Für Straftäter besteht Arbeitspflicht im Gefängnis. Der Lohn: im Schnitt gerade mal 1,50 Euro die Stunde. Oft schuften die Häftlinge in Akkordarbeit für deutsche Unternehmen. Ein lohnendes Geschäft für die Auftraggeber - aber auch für die Gefängnisse, die die Arbeiter vermitteln. Doch für die Häftlinge wird nicht einmal in die Rentenkasse einbezahlt. So werden später viele zum Sozialfall und fühlen sich doppelt bestraft.
Häftlinge, die im Knast Papiertüten falten ? Die Zeiten sind vorbei. Heutzutage haben viele Gefängnisse hochmoderne, professionelle Werkstätten und Arbeitshallen, in denen effektiv produziert wird. Häftlinge sind fast überall verpflichtet, zu arbeiten. Sie sollen lernen, Verantwortung für ihr eigenes Leben auch nach der Haft zu übernehmen. Ein Resozialisierungsgedanke, der vernünftig ist, aber einen entscheidenden Haken hat, wie meine Kollegen Chris Humbs und Markus Pohl herausfanden: Denn trotz jahrelanger Schufterei werden für die Beschäftigten im Strafvollzug keine Rentenbeiträge abgeführt!
Der Rentner Kurt Ritsche hat so einiges auf dem Kerbholz und ist bereit, ganz offen mit uns darüber zu sprechen: von seiner Zeit als Juwelendieb – und von seiner Zeit in Haft. 22 Jahre insgesamt, der Großteil hier, in der Berliner Haftanstalt Tegel. Um zu einem ehrlichen Leben zu finden, wurde er im Knast zur Arbeit angehalten. Und Ritsche hat gerne angepackt.
Kurt Ritsche
ehemaliger Häftling
„Na ich war in der Tischlerei gewesen, ich war in der Gärtnerei gewesen, und ich war in der Malerei gewesen, dann war ich in der Glaserei war ich auch gewesen kurze Zeit. Na auf dem Bau habe ich auch gearbeitet.“
KONTRASTE
„Und wieviel Rente kriegen Sie dafür?"
Kurt Ritsche
ehemaliger Häftling
„Gar nichts. Gar keine Rente.“
Denn für Arbeit hinter Gittern – egal wie hart oder lange – gibt es keinen Cent Rente. Und weil Ritsche in Freiheit nur 14 Jahre lang gearbeitet hat, ist er heute ein Sozialfall. Er muss mit 390 Euro im Monat auskommen.
Kurt Ritsche
ehemaliger Häftling
„Es reicht nicht zum Sterben, es reicht auch nicht zum Leben. Man hängt da irgendwo zwischen drinnen, ja. Also das ist das Problem. Vor allen Dingen man kann sich keine Extras mehr leisten, das geht nun schon gar nicht mehr.“
KONTRASTE
„Was vermissen Sie denn?“
Kurt Ritsche
ehemaliger Häftling
„Hach, Reisen, mal ins Kino gehen, mal zum Konzert gehen, aber das geht ja alles nicht.“
Ritsche weiß, dass er zu Recht im Gefängnis saß. Er hat seine Strafe verbüßt. Aber dass ihm für 15 Jahre Arbeit im Knast keine Rente zustehen soll, empfindet er als ungerecht.
Kurt Ritsche
ehemaliger Häftling
„Ja das ist eine Benachteiligung eigentlich. Weil wenn man da drin Schaffen tut und ne Arbeit machen tut, bin ich der Meinung, dass man auch wenigstens die Rente bezahlen sollte, also die Beiträge für die Rente. Weil nach dem Grundgesetz bin ich zwar ein Gestrauchelter aber habe die gleiche Rechte wie jeder andere Bürger.“
Der Justizsenator von Berlin sieht das ganz anders. Für ihn kommt eine Rentenzahlung für arbeitende Häftlinge nicht in Frage.
