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Matthias W. Birkwald

Bei der Gedenkveranstaltung für Prof. Dr. Matthias Zimmer

Gedenken an den früheren Parlamentskollegen der Arbeitnehmer-Gruppe der CDU/CSU im Bundestag

11.09.2024

Bei dieser Gedenkveranstaltung habe auch ich über den geschätzten früheren Parlamentskollegen Prof. Dr. Matthias Zimmer gesprochen, der im vergangenen Jahr verstarb. Mein Dank gilt den Verantwortlichen für die Ausrichtung dieses Gedenkens, meine Anteilnahme und mein Mitgefühl den Hinterbliebenen.

 

Nachfolgend können Sie hier meine Rede bei der Gedenkveranstaltung nachlesen:

 

Sehr verehrte Frau Zimmer, sehr geehrter Herr Merz, lieber Carsten Linnemann, lieber Axel Knoerig, lieber Max Straubinger, lieber Marc Biadacz, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste,

 

für die Möglichkeit, heute in Gedenken an Professor Dr. Matthias Zimmer MdB und ihm zu Ehren, einen Beitrag leisten zu dürfen, bedanke ich mich herzlich bei der Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion. 

Mein Thema lautet: „Matthias Zimmer im Ausschuss für Arbeit und Soziales – der Außenblick auf christlich soziale Politik“

Ich verspreche: 

Ich werde mich nicht ganz dran halten.

Zunächst eine kleine Vorbemerkung aus einem anderen Gremium als dem Ausschuss für Arbeit und Soziales:

Matthias war in unserer gemeinsamen ersten Legislaturperiode stv. Vorsitzender der Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. 

Ich war Mitglied der Projektgruppe 2 mit dem schönen Titel „Entwicklung eines ganzheitlichen Wohlstands-/ Fortschrittsindikators“ unter Vorsitz der Unionskollegin Stefanie Vogelsang MdB. 

Ich habe Matthias als sehr konstruktiv, ausgesprochen kompetent und vermittelnd und an der Sache orientiert erlebt, wenn ich mit ihm über die Themen der Enquetekommission sprach, ganz im Gegenteil zum CSU-Abgeordneten Georg Nüsslein aus meiner Projektgruppe. 

Matthias nahm Argumente ernst, durchdachte sie und bewertete sie anschließend. 

Der aus der CSU vor einigen Jahren aus gutem und bekanntem Grund ausgetretene Kollege Nüßlein bügelte jede Äußerung aus der Opposition stante pede hart ab. 

Ja, damals war die Union eine die Regierung tragende Fraktion.

So hatte ich durch Matthias relativ früh die Bandbreite der Unionsfraktion lernen dürfen. Das war in den folgenden Jahren immer sehr hilfreich für mich. Bis heute. 

 

Mit Matthias Zimmer teilte ich mir nicht nur den Vornamen, sondern auch den Geburtsjahrgang, und wir Beiden zogen gemeinsam erstmals 2009 in den Deutschen Bundestag ein. Zwölf Jahre lang gehörten wir gemeinsam dem Ausschuss für Arbeit und Soziales an; lange Zeit davon Beide als Obmann unserer jeweiligen Fraktion. 

Eine Wahlperiode lang war Matthias stellvertretender Ausschussvorsitzender und in der folgenden Legislaturperiode war ich es. 

So lernten wir uns gut kennen. 

Der christlich-soziale und demokratisch-sozialistische Politiker. 

Ein bisschen hatte es etwas von Don Camillo und Peppone. Anyway.

 

Matthias Zimmer war ein Mensch, Politiker und Abgeordnetenkollege, den ich aus vielen Gründen sehr geschätzt habe. 

Er war alles andere als nur ein soziales Feigenblatt der Union, sondern aus vollster Überzeugung zwölf Jahre lang Landesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) in Hessen sowie deren stellvertretender Bundesvorsitzender. 

