Mit ihrem auf einem kleinen Parteitag beschlossenen Rentenkonzept hat die SPD die Kernfrage der Rentenpolitik auf später vertagt und sich so darum gedrückt, die Konsequenzen aus ihrer gescheiterten Rentenpolitik der Agenda 2010 zu ziehen. Gleichzeitig hat sie eine Reihe von Kompromissformeln entwickelt und Beschlüsse gefasst, die geeignet sind, sowohl die eigene Partei als auch ein breites Umfeld potenzieller Unterstützerinnen und Unterstützer im Wahlkampf zu integrieren. Der Kompromiss zwischen der SPD-Linken auf der einen und der Parteiführung und dem Kanzlerkandidaten auf der anderen Seite beruht in vielen Fällen auf Unklarheiten der Beschlusslage, die von der jeweiligen Seite zu ihrem Zweck interpretiert werden.
Kein rentenpolitischer Kurswechsel
Die SPD will das Rentenniveau bis 2020 auf dem derzeitigen Stand stabilisieren, dazu aber – zumindest vorerst – nicht in die Rentenanpassungsformel eingreifen. Stattdessen will sie durch die Bekämpfung von Erwerbsarmut und die Schaffung von mehr Beschäftigung die Grundgröße des Rentensystems – die Bruttolohnsumme – so positiv beeinflussen, dass sich Eingriffe in die Rentensystematik erübrigen.
So notwendig viele der vorgeschlagenen arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen sind, so unrealistisch ist es, allein auf diesem Weg eine Stabilisierung des Rentenniveaus erreichen zu können. Hier wirft die SPD mit Nebelkerzen. Die Beschäftigungszuwächse und die Steigerung der Lohnsumme müssten außerordentlich hoch sein, um den durch die Alterung der Gesellschaft wachsenden Anteil von Rentnerinnen und Rentnern an der Gesamtbevölkerung, der durch einen Faktor in der Rentenanpassungsformel das Niveau der gesetzlichen Rente dämpft, kompensieren zu können. Die Mindestlohnforderung der SPD liegt mit 8,50 Euro brutto außerdem zu niedrig, um sowohl individuell als auch gesamtwirtschaftlich einen nennenswerten Effekt auf die Rente zu haben. Erst 2020 – wenn eine gesetzliche Überprüfung ohnehin ansteht, will die SPD neu bewerten, ob eine Neujustierung von Rentenniveau und Beitragssatz notwendig ist/sein wird.
Es ist aber bereits heute klar: Das unter Rot-Grün installierte Drei-Säulen-Prinzip der Lebensstandardsicherung aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Rente ist gescheitert und muss so schnell wie möglich revidiert werden. Die betriebliche und die Riester-Rente werden die Lücken, die in die gesetzliche Rente gerissen wurden, nicht füllen können. Denn viele Menschen verfügen gar nicht über eine solche Form der zusätzlichen Vorsorge oder sie wirft aufgrund sinkender Zinsen und hoher Verwaltungskosten nur geringe Leistungen ab. Kapitalgedeckte Systeme haben sich als hochgradig krisenanfällig erwiesen, das Umlageverfahren der gesetzlichen Rente dagegen als hochgradig stabil und zuverlässig.
Die SPD ist aber nicht bereit, daraus die Konsequenzen zu ziehen: Sie rudert zwar bei der Riester-Rente zurück, die sich als Riesenflop erwiesen hat, will stattdessen aber mit den Betriebsrenten eine andere Form der kapitalgedeckten Altersvorsorge stärken. Hier will sie ein Arbeitgeber-Obligatorium mit Ausstiegsmöglichkeit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einführen. Die kapitalgedeckte Altersvorsorge hat sich jedoch als extrem krisenanfällig erwiesen. Neuere Berechnungen lassen außerdem starke Zweifel an der Rentabilität der Entgeltumwandlung aufkommen. Wenn die Arbeitgeberinnen nicht dazu zahlen – und das ist in vielen Fällen der Fall und von der SPD auch nicht zwingend vorgesehen – rechnet sie sich nicht. Dennoch lässt die SPD weiterhin offen, Betriebsrenten auf diesem Weg zu fördern, und setzt insgesamt weiter auf das falsche Pferd der Kapitaldeckung, das sich in der Krise als lahmer und magerer Gaul erwiesen hat, statt konsequent das Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung zu stärken.
