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Matthias W. Birkwald

Frau alt = arm? Für die Freiheit von Armut im Alter!

Die Freiheitsliebe im Gespräch mit Matthias W. Birkwald

26.04.2013

Immer mehr Menschen leben in Altersarmut, trotzdem diskutiert die Politik immer neue Konzepte, wieso die Menschen länger arbeiten sollten. Wir haben mit Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Linken, über Altersarmut und die besonders schlechte Situation von Frauen gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Frauen sind in Deutschland stärker von Altersarmut betroffen als Männer, woran liegt das?

Matthias W. Birkwald: Es ist richtig, dass insbesondere Frauen die Leidtragenden der katastrophalen Rentenentwicklung sind. Unsere gesetzliche Rentenversicherung ist am Äquivalenzprinzip ausgerichtet. Das bedeutet zunächst, dass Niedriglöhne und längere Phasen von Nichtbeschäftigung zwangsläufig zu geringeren Rentenansprüchen führen. Frauen werden in Bezug auf das Einkommen nach wie vor diskriminiert. Sie bekommen immer noch im Schnitt 22% weniger Lohn und Gehalt als Männer. Es ist für sie auch schwieriger, überhaupt einen guten Job zu bekommen, besonders wenn Kinder im Spiel sind. Z.B. beziehen 40% aller Alleinerziehenden schon heute Hartz IV und Alleinerziehende sind nun mal in der Regel Frauen (94%). Deshalb fordern wir unter anderem, dass die Bundesagentur für Arbeit für Hartz-IV-Betroffene endlich wieder anständige Beiträge in die Rentenkasse einbezahlt.
Die Gründe sind vielschichtig, aber einer der Hauptfaktoren ist natürlich die veraltete Vorstellung der Rollenverteilung in Familien. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist keineswegs gegeben. Das wollen wir LINKEN ändern!

Die Freiheitsliebe: Wie viele Frauen erreichen nur die „Grundsicherung im Alter“ von durchschnittlich 707 Euro?

Matthias W. Birkwald: Seit der Einführung der „Grundsicherung im Alter“ im Jahr 2003 ist die Anzahl der auf sie angewiesenen Menschen, die über 65 Jahre alt sind, um 69% auf 436.000 gestiegen. Davon sind zwei Drittel Frauen. Die Dunkelziffer allerdings ist sehr hoch. Laut einer Studie sind schon heute eigentlich zwischen 1,1 Mio. und 1,4 Mio. Ältere von Armut betroffen. Sie scheuen aber häufig davor zurück, die Grundsicherung überhaupt zu beantragen, oft aus Scham. Sie ist für Viele ein Stigma. Sie wollen kein „Alters-Hartz“ beziehen, keine Fürsorgeleistungen erfragen, sondern eine Rente.

Die Freiheitsliebe: Wie kann den Frauen geholfen werden, die heute schon eine Rente bekommen, von der sie kaum leben können?

Matthias W. Birkwald: Ich würde mich freuen, wenn die Menschen erkennen würden, wer ihnen den Schlamassel eingebrockt hat. Dann sollten sie für sich daraus Konsequenzen ziehen und ihr Wahlverhalten überdenken. Wir fordern eine steuerfinanzierte, einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente. Mit diesem Konzept eröffnet DIE LINKE einen Weg heraus aus der Armut im Alter. Das Ziel ist: Niemand soll im Alter von weniger als 1050,- Euro leben müssen. Ein steuerfinanzierter Zuschlag soll an jene Rentnerinnen und Rentner gezahlt werden, die sehr geringe Alterseinkommen haben und nur über ein überschaubares Vermögen verfügen. Die Zahl der Versicherungsjahre spielt im Rentenkonzept der LINKEN hierbei keine Rolle. Die anderen Parteien knüpfen ihr Angebot von einer niedrigeren „Garantierente“ (Grüne), „Solidarrente“ (SPD) oder der sogenannten „Lebensleistungsrente“ (CDU) auch noch an kaum zu erfüllende Bedingungen.

