Die Schutzzeit vor und nach der Entbindung wird nicht für die Rente angerechnet: Anders als Zeiten der Arbeitslosigkeit oder des Krankengeldbezuges wird der Mutterschutz nicht berücksichtigt. Die Linksfraktion spricht von Skandal. Von Karl Doemens Berlin.
Das Ministerium hat extra einen Werbefilm produzieren lassen. „Das Rentenpaket ist da“, jubelt das Haus von Andrea Nahles auf seiner Homepage. Dort wird am Beispiel der Floristin Monika veranschaulicht, wie die abschlagfreie Rente mit 63 wirkt. Diese Neuerung, so heißt es, belohne diejenigen, „die über Jahrzehnte hinweg durch Beschäftigung, selbstständige Tätigkeit und Pflege sowie Kindererziehung ihren Beitrag zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung geleistet haben“.
Doch berufstätigen Müttern, die nach der Versicherungszeit von 45 Jahren die abschlagfreie Rente mit 63 beantragen, droht eine böse Überraschung: Anders als Zeiten der Arbeitslosigkeit oder des Krankengeldbezuges wird der Mutterschutz bei der Errechnung der Voraussetzungen nicht berücksichtigt. „Der Regelungsintention widerspräche es, beitragsfreie Zeiten auf die 45-jährige Wartezeit anzurechnen“, heißt es in der Antwort des Sozialministeriums auf eine schriftliche Frage der Linksfraktion, die der Berliner Zeitung vorliegt.
Diese Regelung hat kuriose Folgen. Werdende Mütter dürfen nämlich sechs Wochen vor der Entbindung und bis zum Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigt werden. Wird beispielsweise ein Kind am 10. Dezember geboren, läuft der Mutterschutz ab dem 29. Oktober. Die Frist vor der Geburt gilt wie die Tage bis zum Ende des Geburtsmonats in der Rentensystematik als beitragsfreie Anrechnungszeit. Diese – im Beispiel die Monate November und Dezember – wird bei der Rente mit 63 nicht berücksichtigt.
Anschließend können dann Kindererziehungszeiten geltend gemacht werden. Da die Rente mit 63 in vollem Umfang nur für die Jahrgänge 1951 und 1952 gilt und danach abschmilzt, muss die Mutter also mindestens zwei Monate länger arbeiten als ein Mann mit gleicher Biografie.
Das Milliarden-Paket Ab 1. Juli in Kraft getreten
Die Rente mit 63 ist der umstrittenste Teil des Rentenpakets der Bundesregierung, das am 1. Juli in Kraft getreten ist. Doch ist sie keineswegs die einzige Neuerung: Gleichzeitig hat die Koalition mit der Mütterente die Erziehungszeiten nach 1992 höher gewertet. Außerdem gibt es kleine Verbesserungen für Erwerbsgeminderte.
„Vor allem aus Gleichbehandlungsgründen ist dies ein Skandal“, wettert Linken-Rentenexperte Matthias Birkwald: „Erwerbsunterbrechungen von Männern werden anerkannt, die von Frauen nicht.“ Ohnehin sind Frauen bei der Rente mit 63 benachteiligt, weil sie die erforderlichen Versicherungsjahre meist nicht zusammenbekommen. So rechnet das Sozialministerium mit rund 200 000 Personen, die im ersten Jahr von der seit Juli geltenden Regelung profitieren. Davon sind jedoch nur ein Viertel Frauen. Auch aus diesem Grund hatten die Rentenversicherer das neue Gesetz von Anfang an kritisiert.
Offenbar plagt auch die Bundesregierung wegen der Nichtanerkennung der Mutterschutz-Zeiten ein schlechtes Gewissen. Tatsächlich gebe es einen „engen Zusammenhang“ zur Kindererziehung, räumt die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) ein. Deswegen wolle man „prüfen, ob eine Änderung des gelten Rechts angezeigt ist“.
Diese wachsweiche Formulierung reicht der Linken jedoch nicht: „Die Bundesregierung muss schleunigst die Anerkennung des Mutterschutzes bei der abschlagfreien Rente mit 45 Beitragsjahren regeln“, fordert Birkwald. Dies sei auch aus rechtlichen Gründen dringend geboten.
Tatsächlich hatte sich das Bundesverfassungsgericht bereits 2011 mit einer ähnlichen Praxis bei der betrieblichen Altersversorgung im öffentlichen Dienst beschäftigt. Die Richter kassierten die Regelung wegen eines doppelten Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz: Zum einen können Männer nicht schwanger werden. Zum anderen könne man nicht Krankheitszeiten für die Rente berücksichtigen, die Wochen vor der Entbindung aber nicht, befand das Gericht.
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