Wer lange arbeitet, darf früher aussteigen - das ist ein ein Versprechen der Bundesregierung in ihrem Renten-Reformpaket. Oder genauer: Wer 45 Jahre Beiträge eingezahlt hat, kann zwei Jahre früher und ohne Abschläge in Rente gehen, zur Zeit also mit 63.
Nun räumte die Bundesregierung allerdings ein: Zeiten des Mutterschutzes zählen nicht. Offiziell nachgefragt hatte Matthias W. Birkwald, Rentenexperte der Linkspartei im Bundestag. Er beklagt die Ungerechtigkeit, dass die arbeitsfreien sechs Wochen bis zur Geburt nicht angerechnet werden: "Frauen können schwanger werden, Männer nicht. Bei Männern wird auch eine sechswöchige Krankheit angerechnet für die Berechnung, ob jemand die Rente ab 63 erhalten darf oder nicht. Bei Frauen wird die Zeit des Mutterschutzes nicht angerechnet."
Marina Küchen kann das begründen. Sie ist Sprecherin des Bundesarbeits- und Sozialministeriums. Die Bundesregierung wolle mit der Rente für besonders langjährig Versicherte denen einen früheren Rentenbeginn ermöglichen, die lange eingezahlt haben, etwa durch jahrzehntelange Beschäftigung, selbstständige Tätigkeiten, Pflegearbeit und Kindererziehung. Sie hätten also ihren Beitrag zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherungen geleistet. "Dieser Absicht widerspräche es, beitragsfreie Zeiten, dazu zählt auch der Mutterschutz, auf die 45-jährige Wartezeit anzurechnen."
Was sind schon sechs Wochen?
Nun klingen fehlende sechs Wochen nicht besonders spektakulär. Es sei denn, es fehlen nur ein paar Tage an den geforderten 45 Beitragsjahren, um früher und ohne Abzüge in Rente zu gehen. "Das bedeutet, dass es im Einzelfall Mütter geben mag, vor allen Dingen, wenn sie mehrere Kinder geboren haben, die die 45 Jahre eigentlich zusammen hätten und deshalb keine Rente ab 63 bekommen, weil ihnen einige Wochen fehlen", erklärt Linkspartei-Politiker Birkwald.
Doch wie viele Mütter sind tatsächlich betroffen? Ministeriumssprecherin Küchen weiß das nicht. Sie glaubt aber, dass die Anzahl "überschaubar" ist. Zahlen lägen jedoch noch nicht vor.
Es bleibt dennoch ein Widerspruch: Kindererziehungszeiten werden angerechnet, denn Kinder von heute sind Rentenbeitragszahler von morgen. Die sechs Wochen Mutterschutz dagegen fliegen aus der Tabelle mit den anrechenbaren Zeiten.
Das klingt unlogisch, und so könnte es durchaus einen Kurswechsel der Bundesregierung geben. Küchen betont: "Wegen dieses doch erkennbar engen Zusammenhangs von Mutterschutz und Kindererziehung wird die Bundesregierung prüfen, ob eine Änderung des geltenden Rechts jetzt angezeigt ist oder nicht." Birkwald will dennoch hartnäckig bleiben: "Ich habe in der Politik gelernt: Ein Prüfauftrag ist in der Regel eine Beerdigung erster Klasse. Deswegen müssen wir Druck machen, von allen Seiten, weil diese Ungerechtigkeit nicht bestehen bleiben darf." Und komme keine Änderung, dann könne eine Klage bis vor dem Bundesverfassungsgericht folgen.
Link zum Hörfunkbeitrag: www.tagesschau.de/inland/rente-mutterschutz-101.html
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