Sein Buch „Nachhaltigkeit! – Für eine Politik aus christliche Grundüberzeugung“ ist auch fast zehn Jahre nach seinem Erscheinen hoch aktuell und vor allem gut geeignet, deutlich zu machen, welche Schwerpunkte, die Politik der Unionsfraktion auch haben oder anders haben könnte. 

Aufgrund seines christlichen Fundamentes und seinem Denken in den Kategorien der christlichen Soziallehre ergaben sich frühzeitige, politische Einsichten.

Ein Beispiel:

Bereits Jahre bevor die Union durch das Ergebnis der Bundestagswahl 2013 gezwungen war, sich mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu arrangieren, hatte Matthias ihn innerparteilich gegen viele Widerstände verfochten. 

Das wiederum hat mich besonders erfreut, denn ich kämpfte seit 1995 für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, der auch in der PDS, meiner damaligen Partei, zunächst gar nicht beliebt war. Und nun gibt es ihn seit rund zehn Jahren in der Realität. 

Aus meiner Sicht ist er derzeit zu niedrig, aber was den Erhöhungsmechanismus angeht, waren Matthias und ich uns nicht einig. 

Die Diskussion darüber mit ihm war fachlich und wir führten sie aus derselben Grundmotivation heraus, nur dass sie bei ihm Nächstenliebe und bei mir Solidarität hieß.

Apropos Nächstenliebe: 

Die katholische und christliche Soziallehre waren Matthias nie bloße Worte, sondern Antrieb, in seiner Partei und der CDU/CSU-Fraktion für eine Politik zugunsten der abhängig Beschäftigten zu streiten. 

Durch Matthias lernte ich, dass man durch andere theoretische und ideologische Grundlagen nicht zu gleichen, aber zu durchaus ähnlichen politischen Ergebnissen kommen kann.

So war es cum grano salis auch beispielsweise beim Lieferkettengesetz. So war es zum Teil auch bei der Alterssicherung. 

Da mir Matthias in das Exemplar seines Buches „Person und Ordnung – Einführung in die soziale Marktwirtschaft“, das er mir schenkte, als Widmung den Satz reingeschrieben hat „Für Matthias – das Buch verdankt Dir viel! Dein Matthias“, erlaube ich mir, ihn zu zitieren: „S. 179 f.“

Hier hatten und haben wir viel Überschneidungen. 

Das gilt zum Beispiel ebenfalls für unser beider Haltungen zum besinnungslosen Grundeinkommen. Ich zitiere Matthias zum BGE aus Person und Ordnung, S. 266ff.

Falls nun der Eindruck entstanden sein sollte, dass Mathias und ich uns überwiegend einig waren, weit gefehlt. 

Wir haben herrlich miteinander gestritten, bisweilen unter uns und damals vor allem im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Heute wird da in vielerlei Hinsicht mit Redebeiträgen zwischen einer Minute und vier Minuten eine demokratische Debatte nur simuliert, was ich ausgesprochen bedaure. 

In unserer ersten und zweiten Legislaturperiode gab es im Ausschuss für Arbeit und Soziales noch keine Redezeitbegrenzung; das war einer echten Debatte zuträglich. 

Bisweilen gab es zu ein- und demselben Thema mehrere Statements und Repliken.

Vor einiger Zeit sagte mir die von mir sehr geschätzte CDU-Kollegin Antje Lezius, die von 2013-2021 Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales war, mit welcher Freude sie sich an unsere rhetorischen Pingpongspiele und harten, schnellen politischen verbalen Attacken im Ausschuss für Arbeit und Soziales erinnere. 

Tempi passati. 

Das wäre heute in dieser Form sogar nicht mehr möglich. 

Abgesehen davon, dass wir heute permanent zur Ordnung gerufen werden würden. 

Ein Auftritt heute, wie die zahlreichen des ehemaligen SPD-Generalsekretärs Ottmar Schreiner im Ausschuss und mehr als die Hälfte der im Ausschuss Anwesenden würde sich sehr empören. 

Aber das konnte Matthias auch. 

Nein, nicht empören, scharf debattieren.

Er war nicht nur der Florettfechter, er konnte auch Schwert. 

