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Matthias W. Birkwald

Vereinigungspolitischer Skandal: Keine Rentenangleichung Ost-West in dieser Wahlperiode

16.12.2011
Redebeitrag von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.) am 16.12.2011 um 12:44 Uhr (150. Sitzung, TOP 29)

Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE)

zur Beratung

der Großen Anfrage der SPD „Zwanzig Jahre Rentenüberleitung – Perspektiven für die Schaffung eines einheitlichen Rentenrechts in Deutschland“,

und zur ersten Lesung

des AN SPD „Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines "Renten­überleitungsabschlussgesetzes" und zur Einrichtung eines "Härtefallfonds",

des AN SPD „Sofortige Ost-West-Angleichung von pauschal bewerteten Versicherungszei­ten beim Erwerb von Entgeltpunkten für die Rentenversicherung vornehmen

des AN DIE LINKE „Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Korrektur der Überleitung von DDR-Al­terssicherungen in bundesdeutsches Recht

am 16.12.2011 im Plenum des Deutschen Bundestages

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Angleichung der ost­deutschen Renten auf das Westniveau folgt die LINKE zwei Grundsätzen:

Erstens. Gleiche Rente für gleiche Lebensleistung.

Zweitens. Bei der Angleichung der ostdeutschen Renten auf das Westniveau geht es um Leistungsgerechtigkeit und nicht um Almosen.

(Beifall bei der LINKEN)

Von Gerechtigkeit kann bisher keine Rede sein. Auch 21 Jahre nach der Einheit erhalten Ostdeutsche nach 45 Jahren Arbeit mit einem durch­schnittlichen Verdienst knapp 140 Euro weniger Rente als Westdeutsche. Das darf nicht so bleiben. Damit muss endlich Schluss sein.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Maria Michalk (CDU/CSU): Was haben Sie da für eine komische Rechnung aufge­macht!)

Nicht nur diese Bundesregierung, sondern alle Bundesregierungen in den vergangenen 20 Jahren haben nur eine Hinhaltepolitik gegenüber den ostdeutschen Rentnerinnen und Rentnern betrieben. CDU, CSU und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag eine Regelung noch in dieser Wahlperiode versprochen. Das steht auf Seite 84. Im März des vergangenen Jahres hat der CDU-Bundesausschuss dieses Versprechen wieder einkassiert. Weitere eineinhalb Jahre später, im Oktober dieses Jahres, erdreistete sich die Bun­desregierung auf die Große Anfrage der SPD zu antworten ‑ ich zitiere ‑:

Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.

Mit vermeintlicher Gründlichkeit können Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, das nicht mehr erklären.

In der Sächsischen Zeitung von heute steht:

„Ostbeauftragter will Rentenangleichung verschieben.“

Ich zitiere:

„Die Bundesregierung will offenbar ihr Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag aufgeben, noch bis 2013 ein einheitliches Rentensystem in Ost und West einzufüh­ren.“

(Iris Gleicke (SPD): Hört! Hört!)

„Ihr Ostbeauftragter, Christoph Bergner (CDU), will nach SZ-Informationen heute im Bundestag dafür plä­dieren, in dieser Wahlperiode keine Eingriffe in das Rentenrecht vorzunehmen. Das jetzige System habe sich bewährt, kein Alterna­tivmodell sei überzeugend, heißt es in Bergners Um­gebung.“

Herr Staatssekretär, sagen Sie doch bitte einmal in dieser Debatte und nicht in der folgenden etwas zu diesem Thema.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Sie können es auch gleich zugeben: In dieser Wahlperiode wird es nichts mehr mit der Rentenangleichung.

(Maria Michalk (CDU/CSU): Das ist eine Unterstellung! Die Wahlperiode ist noch nicht zu Ende!)

Sie wollen die Menschen in Ostdeutschland schlicht und einfach für dumm verkaufen. Das ist nicht nur arrogant, das ist ein vereinigungspolitischer Skandal.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜND­NIS 90/DIE GRÜNEN ‑ Maria Michalk (CDU/CSU): Das müssen gerade Sie sagen! Schämen Sie sich!)

