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Matthias W. Birkwald

Rentenversicherung braucht jeden Cent!

28.11.2013
Redebeitrag von Matthias W. Birkwald (Die Linke) am 28.11.2013 um 12:08 Uhr (3. Sitzung, TOP 4)

Rede des Rentenpolitischen Sprechers der Bundestagsfraktion DIE LINKE

Matthias W. Birkwald, MdB

am 28. November 2013 im Deutschen Bundestag

zum Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung der Beitragssätze

in der gesetzlichen Rentenversicherung (BT-Drs. 18/52)

(incl. Kurzintervention an Herrn MdB Straubinger (CDU/CSU))

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Lassen Sie mich das rentenpolitische Ergebnis der Koalitionsverhandlungen einmal zusammenfas­sen: Die SPD hat die notwendigen Schritte im Kampf gegen die Altersarmut und für mehr Rentengerechtigkeit dem Sparwahn von CDU und CSU geopfert. Wurde das dramatische Absinken des Rentenniveaus gestoppt, wie von der SPD im Wahlkampf versprochen? Nein, die Renten werden auch künftig weiter den Löhnen hinterherhinken. Das, meine Damen und Herren von der Koalition in spe, ist Ihre größte Unterlassungssünde. Das Rentenniveau muss dringend wieder angehoben werden.

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Aber damit nicht genug:

Erstens. An der Rente erst ab 67 wird nicht gerüttelt.

Zweitens. Eine echte, armutsfreie Mindestrente wird es nicht geben.

Drittens. Die Angleichung der Renten im Osten an das Westniveau wird fast auf den Sankt-Nimmerleins-Tagverschoben.

Deshalb ist der Koalitionsvertrag ein rentenpolitisches Armutszeugnis.

(Beifall bei der LINKEN)

„Soziale Gerechtigkeit“, „Umverteilung von oben nach unten“, diese Worte kommen im Koalitionsvertrag kein einziges Mal vor. Das sollten sie aber; denn erst gestern haben OECD und Statistisches Bundesamt eindringlich ge­mahnt: Erstens. Deutschland ist weltweit das Schlusslicht in der Alterssicherung von Geringverdienenden. Zweitens. Das Armutsrisiko der 55- bis 64-Jährigen steigt. - Das ist ein unhaltbarer Zustand.

Diesen Zustand wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, bis 2017 einfach ignorieren. Erst in vier Jahren soll es einen flächen­deckenden Mindestlohn und eine sogenannte Lebensleistungsrente für Gering­verdienende geben ‑ die ihren Namen nicht verdient. Vier Jahre verschenkt im Kampf gegen die Altersarmut! Das ist doch nicht zu fassen!

(Beifall bei der LINKEN)

Die Erwerbsminderungsrenten für Kranke befinden sich seit Jahren im Sinkflug. Das darf nicht so bleiben. Niemand wird freiwillig krank. Die neue Koa­lition will nun die Zurechnungszeiten in einem Rutsch um zwei Jahre anheben. Immerhin, das bringt den Betroffenen 35 bis 40 Euro mehr. Aber die Hälfte der Erwerbsminderungsrenten liegt unter dem Sozialhilfeniveau. Deshalb ist Ihr Schritt zwar richtig; er greift aber viel zu kurz, weil Sie den 50-jährigen Busfah­rer mit dem kaputten Rücken weiterhin mit völlig ungerechten Abschlägen be­strafen. Im Schnitt fehlen im Portemonnaie von Menschen, die nicht mehr voll arbeiten können, Monat für Monat rund 80 Euro. Darum fordere ich Sie auf, meine Damen und Herren von Union und SPD: Heben Sie die Zurechnungszeit um drei Jahre an und hören Sie auf die Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland, Ulrike Mascher! Sie hat gestern gesagt - ich zitiere -:

Die Erwerbsminderungsrentner dürfen von CDU/CSU und SPD nicht weiterhin mit der Beibehaltung der Abschläge bestraft werden. Sie müssen gestrichen werden!

Recht hat Frau Mascher!

