Auszug aus dem Protokoll der
242. Sitzung des Deutschen Bundestages
Schriftliche Fragen von Matthias W. Birkwald (MdB, DIE LINKE.)
zur mündlichen Beantwortung in der Plenarssitzung vom 05.06.2013
Thema: Regelbedarfs-Ermittlung
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Wir kommen jetzt zur Frage 58 des Kollegen Birkwald:
Welche Vorschläge werden in Vorarbeiten zur Ausführung der Berichtspflicht der Bundesregierung nach § 10 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes zur Weiterentwicklung der Methode zur Ermittlung von Regelbedarfen nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Studien, Gutachten, Berechnungen etc. – gemacht, um aus der statistischen Referenzgruppe diejenigen Haushalte verlässlich auszuschließen, deren „eigene Mittel nicht zur Deckung des jeweils zu unterstellenden Bedarfs nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch ausreichen“ (§ 10 Abs. 2 Nr. 1 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes), um der verfassungsrechtlichen Vorgabe, Zirkelschlüsse bei der Festlegung der Regelbedarfe zu vermeiden, gerecht zu werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Birkwald, da es sich um ähnliche Sachverhalte handelt und auch hier beide Fragen in einem Sachzusammenhang stehen, bitte ich auch um Ihr Einverständnis, dass ich beide Fragen gemeinsam beantworte. Ich möchte auch für die Zuschauer erläutern: Die Fragen sind sehr ähnlich, und konsequenterweise kann für die Antwort nichts anderes gelten.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Dann rufe ich auch Frage 59 des Kollegen Birkwald auf:
Wie bewerten die vorliegenden Vorarbeiten die von der Bundesregierung ermittelten Regelbedarfe von Kindern und Jugendlichen, und welche Vorschläge werden für die zukünftige eigenständige Ermittlung der Bedarfe von Kindern und Jugendlichen vorgelegt?
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Die zur Durchführung der Forschungsprojekte benötigten Daten und verschiedene Berechnungen wurden vom Statistischen Bundesamt bereitgestellt. Die Ergebnisse werden derzeit aufbereitet und gehen in den Bericht ein. Der Bericht wird dem Deutschen Bundestag rechtzeitig bis zum 1. Juli 2013 vorgelegt. Im Zuge der Berichtslegung werden auch die erstellten Forschungsberichte veröffentlicht.
Der Zwischenruf der Kollegin Enkelmann gibt mir Gelegenheit, noch einmal die Bitte zu äußern, dieses zwischen den Verfassungsorganen Bundestag und Bundesrat gefundene Ergebnis zu akzeptieren
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Einschließlich aller Protokollvereinbarungen!)
und bitte auch die Tatsache zu akzeptieren, dass der 1. Juli 2013 noch nicht eingetreten ist und Sie deswegen so lange warten, weil dies so lange zwischen den Verfassungsorganen vereinbart worden ist. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat für den nach § 10 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch zu erstellenden Bericht über die Weiterentwicklung der für die Ermittlung von Regelbedarfen anzuwendenden Methodik zwei Forschungsprojekte im Rahmen von nationalen freihändigen Vergaben mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb in Auftrag gegeben. Ein Forschungsprojekt bezieht sich auf eine mikroanalytische Untersuchung zur Abgrenzung und Struktur von Referenzgruppen für die Ermittlung von Regelbedarfen auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008. Dieser Forschungsauftrag wird vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung durchgeführt.
Im zweiten Forschungsprojekt befassen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum mit der Überprüfung der bestehenden und Entwicklung neuer Verteilungsschlüssel zur Ermittlung von Regelbedarfen auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008. Dabei geht es zum einen darum, die regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben in Mehrpersonenhaushalten gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes sachgerecht auf Eltern und Kinder aufzuteilen, und zum anderen darum, eine begründbare Abstufung der Regelbedarfe bei mehreren Erwachsenen im Haushalt in die Regelbedarfsstufen 2 und 3 zu entwickeln.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Birkwald, auch für Sie würden vier Nachfragen zur Verfügung stehen, sofern Sie mögen; Sie müssen nicht.
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, auch Ihnen Dank für die Antwort. Ich will meine Nachfragen auf wenige Punkte beschränken. Einer ist mir ganz besonders wichtig.
Ist es zutreffend, dass der gesetzlich formulierte Berichtsauftrag der Bundesregierung voraussetzt, dass mit der bisherigen Methodik verdeckt arme Haushalte zur Ermittlung der Regelbedarfe einbezogen werden, obwohl es den expliziten Auftrag des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 gab, dies zu vermeiden, und obwohl es mit der Expertise des Statistischen Bundesamtes, das Sie ja eben angesprochen haben, für die Fraktion Die Linke auch ein statistisch einfaches Verfahren zum Ausschluss verdeckt armer Haushalte gibt, und, wenn ja, wie rechtfertigt die Bundesregierung dieses Vorgehen?
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Herr Kollege Birkwald, auch mit genau dieser Frage beschäftigen sich die Institute, die die Forschungsaufträge erhalten haben. Ebenso wie die Frage der Regelbedarfsstufen 4, 5 und 6 und möglicher Begründung und ebenso wie die Frage von entsprechenden Differenzierungen im Bereich der Erwachsenen ist auch das Thema „verdeckt Arme“ Gegenstand dieser Forschungsarbeiten.
