Beim Straßen- und Kulturfest in der Keupstraße zehn Jahre nach dem Nagelbombenanschlag des NSU habe ich erlebt, wie vielfältig das gemeinsame Zusammenstehen sein kann: Bewusst hatten die Organisator*innen die Gestaltung des Straßenfestes den vor Ort aktiven Initiativen und den in der IG Keupstraße zusammengeschlossenen türkischen Geschäftsleuten vor Ort überlassen. So gingen bei strahlendem Sonnenschein die Lebensfreude zehntausender Kölnerinnen und Kölner, die Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit antirassistischer Initiativen wie 'Keupstraße ist überall' und der selbstbewusste Blick nach vorn von der Vorsitzenden der IG-Keupstraße, Meral Sahin, zu einer eindrucksvollen Absage an jede Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zusammen.
Für mich persönlich brachte der Tag eine Vielzahl von Gesprächen mit den Aktiven vor Ort, Veranstaltungen wie der des Kölner Integrationsrates, wo antirassistische Arbeit im Spannungsfeld zwischen der Gewinnung migrantischer Bewerber für die Polizieiarbeit bis hin zur Diskurskritik an der 'Konstruktion des anderen' ins Gespräch gebracht wurden, und einem würdigen Bekenntnis des Oberbürgermeister Roters gegen jede Form von Rassismus zur offiziellen Eröffnung.
„Dass wir Opfer bis 2010 von der Polizei als Verdächtige behandelt wurden, das war wie eine zweite Bombe' – dieses Bekenntnis von Muahmat Ozküyün, vor dessen Friseursalon die Bombe explodiert war, am Morgen des gelungenen Tages machte aber auch deutlich, dass es noch viel aufzuklären gibt. Dazu trug auch meine Fraktionskollegin Martina Renner, die für DIE LINKE im Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages saß, mit einer Vortragsveranstaltung bei.
Getrübt wurde dieser ansonsten wunderbare Tag durch eine kleine Unverschämtheit des SPD-Vorsitzenden Gabriel und eine sehr große Unverschämtheit des türkischen Botschafters. Sigmar Gabriel hatte bei einer Veranstaltung gesagt, dass er bald parteiübergreifend die doppelte Staatsbürgerschaft einführen möchte und dies mögen SPD, CDU, Grüne und "alle, die da sonst noch so rumlaufen" hinkriegen. Anstatt ganz normal DIE LINKE zu nennen beleidigte er demokratisch gewählte Parlamentarier*innen als alle, die da sonst noch so rumlaufen. Unglaublich, aber eine Petitesse gegen das, was sich der türkische Botschafter bei der offiziellen Eröffnung von Birlikte leistete. In seiner ansonsten angemessenen Rede sprach er ausschließlich von "den acht türkischen Mordopfern des NSU", ohne das griechische Mordopfer oder die ebenfalls vom NSU ermordete deutsche Polizistin zu erwähnen. In Sachen Zusammenstehen gibt es also noch viel zu lernen. Für Sozialdemokraten, für türkische Regierungsvertreter und - keine Floskel - für uns alle, für jede und jeden Einzelnen von uns. Möge es uns gelingen.
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