Das Leistungsniveau entscheidet über die Höhe der Rente - SPD versagt
Genau dies will DIE LINKE tun: Denn die gesetzliche Rente ist das sicherste und sozial gerechteste System der Altersvorsorge. Sie muss deshalb wieder den Lebensstandard sichern und sie muss strukturell armutsfest gemacht werden. Dafür ist das Rentenniveau entscheidend. Es muss wieder auf 53 Prozent angehoben werden. Die Arbeitgeber müssen wieder gleichmäßig an den Kosten der Alterssicherung beteiligt werden. Betriebliche und private Renten können die gesetzliche ergänzen, dürfen sie aber – auch nicht teilweise – ersetzen, wie das in den SPD-Beschlüssen entgegen anderslautender Bekundungen nach wie vor der Fall ist.
Ein solcher Kurswechsel wäre für die Beschäftigten sogar günstiger als das herrschende Drei-Säulen-Prinzip. Denn in der gesetzlichen Rentenversicherung sind die Arbeitgeber gleichmäßig an der Finanzierung der Altersvorsorge beteiligt. Bei Riester zahlen sie gar nicht mit, bei Betriebsrenten nur bei einem Teil der Versicherten. Die Stabilität des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung, die die SPD seinerzeit zum Dogma erhoben hat, nützt also nur den Arbeitgebenden. Die Beschäftigten zahlen drauf, weil sie den Löchern in der gesetzlichen Rente ganz alleine hinterher sparen müssen. An diesem Dogma will die SPD nicht rütteln und weiterhin die Arbeitgeberinnen schonen. Nur im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Obergrenzen sollen die Beiträge steigen dürfen.
Rente erst ab 67: Parteilinke und Gewerkschaften befriedet
War im ursprünglichen Entwurf von Sigmar Gabriel und auf Wunsch von Peer Steinbrück noch kein klares Bekenntnis zur Aussetzung der Rente erst ab 67 enthalten, bekräftigt der Beschluss nun auf Druck der Parteilinken den bereits im November 2011 gefassten Parteitagsbeschluss, die Rente erst ab 67 so lange auszusetzen, bis mindestens 50 Prozent der 60-64-Jährigen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sein werden.
Bei der Rente erst ab 67 bleibt abzuwarten, ob die SPD nach der Bundestagswahl auch tatsächlich liefern oder sich diesen Punkt bereit willig von der Union (oder den Grünen, die hier ebenfalls bereits Widerspruch angemeldet haben) abhandeln lassen wird. Eine Aussetzung der Rente erst ab 67 wäre außerdem nur ein erster Schritt. Denn auch wenn 50 Prozent der Versicherten im rentennahen Alter sozialversicherungspflichtig beschäftigt wären (derzeit sind es nicht einmal 30 Prozent), würde die andere Hälfte doch weiterhin von den negativen Auswirkungen einer Anhebung des Rentenalters betroffen bleiben. Relevant ist außerdem nicht die gesamte Gruppe der 60-64-Jährigen, sondern die der 64-Jährigen, also derer, die tatsächlich kurz vor der Rente stehen. Bei ihnen liegt der Anteil in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung nicht einmal bei 15 Prozent. DIE LINKE bleibt deshalb dabei: Die Rente erst ab 67 muss weg – ohne Wenn und Aber!
Mit dem abschlagsfreien Rentenzugang mit 63 Jahren nach 45 Versicherungsjahren nimmt die SPD eine weitere gewerkschaftliche Forderung auf. Hiervon würde nach Angaben der SPD jede/r vierte Neurentner/in profitieren. Auch mit der Abschaffung der Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten übernimmt die SPD eine von Gewerkschaften und der LINKEN seit langem erhobene Forderung.
Mit Sozialhilfe de luxe gegen Altersarmut
Mit der "Solidarrente" macht die SPD ein Konkurrenzangebot zur mehrfach modifizierten Zuschussrente von der Leyens, das trotz Unterschieden im Detail anschlussfähig an Unionsvorschläge ist. Versicherte mit 30 Beitrags- und 40 Versicherungsjahren, sollen im Rahmen der bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherung im Alter auf bis zu 850 Euro aufgestockt werden. Unklar bleibt, ob es sich dabei um einen Brutto- oder Nettobetrag handeln soll. Dann wäre gegenüber der Grundsicherung im Alter nicht viel gewonnen.