Und wenn er das wieder einmal im Plenum bewies und gegen mich und DIE LINKE selbiges rhetorisch hinabsausen ließ, dann war es meine Ausschusskollegin Jutta Krellmann, eine kampferfahrene Gewerkschafterin der IG Metall, die mich regelmäßig in die Seite knuffte und sagte hier, hör mal, was DEIN Kumpel Matthias da wieder für einen Unsinn erzählt. 

Dazu noch eine kleine Anekdote am Rande:

Matthias und ich hatten Freude am rhetorischen Wrestling. 

Das bedeutete dann, dass ich ihm einmal eine SMS schickte, ob er gut drauf sei und eine harte Zwischenfrage in der Debatte aushielte. 

Er war sofort einverstanden und freute sich über die kurze Vorbereitungszeit darauf. 

Nein, wir waren beileibe nicht immer einer Meinung, aber wir haben gegenseitig zur Meinungsbildung des anderen beigetragen.

Ob seiner unglaublichen, nahezu enzyklopädischen Bildung in den Humanities vermutlich er deutlich mehr zu meiner, als ich zu seiner. 

Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

 

Meine Damen und Herren , 

noch etwas Kurioses hat uns verbunden: 

eine Zeitlang hörte mein damaliger Bürgerbüromitarbeiter politikwissenschaftliche Vorlesungen an der Universität zu Köln, die Matthias Zimmer dort gab. 

Das fanden wir alle drei witzig. 

Heute ist Lukas Schön übrigens der Bundesgeschäftsführer des BSW.

Aber das nur nebenbei.

 

Zurück zu Matthias. 

Ich habe Matthias Zimmer auch für seine liberale Ader sehr geschätzt. 

Die habe ich auch zeitlebens in mir. 

Manche von Ihnen wissen womöglich, dass ich von 1981 bis 1982 kurzzeitig mal FDP-Mitglied war und bei den Jungdemokraten politisiert worden bin, die allerdings immer links von den Jusos standen. 

Eine solche im besten Sinne liberale Ader steht allen Demokratinnen und Demokraten gut zu Gesicht. 

Zu oft hat man es in der Politik entweder mit „Betonköpfen“ zu tun oder mit Leuten, die ihr Fähnchen nach dem Winde drehen. 

Matthias Zimmer aber zeigte, dass es ein Drittes gibt: 

Er war fähig und willens, im Lichte neuer Erkenntnisse, besserer Argumente und Zweifel seine Position zu reflektieren und zu ändern. 

So zitiert in einem Nachruf auf ihn das Portal Queer.de Matthias Zimmer dazu, wie er seine Meinung zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare änderte: 

„Im August 2011 habe ich zu diesem Thema eine Anfrage auf Abgeordnetenwatch erhalten. Ich bin in mich gegangen und meine Position hat mich bei näherem Nachdenken nicht zufrieden gestellt. Ich kam zu dem Schluss, dass ich meine ablehnende Haltung nicht aufrecht erhalten konnte, weil sich auch gleichgeschlechtliche Lebenspartner wie Eheleute lieben, füreinander einstehen, füreinander Verantwortung übernehmen.“

Folgerichtig gehörte Matthias dann auch 2017 dankenswerterweise zu den Unionsabgeordneten, die im Bundestag für die „Ehe für alle“ stimmten. 

Ausdruck seiner Liberalität war sicherlich auch, dass er mit seiner Frau Kerstin eine Sozialdemokratin geheiratet hatte.

 

Nicht minder beeindruckend war Matthias Zimmer als politischer Intellektueller und literarischer Geist. 

Er hatte einen schier unerschöpflichen Fundus an theologischen, historischen und geisteswissenschaftlichen Kenntnissen, welcher mich immer wieder sehr beeindruckte. 

Matthias Zimmer wurde als Politologe über die Deutschlandpolitik der Regierung Kohl promoviert und er habilitierte sich mit einer Arbeit über den Staat und Internationale Politik nach dem Westfälischen Frieden. 