Die Freiheitsliebe: Muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass Frauen länger arbeiten (Bisher kommen sie im Durchschnitt nur auf 28 Versicherungsjahre)?

Matthias W. Birkwald: Damit wären wir wieder beim Thema Gleichstellung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir brauchen einen Politikwechsel für bessere Jobs: Die Arbeitszeiten müssen bei vollem Lohnausgleich deutlich verkürzt werden – für Männer und für Frauen. DIE LINKE schlägt unter anderem vor, die wöchentliche gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Stunden auf 40 Stunden zu senken! Statt langer Arbeitszeiten für die Einen und gar keine oder zu wenig Arbeit für die Anderen, muss die vorhandene Arbeit gerechter verteilt werden, auch zwischen Männern und Frauen. Als Ziel kann ich mir eine 30-Stunden-Woche vorstellen, die allerdings auch nicht starr. Es gilt, die Arbeitszeitwünsche von Frauen und Männern mehr zu berücksichtigen. Außerdem dürfen die Löhne und Gehälter nicht länger geschlechtsabhängig sein, Kinderbetreuungsmöglichkeiten müssen flächendeckend gewährleistet werden usw. usw. Von Frauen einfach unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen zu verlangen, mehr zu arbeiten, ist Blödsinn. Ich kenne viele Frauen, die es versucht haben. Aber mach das erst mal, voll arbeiten, dann das eine Kind aus der Kita abholen, das zweite aus der Schule, zum Einkaufen hetzen, zum Sportverein, Hausaufgaben, Abendessen, Gute-Nacht-Geschichte. Das ist in der Regel ein Tag der um 6 Uhr beginnt und wenn die Familie Glück hat, kehrt um halb 10 langsam Ruhe ein. Wir reden hier von 16-Stunden-Arbeitstagen. Das ist tiefstes 19. Jahrhundert und muss in Zukunft dringend anders geregelt werden.

Altersarmut in Zukunft

Die Freiheitsliebe: Wie kann dafür gesorgt werden, dass Frauen, die in Zukunft in Rente gehen nicht in Altersarmut abrutschen?

Matthias W. Birkwald: Frauen stecken ja oft wegen der Pflege oder Betreuung von Familienangehörigen zurück. Da sind zunächst wir Männer gefordert, uns unbedingt ebenso stark einzubringen. Zeiten der Kindererziehung und Pflege müssen in der Rente dann für alle besser anerkannt werden. Jedes Kind sollte uns auf dem Rentenkonto von Mutter (oder Vater) gleich viel wert sein und darum streiten wir LINKEN schon länger dafür, dass es auch für die vor 1992 geborenen Kinder knapp 85 Euro pro Monat aufs Rentenkonto gibt.
Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 10 Euro und die Aufwertung von Zeiten des Niedriglohnbezugs würden zur Zeit vor allem Frauen vor künftiger Altersarmut schützen. Bei Beitragszeiten bis 1991 war Letzteres sogar noch der Fall. Menschen, die vor 1991 über einen langen Zeitraum von Niedriglohn betroffen waren, bekommen ihre Rente noch aufgebessert. Das heißt, für jüngere Menschen gilt das nicht mehr. Diese Frist wollen wir abschaffen. Davon würden zu 88% Frauen profitieren. Wir fordern außerdem Entgeltgleichheit – also gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit. Die Arbeit einer Altenpflegerin ist genauso viel wert, wie die eines Industriearbeiters. Und die Minijobs müssen endlich von der ersten Stunde an sozialversicherungspflichtig werden. Auch das käme Frauen besonders zu Gute. Last not least: Unser Vorschlag einer Solidarische Mindestrente garantiert, dass jede und jeder im Alter ein Leben in Würde führen kann. Auch sie nutzt Frauen in besonderem Maße.

