Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
das Kürzungspaket, das die Bundesregierung am 07.06.2010 vorgestellt hat, ist auf zu Recht breite Kritik und Ablehnung gestoßen. Die beschlossenen Maßnahmen treffen Menschen mit geringen Einkommen und Kindern hart und konkret, während Gruppen mit hohen Einkommen und Vermögen und die Verursacher der Krise aus dem Bankensektor allenfalls mit vagen Ankündigungen „belastet“ werden. Zu Recht hat deswegen Klaus Ernst das Kürzungspaket als „Schutzschirm für Reiche bezeichnet“.
Das Elterngeld für Hartz-IV Betroffene wird ebenso abgeschafft wie der Heizkostenzuschuss für WohngeldempfängerInnen und der befristete Zuschlag für den Übergang aus dem Arbeitslosengeld I in das Arbeitslosengeld II (§ 24 SGB II).
Auch in der Rentenpolitik wälzt die Bundesregierung die Kosten der Krise auf die Schwächsten ab. So wird der steuerfinanzierte Zuschuss für einigungsbedingte Leistungen (§ 291c SGB VI) gestrichen und somit auf die Rentenkasse und damit letztendlich auf die BeitragszahlerInnen abgewälzt. Zudem will die Bundesregierung von 2011 bis 2014 jedes Jahr 1,8 Milliarden Euro einbehalten, indem sie den steuerfinanzierten Beitrag für Langzeiterwerbslose im SGB II an die gesetzliche Rentenversicherung streicht. Die Betroffenen werden künftig nicht einmal die zuletzt 2,09 Euro Rentenanspruch nach einem Jahr Hartz-IV Betroffenheit erwerben können. Zwei Euro mehr oder weniger Rentenanspruch machten doch nichts aus, erläuterte Bundeskanzlerin Merkel auf der Pressekonferenz zum Kürzungspaket. Hier offenbart die Bundeskanzlerin eine frappierende Tierquälerlogik: Wir reißen der Fliege erst ein Bein aus, und dann noch eins, um schlussendlich ihr Leiden und Leben mit dem Hinweis zu beenden, dass das Tier eh kaum noch lebt. Denn: Der Beitrag zur Rentenversicherung ist systematisch unter Beteiligung oder Zustimmung von CDU/CSU und FDP gesenkt worden, und von den gleichen Akteuren wird nun festgestellt, dass der verbliebene Rest nun so gering sein, dass er auch noch gestrichen werden könne. Noch Mitte der 1990er Jahre wurde für Langzeiterwerbslose, die Arbeitslosenhilfe bezogen, durchschnittlich pro Kopf 235 Euro an die Rentenkasse überwiesen wurden. Die Basis, auf die der Beitrag an die GRV zu berechnen war, ist seitdem wiederholt geändert worden, so dass der tatsächliche Zahlbetrag stetig gesunken ist. Im Jahr 2004 betrug der durchschnittliche Monatskopfsatz nur noch 102,45 Euro, mit dem Inkrafttreten des SGB II sank der nunmehr pauschale Monatskopfsatz auf 78 Euro. Die Große Koalition unter Angela Merkel drückte den Beitrag weiter runter, auf schlussendlich 40 Euro. Im Ergebnis erwarben Langzeiterwerbslose zuletzt nach einem Jahr Hartz-IV Betroffenheit einen Rentenanspruch in Höhe von 2,09 Euro. DIE LINKE fordert deshalb, den Betrag nicht nur beizubehalten, sondern auf das 6,5-Fache zu erhöhen (BT-Drs. 1701735).
Über diese Logik hinaus ist es auch keineswegs so, dass niemand durch die wegfallenden Beiträge für Langzeiterwerbslose an die Rentenkasse geschädigt wird. Es stimmt zwar, dass bestehende Ansprüche auf Erwerbsminderungsrente zwar nicht geschmälert werden. Langzeiterwerbslose, die vor der Hartz-IV-Betroffenheit keine Ansprüche auf Erwerbsminderung erworben haben, können dies mit dem Arbeitslosengeld aufgrund des gestrichenen Beitrags zur Rentenversicherung fortan nicht mehr. Das trifft wiederum die Schwächsten: Drogenkranke können ebenso darunter fallen wie Auszubildende, die nach der Lehre erwerbslos werden.
Für Nachfragen oder Anmerkungen stehen Ihnen mein wissenschaftlicher Mitarbeiter, Herr Christian Brütt, und ich selbst gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
Matthias W. Birkwald (MdB)
Anlage: Antwort der Bundesregierung auf die schriftliche Frage von Matthias W. Birkwald
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