht auf einen Fall konkret eingrenzen. In über zwanzig Jahren des Leistungsbezugs habe ich viel erlebt. Oft überschreitet das Jobcenter seine Kompetenzen, in vielen Fällen ist es aber auch umgekehrt, da erhalte ich nicht die notwendige Unterstützung des Jobcenters. Das ist oftmals ein subtiles Vorgehen, wie einzelne Nadelstiche, und das macht sich bemerkbar. Ich fühle mich wie Don Quijote der gegen Windmühlen kämpft. Nach zwanzig Jahren fehlt mir dafür die Kraft. Jeder Hartz IV Empfänger kennt das: Unterlagen gehen im Jobcenter verloren und die notwendige Unterstützung im Sinne einer Arbeit, die mich gesellschaftlich integriert, wird mir verwehrt.

TB: Wie geht es Ihnen aktuell?

Frank B.: Zwanzig Jahre des Leistungsbezugs haben mich verbrannt, das hat enormen Einfluss auf meine Psyche. Ich fühle mich oft leer und verbraucht. Dazu kommt das Verhalten der Mitarbeiter im Jobcenter: Der distanzierte und bürokratische Umgang sowie den spärlichen Dialog finde ich oftmals verletzend. Hinzu kommt, dass ich als Hartz-IV Empfänger gesellschaftlich erledigt bin, ich habe Nachteile bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Job und benötige eigentlich mehr Unterstützung, gerade bei der Qualifizierung für einen Job. Das macht sich auch deutlich bei meinen Mitmenschen bemerkbar, ich habe die schriftliche Bestätigung meiner Ärztin, dass mich dieser Umgang mit den Behörden krank gemacht und auch mein Umfeld merkt, dass ich darunter leide. Ich empfinde das als seelische Gewalt und möchte dafür eine Wiedergutmachung und dass sich jemand seitens des Jobcenters dafür entschuldigt.

TB: Wie wehren Sie sich gegen das Jobcenter?

Frank B.: Zunächst widerspreche ich verbal und lege dann eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Diese verschwinden aber oft und sind dann wie Anträge oder Ähnliches nicht mehr auffindbar. Von Seiten der Regionaldirektion heißt es dann, dass in den Akten nichts von der Dienstaufsichtsbeschwerde gefunden wurde. Das Jobcenter geht, wenn man sich beschwert, allerdings zum Angriff über. Dann heißt es wahrheitswidrig, ich sei aggressiv beim Termin gewesen. Wenn das nicht funktioniert, dann werden psychische Diagnosen ausgegraben. Das Jobcenter drückt sich mit dieser Taktik eindeutig vor seiner Verantwortung.

TB: Warum tut das Jobcenter so etwas?

Frank B.: Dafür gibt es viele Gründe. Es ist leichter eine Herde Schafe als eine Herde Löwen zu regieren. Menschen wie ich, die für ihre Rechte einstehen, sind persona non grata, weil sie Widerstand leisten. Mir geht es dabei, nicht darum, Querulant zu sein, sondern für meine gesetzlichen Rechte einzustehen. Diese werden in Jobcentern oft verletzt, das ist gängige Praxis und dagegen stehe ich auf. Es geht mit dieser Schikane auch darum, Konformität zu produzieren und Widerstand zu unterdrücken.

TB: Man kann sich doch auch rechtlich zur Wehr setzen, oder nicht?

Frank B.: In der Theorie kann man sich rechtlich zur Wehr setzen, das stimmt. In der Praxis sieht das allerdings oftmals anders aus. Als Hartz-IV Empfänger kann man sich keinen Rechtsanwalt leisten, man ist auf einen Beratungshilfeschein angewiesen. Diesen Schein kann man dann gegenüber einem Rechtsanwalt einlösen. Das Problem ist, dass die Vergütung durch den Schein für die meisten Rechtsanwälte nicht lukrativ genug ist. Man wird als Armutsbetroffener von vielen Rechtsanwälten – auch mit Beratungsschein – abgewiesen. Hinzu kommt, dass ich mich an viele verschiedene Organisationen und Institutionen, wie den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler oder den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages gewandt habe. Von den Meisten habe ich bis heute keine Antwort erhalten. Ich finde es bedenklich, dass armutsbetroffene Personen, es so schwerhaben Ihre Grundrechte durchzusetzen. Das ist für mich oftmals eines Rechtsstaats nicht würdig, besonders da es ja in meinem Fall konkret um Schikane durch das Jobcenter, also letztlich durch den Staat geht. Und das gilt auch für die konkret Verantwortlichen: Dem zuständigen Minister, Hubertus Heil und auch seinen Vorgängerinnen war mein Schicksal egal, es wird sich nur weggeduckt.

TB: Also sind die Beteiligungsmöglichkeiten für Hartz-IV Betroffen eingeschränkt?

