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Matthias W. Birkwald

Armuts- und Reichtumsberichterstattung ohne ideologische Verschleierungsbrille

21.03.2013

Zu Protokoll gegebene Rede vom 21. März 2013 zum Antrag der LINKEN "Verschleierung verhindern – Berichterstattung über Armut und Reichtum auf eine unabhängige Kommission übertragen" (17/12709)

Sehr geehrte Frau Präsidentin/Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen,

bereits am 17. September 2012 hatte die Bundesregierung einen ersten Entwurf zum vierten Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Dieser Bericht hatte es in sich – und zwar so sehr, dass die FDP hellauf empört über die darin beschriebene Wahrheit in diesem Lande eine massive Aufhübschung des Berichts gefordert – und leider auch durchgesetzt hat.

Im ersten Berichtsentwurf stand noch – ich zitiere:

„Die Bundesregierung prüft, ob und wie über die Progression in der Einkommensteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann“.

Die FDP hat diese Passage im Handumdrehen streichen lassen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir CDU, CSU und FDP nicht durchgehen lassen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das private (Netto-)Vermögen hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten deutlich zugenommen. Das Nettovermögen der privaten Haushalte hat sich von knapp 4,6 Billionen Euro 1992 auf rund 10 Billionen Euro mehr als verdoppelt. Selbst in der Krise zwischen 2007 und 2012 ist das Vermögen um 1,4 Billionen Euro gestiegen. Das Vermögen in Deutschland ist aber extrem ungleich verteilt und die Spreizung nimmt dramatisch zu.

Wenige werden immer reicher – und Viele werden immer ärmer. Mit Leistung hat das alles aber rein gar nichts zu tun. Und mit Gerechtigkeit schon gar nicht. Und genau das muss hier im Bundestag nicht nur diskutiert werden. Sondern genau das muss hier geändert werden!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

auch mit der Lohnentwicklung stimmt was nicht: In den Jahren von 1998 bis 2008 haben die untersten 40% der Vollzeitbeschäftigten reale Lohnverluste erleiden müssen.

Wörtlich heißt es im ersten Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts:

„Eine solche Einkommensentwicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und kann den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden“.

Das stimmt!

Doch die FDP hat diese Einsicht ganz schnöde wegzensiert! Das ist schäbig!

Eine Studie des DGB zeigt die bittere Wahrheit: Inzwischen arbeiten 4,7 Millionen Menschen, die sozialversicherungspflichtig in Vollzeit beschäftigt sind, im Niedriglohnbereich. Das sind mehr als ein Fünftel aller Vollzeitbeschäftigten. Insgesamt arbeiten fast 8 Millionen Menschen für einen Niedriglohn, also für weniger als 9,15 Euro brutto pro Stunde. Das sind über eine Millionen Menschen mehr als noch vor zehn Jahren. 1,4 Millionen Menschen arbeiten sogar für weniger als 5 Euro.

Das alles schreit doch förmlich nach starken Gewerkschaften und nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Mit dieser elendigen Billig-Lohn-Politik muss endlich Schluss sein!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im März diesen Jahres zählte die Bundesagentur für Arbeit bundesweit mehr als 1,3 Millionen Menschen, die arbeiten gehen und trotzdem aufs Amt müssen und Hartz IV beziehen.

20 Prozent dieser so genannten Aufstockerinnen und Aufstocker haben sogar einen Vollzeitjob. Das ist doch nichts anderes als Lohndrückerei per Gesetz. Dieses Gesetz gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.

Stattdessen müssen wir endlich eine sanktionsfreie soziale Mindestsicherung einführen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das skandalöse Vorgehen der schwarz-gelben Regierung lässt doch nur einen Schluss zu: Wir brauchen eine von der Regierung unabhängige Kommission, die sich ernsthaft, ohne ideologische Verschleierungsbrille und vor allem fernab von Wahlkampfinteressen der Armuts- und Reichtumsberichterstattung annimmt. Diese Kommission muss aus unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aus Gewerkschaftern sowie aus Vertreterinnen und Vertretern aus Verbänden und Interessenvertretungen von Betroffenen zusammen gesetzt sein. Wichtig ist zudem, dass die Kommission mit einem eigenen Budget ausgestattet ist und ein unabhängiges Büro unterhalten kann. Auf diese Weise kann und muss die Kommission Gutachten in Auftrag geben, Expertinnen und Experten anhören und dadurch gewonnene Erkenntnisse zeitnah veröffentlichen.

Im Mittelpunkt steht dabei das Interesse, unser Wissen über das Ausmaß, die Ursachen und die Auswirkungen von Armut und Reichtum zu verbessern und Strategien zur Vermeidung und Bekämpfung von grober Ungleichheit zu entwickeln. Einseitige Beschränkungen auf bestimmte Ansätze, wie ihn die von CDU, CSU und FDP gebildete Bundesregierung mit dem Lebensphasenansatz vorgegeben hat, müssen vermieden werden.

Vielen Dank!