Ein Gespräch mit Matthias Birkwald
Interview: Gitta Düperthal
Matthias W. Birkwald ist rentenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke und Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will bis 2013 eine sogenannte Zusatzrente von 850 Euro für Geringverdiener einführen, die an Auflagen geknüpft ist. Von Sozialverbänden, der Opposition im Bundestag und sogar in den eigenen Reihen erntet sie Kritik – warum?
Es klingt toll, wenn die Arbeitsministerin von einem Modell der Zusatzrente in Höhe von 850 Euro spricht. Es gibt allerdings 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner, und nur wenige würden von diesem Modell profitieren – etwa rund 17000. Schon jetzt ist klar, daß eine Welle der Altersarmut auf uns zurollt. Vor allem Frauen und Menschen aus dem Osten der Republik werden künftig weniger Rentenansprüche haben, weil sie infolge von Niedriglöhnen und Leiharbeit nicht genügend ansammeln konnten.
Sie sprechen mit Blick auf die Pläne der Ministerin von einer »Hartz-IV-Logik für arme Alte« – warum?
Schwarz-Gelb denkt gar nicht daran, die Ursachen der heutigen und künftig stark anschwellenden Altersarmut zu beseitigen. Weder will von der Leyen den Niedriglohnsektor und die Langzeiterwerbslosigkeit beseitigen, noch das abgesenkte Rentenniveau samt Rente erst ab 67. Sie will weiterhin prekäre Beschäftigungsverhältnisse fördern, Leiharbeit und Minijobs. Sie tut nichts, um die Möglichkeit zu fördern, sich Ansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben zu können. Im Gegenteil: Sie hat sogar den Beitrag, den Langzeitarbeitslose in die Rentenkasse einzahlen können, erst kürzlich auf Null heruntergefahren.
Die Arbeitsministerin will das Auszahlen der Zusatzrente von der Dauer der Zugehörigkeit zur Rentenkasse abhängig machen, sowie von der Anzahl der Jahre, die Beiträge zur Rentenkasse geleistet wurden. Zu welchem Zweck?
Ganz einfach: Die Zahl derer, die Anspruch auf eine über dem Grundsicherungsniveau liegende Rente von 850 Euro haben, soll begrenzt werden. Nur wer bis 2023 den Nachweis von 40 Versicherungsjahren in der Rentenkasse erbracht hat – dazu zählen unter anderem Zeiten der Arbeitslosigkeit, Ausbildung, Studienzeiten und Kindererziehungs-Zeiten – und 30 Jahre Beträge gezahlt hat, soll die »Zuschußrente« bekommen. Später soll sich das noch auf 45 Versicherungs- und 35 Beitragsjahre erhöhen.
Es müsse einen Unterschied machen, »ob jemand etwas geleistet und Beiträge gezahlt hat oder nicht«, meint die Ministerin...
Aus meiner Sicht ist es richtig, Beitragsjahre in gewisser Weise anzurechnen – bei derart hohen Anforderungen handelt es sich jedoch um Betrug. Wer so lange gearbeitet hat, wie von der Ministerin gefordert, erreicht im Regelfall die Rentenhöhe von 850 Euro sowieso. Sinnvoll wäre, Beitragszeiten von 25 Jahren vorauszusetzen, dann hätten auch die Frauen etwas davon. 35 Jahre erreichen nur wenige.
Obendrein will von der Leyen für den Erhalt der Rente von 850 Euro das Einzahlen in eine private Zusatzversicherung, etwa in Form der Riester-Rente, mindestens fünf, später sogar 15 Jahre lang, zur Voraussetzung machen.
Ihr Vorschlag, dieses Kriterium hinzuzufügen, ist perfide. Diese Vorsorge können sich Geringverdiener nicht leisten. Angeblich gibt es 15 Millionen Riester-Verträge. Es wird nicht gesagt, wie viele davon auf beitragsfrei gestellt oder wieder gekündigt sind. 36 Millionen Menschen könnten theoretisch einen Riester-Vertrag abschließen. Die meisten tun es nicht, weil sie kein Geld haben. Das Konzept der Frau von der Leyen ist ein gigantisches Förderprogramm für die Banken- und Versicherungswirtschaft und ein weiterer Schritt zur Privatisierung der Rentenversicherung.
Was ist zur Erwerbsminderungsrente zu sagen?
Eine Mogelpackung! Angeblich will die Arbeitsministerin die Rente für Menschen mit eingeschränkter Gesundheit verbessern. Derzeit ist es so: Wenn jemand aus diesen Gründen früher in Rente gehen muss, wird die berechnet, als hätte er bis zum Alter von 60 Jahren so viel verdient wie zu früheren Erwerbszeiten. Künftig will Frau von der Leyen sie berechnen lassen, als hätte derjenige bis zum Alter von 62 Jahren entsprechende Einkünfte gehabt. Angesichts der Einführung der Rente mit 67 ist das aber keine Verbesserung.
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