Die Freiheitsliebe: Welche realistische Perspektive gibt es, die Pläne der LINKEN umzusetzen?

Matthias W. Birkwald: Altersarmut ist kein Problem, das abgekoppelt von anderen Missständen diskutiert werden kann. Rentenpolitik ist nur eine Facette unseres Sozialsystems. Sie ist eng verknüpft mit Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs-, Wirtschafts-, und vor allem der Lohnpolitik und selbstverständlich auch mit familienpolitischen Themen. Alles bedingt einander. Schritt für Schritt können wir einzelne Bausteine unseres Rentenkonzeptes in die richtige Richtung bewegen. Beispielsweise sind die Gewerkschaften und die Sozialverbände VdK, Volkssolidarität, Sozialverband Deutschland und andere wie wir dafür, die Rente erst ab 67 ohne Wenn und Aber zurück zu nehmen. Der DGB, der Paritätische Wohlfahrtsverband und andere Sozialverbände unterstützen unsere Forderung, die Kürzungsfaktoren aus der Rentenanpassungsformel zu streichen. Weitere Beispiele sind die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente. Die wollen wir, die SPD, die Gewerkschaften und die Sozialverbände abschaffen.
Aber: Für all diese notwendigen Bausteine brauchen wir ein entsprechendes gesellschaftliches Klima, außerparlamentarischen Druck und letztlich parlamentarische Mehrheiten. Das heißt: Wir Alle dürfen die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht als unverrückbare Gegebenheiten betrachten. Wichtig ist: Aufbegehren, Streiks und Demos organisieren, Flashmobs oder politische Harlem Shakes veranstalten, nicht resignieren, sich nicht aufgeben und unbedingt wählen gehen! Nur ein starker gesellschaftlicher Druck kann Veränderung schaffen. Mit anderen Worten: Ohne Euer politisches Engagement auf der Straße und in der Wahlkabine, können wir LINKEN allein nur wenig ausrichten.

Die Freiheitsliebe: Welche Möglichkeiten bestehen denn, Ihr Rentenkonzept zu finanzieren?

Matthias W. Birkwald: Wir haben da eine gute Formel: Gute Arbeit – gute Löhne – gute Rente. Übersetzt heißt das, dass wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn brauchen und vor allem auch höhere Tariflöhne. Alle, die einer Erwerbsarbeit nachgehen, müssen in die Rentenversicherung einzahlen. Auch Abgeordnete, Minister_innen, Beamt_innen und Selbständige. Ohne Grenze muss gelten: Je höher das Erwerbseinkommen, desto höher die Einzahlungen in die Rentenversicherung. Denn: Die Millionär_innen brauchen die gesetzliche Rentenversicherung nicht, aber die gesetzliche Rentenversicherung braucht die Millionär_innen. Auch die Arbeitgeber müssen sich – wie früher – zur Hälfte an der Finanzierung der wieder den Lebensstandard sichernden gesetzlichen Rentenversicherung beteiligen. Für die Arbeitnehmer_innen wäre das unter dem Strich sogar günstiger als heute mit Riester und Betriebsrenten. Die Riester-Rente gehört abgeschafft! Sie ist ein totaler Flop und komplett gescheitert, denn viele Menschen können von ihren Hungerlöhnen nichts abknapsen. Die Renditen sind mager und die, die sie am dringendsten bräuchten, haben von ihr nichts. Sie ist also sozial ungerecht und außerdem noch ineffizient und intransparent.
Millionär_innen, Großerb_innen und Spitzenverdiener_innen müssen über höhere Steuern stärker in die Pflicht genommen werden. Damit könnten wir Maßnahmen für den Solidarausgleich in der Rente finanzieren. Was wir heute erleben, ist weit von jeder Idee von Gerechtigkeit entfernt. Deshalb fordern wir einen systemischen umfassenden Wechsel hin zu einer Gesellschaft, in der Solidarität wieder großgeschrieben wird.

Die Freiheitsliebe: Danke für das Interview.