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Matthias W. Birkwald

Ghettorenten: NS-Opfer nicht länger warten lassen

05.06.2014

Abschließende Debatte zu

dem Gesetzentwurf der Bundesregierung

zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto, BT-Drs. 18/1308

sowie

dem Antrag der Fraktion DIE LINKE.

Renten für Leistungsberechtigte des Ghetto-Rentengesetzes ab dem Jahr 1997 nachträglich auszahlen, BT-Drs. 18/636

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahr 1997 stellte das Bundessozialgericht fest, dass NS-Verfolgten, die in einem Ghetto arbeiteten, eine Rente nach deutschem Recht zustehe. 2002 hatte dann der Bundestag zum ersten Mal beschlossen, allen Überlebenden der Nazi-Ghettos eine Rente rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Urteils, also bis 1997, zu gewähren. Aber erst heute, 17 Jahre nach dem BSG-Urteil, können 40 000 betroffene hochbetagte Jüdinnen und Juden in aller Welt nun endlich hoffen, dass dieser Anspruch zum ersten Mal Wirklichkeit werden wird. Dafür danke ich der Bundesregierung und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, namentlich Frau Ministerin Nahles und Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller, und allen anderen daran Beteiligten im Namen der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie, meine Damen und Herren, haben sich erstens im Gegensatz zu all ihrer Vorgängerregierungen endlich den komplizierten rechtlichen Problemen gestellt, statt sich hinter ihnen zu verstecken, haben die mehreren hundert Petitionen dazu ernst genommen; beispielhaft sei hier nur die Petition des engagierten Sozialrichters Dr. Jan-Robert von Renesse erwähnt. Sie haben zweitens nun schnell eine Lösung gefunden. Drittens haben Sie alle Regelungsvorschläge meiner Fraktion aus unserem Antrag in Ihren Gesetzentwurf aufgenommen.

Ich danke Ihnen aber vor allem dafür, dass Sie mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz seine unrühmliche zwölfjährige Vorgeschichte beenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn gegen eine angemessene und schnelle Auszahlung der Ghettorenten gab es in Deutschland leider massive Widerstände. Ich will das gerade heute sehr ehrlich und sehr deutlich sagen: Die jüdischen Opfer sahen sich über ein Jahrzehnt lang bürokratischen Blockaden durch die Rentenversicherungsträger ausgesetzt. Ausführlich hat das der Warschauer Historiker Stephan Lehnstaedt in einem Aufsatz in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte im vergangenen Jahr beschrieben. Die Opfer litten unter einer meist restriktiven richterlichen Praxis, wenn sie gegen ihre abgelehnten Bescheide klagten. Die Bundes- und auch die Landesregierungen versagten als Aufsichtsbehörden. Denn sie wussten um die Unzulänglichkeiten des Gesetzes, aber sie weigerten sich bis heute, daran etwas zu ändern, auch aus Sorge vor finanziellen Belastungen. Im Jahr 2008 gab es deshalb 6 100 bewilligte Anträge und 65 000 abgelehnte Anträge. Erst das BSG-Urteil aus dem Jahr 2009 hat dazu geführt, dass Zehntausende von abgelehnten Bescheiden überprüft wurden. 24 000 Bescheide wurden anschließend positiv beschieden. Aber den Betroffenen - das ist das Problem - wurde der rückwirkende Rentenbeginn ab 1997 versagt. -

Diese Vorgeschichte des heutigen Gesetzes ist kein Ruhmesblatt für die deutschen Bundesregierungen dieser Zeit und auch nicht für die Rentenversicherungsträger dieser Jahre.

Sicher, es ist viel, viel zu spät dafür; aber ich bin dennoch froh, dass den Ghettoarbeiterinnen und Ghettoarbeitern als Opfern der faschistischen Gewaltherrschaft heute nun endlich ein Stück Gerechtigkeit widerfahren wird. Deswegen wird meine Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es bleibt aber noch eine Gerechtigkeitslücke. Es war die Klage einer polnischen Jüdin, die zum Urteil von 1997 führte und den Stein bei den Ghettorenten ins Rollen brachte. Aber ausgerechnet für die Jüdinnen und Juden und die Sinti und Roma, die seit dem 31. Dezember 1990 durchgängig in Polen wohnen, gibt es immer noch keine Lösung. Dem steht leider das deutsch-polnische Rentenabkommen aus dem Jahre 1975 im Weg. Es blockiert in seiner derzeitigen Fassung die Auszahlung von Ghettorenten in Polen. Darum fordern wir in unserem Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, hier ebenfalls schnell zu einer Lösung mit der polnischen Seite im Interesse der hochbetagten Betroffenen zu kommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bitte Sie, diesen letzten fehlenden Stein aus dem Weg zu räumen und das Ghettorentengesetz so zu einem guten Abschluss zu bringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)