Thomas Heilmann (CDU)
Justizsenator von Berlin
„Es ist so, dass im geschlossenen Vollzug in der Regel keine gleichwertige Arbeit mit den Verhältnissen draußen gleistet werden kann und insofern wäre es dann eine Bevorzugung gegenüber der Normalbevölkerung, die nicht kriminell geworden ist,+ wenn wir ihnen die gleichen Rechte geben wie denen, die draußen arbeiten.“
Aber wird in den Knästen wirklich nur minderwertige Arbeit abgeliefert? Wir haben anderes recherchiert: Renommierte Unternehmen wie Gardena, der Gartengerätehersteller, Siemens oder viele Autozulieferer lassen von Häftlingen produzieren. Ihr Stundenlohn im Mittel: gerademal 1 Euro 50. In den meisten Bundesländern sind Strafgefangene zu dieser Arbeit verpflichtet. So sollen sie lernen, ihrem Leben Struktur zu geben.
Häftling
„Generell war ich ja auch berufstätig und weiß, wie das ist, wenn man volle Power gibt. Das kann ich hier nur sagen, dass ich das mache.“
Häftling
„Es wird ja auch mit uns Geld verdient. Es ist ja nicht nur so, dass wir hier arbeiten zum Vergnügen, sondern wir produzieren ja auch. Es ist ja, also wir machen ja Umsatz.“
Häftling
„Und das ist ja das Üble, dass uns diese Zeit draußen fehlt für die Rente, die wir dann später zu erwarten haben.“
Keine Rentenbeiträge - aber viel Leistung. Die Gefängnisbetriebe verstehen sich zunehmend als profitorientierte Unternehmen. Die Marketingleiterin der Frauenhaftanstalt im bayerischen Aichach geht damit ganz offen um: „Wir können mehr als Tüten kleben.“
Leiterin Marketing Arbeitsbetriebe
JVA Aichach
„Es wird mehr geboten wie früher, wir sind moderner geworden. Früher hat jede Anstalt für sich selber gearbeitet. Heute sind wir eine Art Konzern.“
Ein Konzern mit eigenständigen Wirtschaftsbetrieben. Zum Beispiel diese Näherei in Aichach. Die gefangenen Frauen stellen Mützen für Frühchen mit integrierten Sauerstoffschläuchen her. 6.000 Stück pro Woche. Eine Sonderanfertigung für ein großes Unternehmen, das die Mützen weltweit verkauft.
Elfriede Failer
Vorarbeiterin Schneiderei JVA Aichach
„Die Firma hat heute angerufen, die brauchen am Freitag soundso viel von den Mützen, und die bekommen sie am Freitag .Und die würden sie nicht bekommen, wenn in China produziert wird.“
Im weltweiten Konkurrenzkampf sticht der Knast also sogar Billiglohnländer aus.
Elfriede Failer
Vorarbeiterin Schneiderei JVA Aichach
„Wir haben eine Nullfehlerquote und das geben wir auch immer an die Gefangen weiter, wenn uns die Firmen loben. Und da freuen sie sich schon. Das muss man schon sagen.“
KONTRASTE
„Der Betrieb hier, erwirtschaftet der eigentlich auch Gewinn?“
Elfriede Failer
Vorarbeiterin Schneiderei JVA Aichach
„Ja.“
KONTRASTE
„Wie ist denn der – kann man den benennen?“
Elfriede Failer
Vorarbeiterin Schneiderei JVA Aichach
„Könnte man.“
KONTRASTE
„Wollen sie nicht?“
Elfriede Failer
Vorarbeiterin Schneiderei JVA Aichach
„Nein.“
KONTRASTE
„Warum?“
Elfriede Failer
Vorarbeiterin Schneiderei JVA Aichach
„Nein.“
KONTRASTE
„Aber warum nicht?“
Elfriede Failer
Vorarbeiterin Schneiderei JVA Aichach
„Nein.“
Der Druck auf die Betriebe in den Haftanstalten ist hoch. 44 Millionen Euro Einnahmen erwartet allein der bayerische Finanzminister in diesem Jahr. Sie sind im Haushalt fest eingeplant.