Aber auch darüber hinaus veröffentlichte er regelmäßig und unermüdlich auf intellektuell hohem und höchstem Niveau. 

Dies kann in einer Zeit, in der viele Politikerinnen und Politiker meinen, ihre Politik nicht mehr begründen oder sich zu stark auf die Unkultur in manchen unsozialen Medien einlassen zu müssen, kaum hoch genug eingeschätzt werden. 

Aus seinem christlichen Menschenbild heraus kämpfte Matthias auch immer hart gegen die AfD, im Ausschuss, im Plenum und außerhalb des Bundestages. 

Das war ausgesprochen verdienstvoll und zudem einen Intellektueller Genuss, ihm bei diesem Kampf am Redepult des Deutschen Bundestages zuhören zu dürfen. 

 

Dass sich Matthias fraktionsübergreifend ein hohes Ansehen erarbeitet hatte, davon ließ sich leider ausgerechnet sein eigener Kreisverband der Frankfurter CDU nicht hinreichend beeindrucken. 

Statt seiner wurde ein anderer Bewerber für den Bundestagswahlkreis 182/ Frankfurt I nominiert, der diesen aber im Unterschied zu Zimmers drei Direktwahlsiegen in Folge bei der Bundestagswahl 2021 nicht gewinnen konnte.

 

Engagierter und kreativer Pragmatiker, der er war, verzagte Matthias Zimmer nach dem Ende seiner Abgeordnetenzeit jedoch nicht, sondern er engagierte sich auch ohne Mandat weiterhin in der CDA und veröffentlichte neben seinen politischen Arbeiten wie beispielsweise „Alte Werte in neuer Zeit“, in dem ich überraschende Übereinstimmungen fand, auch Romane. 

Seinen „Frankfurter Politikrimi“ untertitelten Roman „Der tote Bundestagsabgeordnete“ hatte ich mit allergrößtem Genuss lesen dürfen. 

Er gefällt mir so gut, dass ich ihn gerne verschenke, auch wenn ich ahne, dass nicht alle in der Union vollständig glücklich über ihn waren. 

Auch seinen im vergangenen Jahr kurz vor seinem viel zu frühen Tod erschienenen Roman „Calixt“, der viele theologische Motive aufweist, las ich mit viel Vergnügen. 

Darin zeigte Matthias ein Verständnis der gesellschaftlichen Gegebenheiten in der DDR, wie es selbst viele Linke nicht aufbringen dürften. 

Eine solch hohe Differenzierungsfähigkeit auf einem brisanten politischen Gebiet – das muss ihm erst mal jemand nachmachen. 

Er schickte mir sein Buch mit dem Hinweis, ich möge es bitte lesen und ihm anschließend mitteilen, was ich davon hielte. 

Am Sonntag, dem 16. Juli 2023 hatte ich es ausgelesen und rief ihn an, um ihm zu diesem Buch mein Feedback zu geben. 

De facto also, um es in den höchsten Tönen zu loben. 

Seine Frau sagte mir, er schliefe, und sie wolle ihn ob seines Gesundheitszustandes nicht wecken und so bat ich sie höflich, ihn zu grüßen und um seinen Rückruf zu bitten. 

Zum erhofften Rückruf sollte es aber leider nicht mehr kommen: 

In der Nacht des folgenden Dienstag auf Mittwoch ist Matthias dann traurigerweise seiner langen, schweren Krebserkrankung erlegen. 

 

Seine Frau, alle seine Liebsten, seine gesamte Familie und wir alle haben vor einem Jahr mit Matthias einen herzensguten Menschen und die Politik ein echtes Original, in seinen eigenen Worten, einen aufrechten Arbeiter „im Maschinenraum der Demokratie“ verloren. 

Möge sein Andenken auf Dauer gewahrt und gewürdigt werden, und mögen sich hoffentlich viele Menschen an seiner politischen und intellektuellen Beharrlichkeit, seiner menschlichen Größe und seinem sozialen Gewissen ein Vorbild nehmen. 

 

Ich danke Ihnen.