Meine Damen und Herren von Union und FDP, es ist keineswegs so, dass sich die rentenpolitische Ungerechtigkeit von allein verflüchtigte, weil sich, wie von unsichtbarer Hand geleitet, die Löhne und Gehälter im Osten an die im Westen anglichen. Das gibt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage selbst unumwunden zu. Ich zitiere:

In welchem zeitlichen Rahmen sich die Einkommens­verhältnisse in den neuen Ländern an die Einkom­mensverhältnisse in den alten Ländern angleichen, kann heute nicht verlässlich bestimmt werden.

Sie wissen also, was Sache ist.

(Maria Michalk (CDU/CSU): Wir können es nicht festle­gen, wie früher die SED-Regierung, die die Löhne fest­gelegt hat!)

Trotzdem tun Sie nichts. Sie setzen faktisch auf eine biologische Lösung und darauf, dass sich die Betroffenen in Ostdeutschland aufgrund ihres hohen Alters bald nicht mehr werden wehren können.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Wir führen doch nicht die Tarifverhandlungen! Dummes Ge­schwätz!)

Mit Verlaub, meine Damen und Herren von CDU und CSU, das ist alles, nur nicht christlich.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie missachten damit die Würde der Ostdeutschen. Hören Sie endlich auf, Ihre anhaltende Feindseligkeit gegenüber der verblichenen DDR an den heutigen Rentnerinnen und Rentnern auszulassen. Das ist doch schäbig.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Maria Michalk (CDU/CSU): Das müssen Sie gerade sagen! ‑ Patrick Kurth (Kyff­häuser) (FDP): Jetzt wird es aber unverschämt! Was soll denn das? ‑ Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Das ist ja unglaublich! Die Nachfolgepartei der SED, die die Rentner mit billigsten Minirenten ab­gespeist hat, redet so!)

Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, Sie fordern mit Ih­rem Antrag für einige wenige versicherungsrechtliche Zeiten eine Anglei­chung an das Westniveau. Sicher, Kindererziehungszeiten, die Pflege von Angehörigen, Wehr- und Zivildienst und die Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Ost und West im Rentensystem einheitlich zu behandeln, ist völlig richtig; aber es ist alles andere als ausreichend. Die Verkäuferin, der Fließbandarbeiter oder Köchinnen und Köche zum Beispiel haben für ihre Arbeit in Halle, Suhl und Dresden dieselbe Gleichbehandlung verdient.

(Beifall bei der LINKEN - Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die haben in der DDR schon sehr wenig verdient!)

Darum will die LINKE eine Angleichung für alle. Deshalb muss die Anglei­chung der Ostrenten aus Sicht der LINKEN ein zentrales Thema einer ent­sprechenden Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Rentenüberleitung sein.

Meine Damen und Herren,

aus Sicht der LINKEN muss eine Ost-West-Angleichung bei den Renten drei zentrale Bedingungen erfüllen.

Erstens: Sie muss eine deutliche materielle Verbesserung für alle heutigen Rentnerinnen und Rentner zwischen Rügen und dem Vogtland bringen.

Zweitens. Die Umrechnung und die Hochwertung der Ostlöhne und -gehälter auf das Westniveau müssen beibehalten werden; das ist sehr wich­tig.

Drittens brauchen wir die Angleichung möglichst schnell. Wir LINKEN wollen gemeinsam mit Verdi, der Volkssolidarität, dem Sozialverband Deutschland sowie weiteren Verbänden und Gewerkschaften, dass die Angleichung bis 2016 abgeschlossen wird. Das erreichen wir mit einem steuerfinanzierten und stufenweise steigenden Zuschlag.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Es hilft nichts, Herr Kollege. Ihre Redezeit ist zu Ende.

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Denn es gilt: Der Rentner in Magdeburg ist nicht weniger wert als die Rent­nerin im westfälischen Münster.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)