Dabei ist das Ziel der Häftlingsarbeit nicht, möglichst viel Gewinn einzuspielen, um die Kosten für den Strafvollzug zu mindern. Aufgabe ist vielmehr die Resozialisierung der Gefangenen: Sie sollen lernen, von ehrlicher Arbeit zu leben. So, dass es auch im Alter reicht. Genau das gerät durch die fehlende Altersvorsorge in Gefahr.
Dieser Strafgefangene arbeitet seit sechs Jahren als Mediengestalter in der schwäbischen Haftanstalt Heimsheim. So wie zuvor schon 20 Jahre lang in Freiheit. 2017 soll er entlassen werden. Die Hoffnung, später im Alter eine ausreichende Rente zu beziehen, hat er aufgegeben.
Häftling
„Die Altersarmut spielt ja auch eine große Rolle hier bei uns in Deutschland und für uns Gefangene ist es natürlich noch schwieriger, weil es langt nicht für die Zeit danach. Wenn ich keinen Job finde, dann muss ich aber ganz stabil sein, dass ich sage, OK, dann muss ich mit Hartz 4 auskommen, oder aber ich rutsch wieder ab in die Kriminalität. Punkt. Und desto älter ich werde, desto krasser wird das ganze Thema. Für jeden von uns.“
Der rentenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag fordert deshalb, die Gefangenen nicht länger auszugrenzen.
Matthias W. Birkwald (Die Linke)
Bundestagsabgeordneter, Rentenpolitischer Sprecher
„Unterm Strich geht es doch darum: Gilt der Resozialisierungsgedanke nach wie vor, gilt das rechtstaatliche Prinzip, dass man für eine Straftat einmal bestraft wird, bei schweren Strafen mit Freiheitsentzug, das ist auch gut und richtig so, aber es gilt eben auch das Prinzip, dass eine Straftat nicht doppelt bestraft wird. Und die Nichteinbeziehung in die Rentenversicherung mit der Folge der Altersarmut ist eine doppelte Bestrafung und dafür gibt es keinen Grund und deswegen, finde ich, sollten die Gefangenen in die Rentenversicherung einbezogen werden.“
Einen entsprechenden Antrag hat Matthias Birkwald für die Linke jetzt in den Bundestag eingebracht. Dabei hat das Parlament die Rente für Häftlinge eigentlich schon beschlossen, 1976, im Zuge der Reform des Strafvollzugs. In Kraft gesetzt wurde das Gesetz aber bis heute nicht.
Zuständig für Rentenfragen ist inzwischen Andrea Nahles, die Bundesarbeitsministerin. Sie begrüße das Vorhaben zwar, lässt uns ihr Ministerium wissen, aber leider gebe es weiterhin „finanzielle Vorbehalte der Länder“.
Denn die müssten die Rentenbeiträge für ihre Häftlinge schließlich bezahlen. Sich für ein paar Strafgefangene mit den Ländern anzulegen, geht der Ministerin dann offensichtlich doch zu weit.
Häftling
„Wir Gefangenen haben keine Lobby. Man geht natürlich auch immer nach der Meinung der Bevölkerung. Die Gefangenen sind verurteilt, die gehören hinter Schloss und Riegel. Ende.“
Kurt Ritsche, der verurteilte Juwelendieb, kümmert sich heute ehrenamtlich um Straffällige. Viele teilen seine Hoffnung, dass es doch noch zu einer fairen Rentenregelung kommt - für ein selbstbestimmtes Leben nach dem Knast. Ritsche selbst hätte sich eine solche Regelung schon vor Jahren gewünscht.
Kurt Ritsche
ehemaliger Häftling
„Dann wäre meine Rente wahrscheinlich auch so um die 800 - 900 Euro rum. Und dann würde ich Vater Staat nicht mehr zur Last liegen. Dann könnte ich meine Unkosten selber bezahlen, dann hätte ich zwar auch nur noch 400 Euro zur Verfügung, die ich jetzt vom Staat kriege, aber das ist Geld, wo ich nicht hingehen muss, betteln muss, ja?“
Übrigens: Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, die werden für Strafgefangene durchaus gezahlt. Doch vor Altersarmut schützt das auch nicht ...
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