Ebenso unklar bleibt, ob die Rente nach Mindestentgeltpunkten dauerhaft entfristet werden und die "Solidarrente" vermeiden helfen oder auslaufen soll. Auch hier wirft die SPD mit Nebelkerzen. Wenn der neue Beschluss eine Entfristung der Rente nach Mindestengeltpunkten nicht mehr vorsieht, dann wäre die SPD damit hinter ihre bisherige Beschlusslage zurückgefallen – zum Nachteil aller Frauen, die verheiratet sind und über geringe Erwerbseinkommen verfügen. Denn die "Solidarrente" soll in die Grundsicherung im Alter integriert werden und ist wie diese streng bedürftigkeitsgeprüft: Einkommen, Vermögen und Partnereinkommen werden strikt angerechnet. Dies wird wie jetzt schon bei der Grundsicherung im Alter viele abschrecken.
Klar ist auch, dass ähnlich wie bei der Zuschussrente viele Menschen die hohen Voraussetzungen an Versicherungs- und Beitragsjahren verfehlen werden, gerade Frauen. Für sie will die SPD zwar "familienbedingte Erwerbsverläufe" in der Rente besser abbilden. Sie will sich aber lediglich an die Kinderberücksichtigungszeiten heranwagen. Die Ausweitung der Kindererziehungszeiten auf vor 1992 geborene Kinder, die älteren Müttern viel für die Rente bringen würde, will die SPD hingegen nicht angehen. Wie die Koalition scheut sie vor den Kosten zurück.
Für DIE LINKE ist klar: Es müssen endlich auch für Zeiten vor 1992 drei Jahre Kindererziehungszeit in der Rente anerkannt werden. Die dringend gebotene Gleichstellung der Kindererziehungszeiten darf nicht unter Kostenvorbehalt gestellt werden, sondern muss umgehend umgesetzt werden. Jede und jeder muss im Alter in Würde leben können. Es reicht deshalb nicht, eine "Sozialhilfe de luxe" für das Alter einzuführen, die nach wie vor zu hohe Hürden hat und zu niedrig liegt. Wir brauchen eine Solidarische Mindestrente, mit der jede und jeder, die/der nicht über genügend Einkommen und Vermögen verfügt, über die Armutsschwelle gehoben wird und die nicht das Privileg einiger weniger bleibt.
Ein großes Versprechen: Die Angleichung der Ostrenten
Wie Union und FDP in ihrem Koalitionsvertrag verspricht die SPD, in der kommenden Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West durchzusetzen. Schwarz-Gelb hat dieses Versprechen längst gebrochen. Die SPD wird auch hier liefern müssen, will sie nicht ebenso wortbrüchig werden. Zwar behauptet sie, die Interessen der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in Ost und West sowie der Rentner und Rentneriinnen in West und Ost wahren zu wollen. Sie will aber die Hochwertung der Löhne in Ostdeutschland für die Angleichung abschaffen. Diese wird wegen der nach wie vor großen Lohnunterschiede aber immer noch dringend gebraucht. Auch scheint die SPD den Kraftaufwand für eine Angleichung zu unterschätzen, wenn sie davon ausgeht, dass die eine Hälfte der Rentenangleichung auf dem Weg der Lohnangleichung erreicht werden kann und nur die andere Hälfte durch eine rentenpolitische Lösung geschafft werden muss. Hierfür bedarf es dann tatsächlich eines entschiedenen arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Handelns und nicht nur des Setzens auf das Prinzip Hoffnung.
Fazit: Wer links blinkt, muss liefern und darf den entscheidenden Fragen nicht ausweichen
Mit ihren Beschlüssen zum Rentenalter und zur Ostangleichung hat die SPD den Arbeitnehmenden in West und Ost und den Rentnern im Osten große Versprechungen gemacht. In Regierungsverantwortung wird sie liefern müssen, will sie nicht wie Schwarz-Gelb wortbrüchig werden. In einer großen Koalition mit der Union, auf die momentan alles zuläuft, sind ihre Versprechungen zum Rentenalter aber das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Und warum sollte sie mit der Union, die von dieser schon einmal versprochene und dann abgesagte Angleichung der Ostrenten tatsächlich umsetzen? Der entscheidenden Frage für die Zukunft der Rente – der Stabilisierung des Rentenniveaus durch Eingriffe in die Rentenanpassungsformel und der damit verbundenen dringend notwendigen Revision des Drei-Säulen-Prinzips – weicht die SPD nach wie vor aus, um ihren Kanzlerkandidaten und ihre anderen Agenda 2010-Männer nicht zu vergrätzen. Das ist aber die Gretchenfrage. Ohne ihre Beantwortung wird ein im Sinne der Beschäftigten dringend notwendiger Politikwechsel in der Rentenpolitik nicht zu haben sein!
linksfraktion.de, 28. November 2012
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