Wir haben politisch nicht die Absicht, verdeckt Arme in die Berechnungen einzubeziehen mit dem Ziel, dadurch zu einem geringeren Regelsatz zu kommen, um einmal ganz klar das auszusprechen, was politisch hinter Ihrer Frage steckt.Wir haben nicht die Absicht,
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Niemand hat die Absicht …!)
Werte künstlich niedrig zu rechnen. Die von uns ermittelten Werte wie auch die Verfahren haben jeder gerichtlichen Prüfung standgehalten, wie Sie wissen.
Ich bitte um Verständnis, dass das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung und die Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum den Zuschlag für die Forschungsaufträge erhalten haben und nicht die Fraktion Die Linke. Ich kann Ihnen von daher zu diesem Zeitpunkt kein überlegenes statistisches Verfahren nennen oder gar ein entsprechendes Ergebnis mitteilen.
Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Wir haben einen Auftrag erhalten. Er ist in den Endzügen der Ausführung. Wir müssen das Ergebnis bis zum 1. Juli abliefern, und das werden wir tun. Daraus wird sich alles Weitere ergeben. Die Forschungsergebnisse werden zusammen mit dem Bericht veröffentlicht.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Sie haben eine weitere Nachfrage, bitte schön.
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Ich nehme die Chance wahr. – Herr Staatssekretär, es gibt Vorarbeiten, und Sie kennen sie. Wir hatten eine ähnliche Situation schon im Ausschuss. Deshalb frage ich Sie noch einmal: Zu welchen Ergebnissen kommen die Ihnen vorliegenden Vorarbeiten in Bezug auf die Zahl der verdeckt armen Haushalte in der Referenzgruppe, und welche Auswirkungen hat das auf die ermittelte Höhe des Regelbedarfs? Mit anderen Worten, um Ihrer Erwartungshaltung Genüge zu tun: Um wie viel Euro wurde der Regelbedarf einer allein lebenden Person aufgrund dieser Unterlassung der Bundesregierung kleingerechnet? Falls diese Fragen nicht Teil des Auftrags an das Statistische Bundesamt oder andere Sachverständige waren: Warum waren sie das nicht?
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Noch einmal, Herr Kollege Birkwald: Das Thema „verdeckt Arme“ und wie man damit statistisch umgeht, vor dem Hintergrund des politisch völlig unstreitigen Ziels, Zirkelschlüsse zu vermeiden, ist Gegenstand dessen, worüber geforscht wird. Das ist Teil des Arbeitsauftrags. Ich sage Ihnen noch einmal: Wir sind dabei, diesen Arbeitsauftrag zu erfüllen. Zum jetzigen Zeitpunkt, wo das Verfahren noch läuft, kann ich Ihnen nur sagen, dass die Bundesregierung und diejenigen, die sich auf dieses Verfahren verständigt haben, den Ergebnissen sehr zuversichtlich entgegensehen können. Es ist bisher jeder Versuch gescheitert, der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag oder dem Bundesrat in ihren Beschlüssen in irgendeiner Weise nachzuweisen, dass geltendes Recht verletzt worden ist. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich auf die Rechtslage, wie sie seit dem Jahr 2005 bestanden hat. Wir haben darauf mit den gesetzgeberischen Maßnahmen reagiert, die ergriffen worden sind. Die Bundesregierung ist sehr zuversichtlich, dass diese Regelungen genauso wie in der Vergangenheit einer gerichtlichen Überprüfung in der Zukunft standhalten.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Birkwald, Sie haben eine weitere Frage, bitte.
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Dass mich diese Antwort nicht befriedigt, werden Sie sich vorstellen können, Herr Dr. Brauksiepe. Aber ich will zu einem anderen Thema nachfragen. Inwieweit ist die im Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz vorgesehene Überprüfung und Weiterentwicklung der Verteilungsschlüssel hinsichtlich der Verbrauchsausgaben für Kinder und Jugendliche nach Ansicht der Bundesregierung und der vorliegenden Vorarbeiten ausreichend, um den Bedarf von Kindern und Jugendlichen eigenständig zu ermitteln, und welche alternativen Ermittlungsverfahren wurden mit welchem Ergebnis geprüft? Das ist doch das, was in der jetzigen Phase interessiert.
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Auch das ist Gegenstand der Untersuchung, und die entsprechenden Ergebnisse werden veröffentlicht. Ich bitte wirklich darum, Herr Kollege Birkwald, die Rechtslage zu respektieren. Wir tun das – wie im Gesetz vorgesehen – bis zum 1. Juli. Dann werden alle diese Fragen beantwortet. Ich vermute, dass die dann vorliegenden inhaltlichen Antworten Sie letztlich auch nicht befriedigen werden.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Da wissen Sie schon wenigstens etwas!)
Aber das kann ich gegebenenfalls nicht ändern. Ich sage Ihnen noch einmal: Der Bericht ist noch nicht fertig. Er wird in einem geordneten Verfahren erstellt und wird Ihnen dann gemeinsam mit den Forschungsergebnissen zur Verfügung gestellt. Ich jedenfalls sehe dem Tag der Veröffentlichung dieser Ergebnisse sehr ruhig und gelassen entgegen.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Jugendliche und Kinder nicht!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Birkwald, eine weitere Frage.
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Meine vierte Nachfrage würden Sie mir genauso unbefriedigend beantworten, Herr Staatssekretär. Deswegen verzichte ich auf sie. Herzlichen Dank!
Aktueller denn je: Ausführliches Interview im „Versicherungsboten“ zu allen wichtigen Fragen rund um die gesetzliche und die private Rente
Bundestagsrede in der Orientierungsdebatte am 26. Januar 2022