Frank B.: Exakt. Man muss erstmal jemanden finden, der einem zuhört. Und bisher bin ich auf sehr viel Ignoranz von Behörden, Abgeordneten, Ministern oder Staatsanwaltschaften getroffen. Das ist für mich ein Wegducken des Staates, wenn sich dessen Repräsentanten mit dem geschehen Unrecht, nicht auseinandersetzen wollen. Letztlich ist das dann meiner Meinung nach die Abkopplung von rechtsstaatlichen Prinzipien, wenn sich der Staat der Durchsetzung seiner eigenen Rechtsordnung entzieht.

TB: Wie geht es Ihnen damit?

Frank B.: Nicht gut. Ich habe durch die Behördenschikane, einen Großteil meiner Gesundheit verloren. Ärzte machen sich große Sorgen um mich, meine Gesundheit und meine Lebenserwartung. Heute sitze ich hier mit 49 Jahren, beziehe seit über 20 Jahren Sozialleistungen und habe quasi alles verloren, was mir wichtig ist: Perspektiven, Familie, Freunde, Gesundheit. Es ist nichts geblieben; es ist ein Leben in Armut, ein Leben voller Entbehrungen. Im Grunde kann man hier von psychischer Zersetzung sprechen. Das hat eine zweidimensionale Ebene, man darf nämlich nicht vergessen, dass das auch mein Umfeld belastet.

TB: Was richtet diese Schikane bei Ihnen an?

Frank B.: Es muss endlich den 84,5 Millionen Menschen draußen gesagt werden, wie dreckig man mit Menschen umgeht und das vielfach in Jobcentern Unrecht zum Nachteil einzelner Menschen geschieht. Ich bin nicht der Einzige, der unter diesen permanenten Schikanierungen und Drangsalierungen der Jobcenter leidet; dennoch ist mein Fall besonders hart. Das bestätigen auch ärztliche Atteste und Notarzteinsatzprotokolle von Jobcentern. Das sollte auch den Letzten wachrütteln: Wenn es im Jobcenter so sehr eskaliert, dass der Notarzt vorfahren muss, dann stimmt irgendwas nicht mehr in diesem Land.

TB: Wie sieht diese Schikane konkret aus?

Frank B.: Es wird mittlerweile so weit gegangen, dass Jobcenter sogar Psychogramme von Leistungsempfängern erstellen. Das ist ein Punkt, wo ich sage, das muss doch Jeden interessieren: Wo sind wir eigentlich als Gesellschaft hingekommen, wenn es bekannt ist, dass Jobcenter Psychogramme von Personen erstellen? Meine Erwartungshaltung ist, dass diese Praxis sofort eingestellt wird und das Menschen, die darunter leiden mussten, entschädigt werden. Kein Jobcenter dieser Welt hat das Recht Psychogramme zu erstellen, schließlich haben sie nicht die Kompetenz dazu, dort arbeiten keine ausgebildeten Psychologen oder Mediziner als Sachbearbeiter. Ich merke seit über 20 Jahren, dass Sachbearbeiter versuchen, mich psychologisch zu kategorisieren und einzuordnen und daraus ergibt sich ein Stigma, was man nicht wieder los wird. Und gerade deshalb kämpfe ich dafür für diese zwanzig verlorenen Jahre durch das Jobcenter entschädigt zu werden.

TB: So wie ich Sie verstanden habe, wollten Sie immer arbeiten und dass das Jobcenter Sie in Arbeit bringt?

Frank B.: Ich wollte nie etwas anderes! Für mich war das außer jeder Vorstellungskraft von Transferleistungen abhängig zu sein. Niemand ist vor Arbeitslosigkeit geschützt. Dafür dass jemand arbeitslos wird, gibt es viele sehr verschiedene Gründe. Und ehe man sich versieht, befindet man sich dann im Sozialleistungsbezug mit allem was dazu gehört an Demütigungen, Schikanen und Erniedrigungen. Ich will mein Leben gerne aus eigener Kraft bestreiten und will das heute noch und komme aber aus diesem Jobcenter-System nicht mehr raus. Nach einer so langen Dauer des Leistungsbezugs, ist es völlig klar, dass ich für eine Integration in den Arbeitsmarkt, Unterstützung benötige. Je mehr ich um Unterstützung aus diesem System heraus bitte, desto weniger bekomme ich diese Unterstützung. Jeder weiß, dass Menschen ab 50, besonders als Langzeitarbeitslose als schwer vermittelbar gelten. Daher bitte ich das Jobcenter eindringlich darum, mich möglichst schnell zu vermitteln, denn jeder Tag länger im SGB II Bezug ist ein Tag ohne Rentenbezug. Aber diese Hilfe wird mir verweigert. Oft aus Überforderung des Jobcenters.

TB: Also benötigen Sie ein externes Coaching?

Frank B.: Ich wäre froh darüber, wenn das Jobcenter anerkennen würde, dass es nicht in der Lage ist mich zu vermitteln und das an externe Experten abgeben würde. Es gab mehrmals die Bitte behandelnder Ärzte, Psychologen und Anwälte an das Jobcenter, ein externes Coaching für mich zu organisieren. Es gab diese Empfehlung auch vom Amtsarzt des Jobcenters; in seinem Gutachten findet sich die Forderung nach einem berufsorientierten Coaching für mich. Allerdings hat das Jobcenter dieses Gutachten nicht ernst genommen und bis heute mir kein berufsorientiertes Coaching zur Verfügung gestellt.