(Beifall bei der LINKEN)

Nächstes Beispiel: die abschlagsfreie Rente ab 63 nach 45 Beitragsjah­ren. OK, gut, heute hilft das manchen, vor allem Männern; aber in Zukunft wird wegen der massenhaft gebrochenen Erwerbsbiografien nur noch eine Minder­heit 45 Beitragsjahre erreichen. Und dann heben Sie die Altersgrenze auch noch schrittweise wieder auf 65 Jahre an. Ist das die Handschrift der SPD, von der ständig die Rede ist? Nein, das ist der billige Ersatz der SPD

(Andrea Nahles (SPD): Billig ist das nicht!)

für die nicht erfolgte Aussetzung der Rente ab 67, und das ist ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht so weiter: Die Riester-Rente ist ein Flop; das wissen mittlerweile alle. Die Zinsen sind tief im Keller, und Sie wollen die private Altersvorsorge auch noch stärken. So ein Wahnsinn!

Was ist jetzt zu tun? Derzeit müssen die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt werden, wenn die Rentenkasse gut gefüllt ist. Das ist unsinnig.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Deshalb wollen wir mit unserem Gesetzentwurf diesen Zwang ein für alle Mal abschaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Rentenversicherung braucht jeden Cent. Wenn wir auf die Absenkung der Beiträge verzichteten, könnten wir erstens das Rentenniveau stabilisieren, zweitens die Rente erst ab 67 abschaffen und drittens die Erwerbsminderungs­renten deutlich verbessern. Das wäre der richtige Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Das alles können wir aber vergessen, wenn Sie die höheren Mütterren­ten aus Beiträgen finanzieren. Die Mütterrenten sind eine gesamtgesellschaftli­che Aufgabe. Darum dürfen sie nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden, sondern sie müssen aus Steuermitteln finanziert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit dieser Forderung befinden wir Linken uns in guter Gesellschaft: Der DGB und alle Sozialverbände sehen das auch so. Und: Die Spitzen sämtlicher So­zialversicherungsträger - das ist einmalig - haben Union und SPD in einem ge­meinsamen Appell aufgefordert, die Mütterrenten ausschließlich aus Steuer­mitteln zu finanzieren; denn nur so erreicht man, dass sich auch Reiche, Beam­tinnen und Beamte, Selbstständige und Abgeordnete an der Finanzierung der höheren Mütterrenten beteiligen. Das wäre nur gerecht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Kurzintervention an den Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU, Herrn Max Straubinger:

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin und Herr Kollege Straubinger, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. ‑ Herr Kollege Straubinger, Sie haben eben insinuiert, dass der OECD-Bericht von der Rentenversicherung in Deutschland schwärmt, vor allen Dingen haben Sie insinuiert, dass Geringverdienende eine auskömm­liche Rente hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Das können Sie in allen Zeitun­gen lesen. Ich zitiere jetzt einmal aus Ihrer Lieblingszeitung; das ist die BILD.

Max Straubinger (CDU/CSU):

Die kenne ich gar nicht.

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Selbst in der BILD heißt es unter der Überschrift „Feuer unterm Dach“:

Die Warnungen werden lauter, und sie kommen nicht mehr nur aus Deutschland: Hunderttausenden Geringver­dienern droht im Alter der Absturz in die Armut.… Deutschland, eine Wirtschafts-Weltmacht, aber bei der Altersversorgung fast Entwicklungsland ‑ das passt nicht zusammen.

So die BILD-Zeitung.

Die Kollegin, die bei der OECD zuständig ist, sagt, dass das Altersgeld von Geringverdienenden in Deutschland so niedrig sei wie in kaum einem ande­ren OECD-Land. Geringverdienende haben in Deutschland im Schnitt netto 55 Prozent ihrer Bezüge, und in 27 OECD-Ländern liegt der Durchschnitt bei 82 Prozent.

Also deutlich ist ‑ das gilt auch für die Kollegin Ferner ‑: Heute stellt sich das Rentenversicherungssystem in Deutschland so dar, dass Geringverdie­nende sehr schlecht abgesichert sind. Deswegen brauchen wir eine Solidari­sche Mindestrente, die den Namen auch verdient und von der Menschen im Alter armutsfrei leben können. Wir brauchen nicht irgendwelche „Geschichten“, die deutlich niedriger liegen. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen: Die OECD hat das Gegenteil von dem gesagt, was Sie hier behauptet haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)