TB: Welche Schritte müssen unternommen werden, dafür dass das Jobcenter keine Menschen mehr schikaniert, was würden Sie ändern wollen?

Frank B.: Solange es so eine Institution wie ein Jobcenter gibt, werden auch Menschen schikaniert werden. Das Jobcenter selbst ist als Einrichtung geschaffen worden, um Menschen in Arbeit zu bringen, indem man ihnen den Aufenthalt im Hartz IV so schwierig macht, wie möglich. Dadurch nehmen Menschen dann auch prekäre Beschäftigungsverhältnisse an, um aus diesem System rauszukommen. Viele Maßnahmen, die derzeit getroffen werden, schaffen es eben nicht, Menschen langfristig in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sondern sie kommen nach kurzer Zeit wieder zurück ins Bürgergeld-System.

TB: Was ist an dem Leben im Leistungsbezug so problematisch?

Frank B.: Es ist kein Leben in Freiheit. Wenn Ihnen der Staat sagt, wie groß und wie teuer Ihre Wohnung sein darf, wo man sich aufzuhalten hat, wie weit man vom Jobcenter sich entfernen darf - das hat mit einem Leben in Freiheit nichts zu tun.

TB: Wie bewerten Sie die aktuelle Debatte zum Bürgergeld?

Frank B.: Wir alle erlebten in den vergangenen Tagen und Wochen, dass sich Friedrich Merz (CDU) abends in allen Talkshowformaten tierisch über Bürgergeldempfänger aufregt, da das seiner Meinung nach alles Schmarotzer und faule Hunde seien, von denen niemand arbeiten gehen möchte. Herr Merz macht zudem Bürgergeldempfänger für das 64 Milliarden Haushaltsloch verantwortlich. Wenn ich ins Internet gehe oder morgens die Zeitung aufschlage, kriege ich vor die Nase gehalten, dass ich als Bürgergeldempfänger der Schuldige für die Missstände in diesem Land bin. Und auf Herrn Merz folgen dann Herr Linnemann (CDU), Herr Lindner (FDP) oder Herr Djir-Sarai (FDP) die in die gleiche Kerbe schlagen und Bürgergeldempfänger für den Untergang des Abendlandes verantwortlich machen. Und das, was dann passiert, ist, dass sich diese Stigmatisierung in die Gesellschaft überträgt. Das merkt man, wenn man eine Wohnung sucht, denn die meisten Vermieter wollen keine Bürgergeldempfänger als Mieter und dann ist man gezwungen - wie eben beschrieben - auf prekäre Wohnverhältnisse auszuweichen. Und das ist ein ganz klarer Fall, bei dem A zu B führt, da gibt es eine Kausalität zwischen diesen Aussagen von Herrn Merz und dem, wie man uns behandelt.

TB: Ich höre da eine gewisse Unzufriedenheit mit der CDU.

Frank B.: Ich finde es hochgradig unanständig, wie sich Herr Merz als Christdemokrat in dieser Auseinandersetzung verhält; die CDU wirft mit so einem Verhalten alles an Christlichkeit über Bord. Das "C" steht doch mittlerweile garantiert für Capital oder nicht? Es macht mich wütend, wie jemand wie Herr Merz, stolzer Besitzer eines Privatflugzeugs, da draußen sagt, dass Menschen die 500 Euro Unterstützung im Monat erhalten, für den Zustand dieses Landes verantwortlich sein sollen. Mit dem Vorschlag, auf die Erhöhung des Regelsatzes zu verzichten, versucht man, bei den Ärmsten der Armen zu sparen, bei denen, die sowieso nichts haben und gleichzeitig wird Herr Merz garantiert für die nächste Diätenerhöhung stimmen, da hat er keine Skrupel. Es wird ein Feindbild geschaffen, es ist einfach, auf die Schwächsten einzudreschen, denn die können sich nicht wehren. Es gibt ohne Frage einen Teil von Bürgergeldempfängern, die nicht arbeiten wollen, die gibt es, aber das ist nur ein verschwindend geringer Anteil. Aber es gibt eben auch Menschen wie mich, die unverschuldet in den Leistungsbezug gekommen sind und alles dafür tun würden, da wieder raus zu kommen. 

TB: Was braucht es aus der Politik?

Frank B.: Es bräuchte ja eigentlich mehr LINKE statt weniger linke Politik derzeit. Das wäre etwas, was dieser Gesellschaft gut täte. Ich weiß auch nicht, warum es so komplett in die falsche Richtung quasi treibt. Ich weiß nicht, warum Menschen, wie ein Herr Merz mehr Einfluss finden und mehr Gehör kriegen und Menschen, die eigentlich, die richtigen Werte vertreten, immer weniger Einfluss haben.

TB: Vielen Dank für das Gespräch!