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Matthias W. Birkwald

Die Erwerbsminderungsrente stärken!

Rede von Matthias W. Birkwald im Deutschen Bundestag

08.06.2018
Matthias W. Birkwald spricht im Plenum des Deutschen Bundestages

Als vorletzter Taghesordnungspunkt des Sitzungstages des Deutschen Bundestages am 7. Juni 2018 wurde um 00:16 Uhr - und somit schon am 8. Juni 2018 - der Tagesordnungspunkt zum Antrag der LINKEN "Die Erwerbsminderungsrente stärken" auf DS 19/31 aufgerufen und diskutiert.

Meine Rede können Sie hier dazu sich ansehen und nachfolgend auch nachlesen.

Die gesamte Debatte zu diesem Tagesodnungspunkt finden Sie hier zum Ansehen und natürlich auch Nachlesen.

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Schönen guten Morgen, Herr Präsident! Schönen guten Morgen, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jahr für Jahr werden mehr als 170 000 Menschen so krank, dass sie nicht mehr oder nur noch eingeschränkt arbeiten können und sie eine Erwerbsminderungsrente beantragen müssen. Vor 20 Jahren mussten die meisten von ihnen wegen Rückenschäden oder kaputten Knien frühzeitig in die Rente gehen. Heute lautet bei fast jeder zweiten Erwerbsminderungsrente die Diagnose: Burn-out oder andere psychische Probleme.

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Zu viel AfD gehört!)

Deshalb, liebe Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber - wenn Sie das hören -: Jede Erwerbsminderungsrente aufgrund von Erwerbsarbeit ist eine zu viel. Arbeit darf nicht krank machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Beschäftigten brauchen Pausen, Urlaub, existenzsichernde Löhne, gute Arbeitsbedingungen und mehr freie Zeit für sich selbst, ihre Familien und für ihre Gesundheit.

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Und das sagst du kurz nach Mitternacht!)

- Genau.

Meine Damen und Herren, wir dürfen die Betroffenen, die zu krank sind, um einer Erwerbsarbeit nachzugehen, nicht im Regen stehen lassen. Wer krank wird, darf nicht mit Armut bestraft werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, seit 2014 hat die Koalition das Risiko, wegen Krankheit in Armut zu enden, verringert -

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Wer hat’s gemacht? Die CDA!)

okay, erkenne ich an. Aber bis dato haben viele Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner nichts oder nur sehr wenig davon. Denn zwischen 2014 und 2016 sind die vollen Erwerbsminderungsrenten der jeweils neu in eine Erwerbsminderungsrente Gegangenen zwar um 72 Euro im Schnitt gestiegen, aber damit liegen die Betroffenen mit durchschnittlichen Renten von nur 736 Euro immer noch 48 Euro unter der Grundsicherungsschwelle. Sie werden also weiter aufs Sozialamt gehen müssen. Und das bedeutet für viele Menschen eben keinerlei Verbesserung, weil die 72 Euro höherer Rente voll auf die Grundsicherung bei Erwerbsminderung angerechnet werden.

(Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): Skandal!)

Das heißt, sie kommen überhaupt nicht bei ihnen an. Und darum, liebe Koalition, sage ich Ihnen: zu kurz gesprungen!

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Reform ist zutiefst ungerecht. Warum? Die Jahrgänge, die vor 2014 in die EM-Rente gehen mussten, haben von alledem keinen einzigen Cent gesehen. Das sind sage und schreibe 1,8 Millionen Menschen, die mit lebenslangen Abschlägen von 10,8 Prozent bestraft werden.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Das stimmt ja gar nicht!)

Das bedeutet für viele knapp 90 Euro weniger im Monat, und das ist viel Geld.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Das alles gilt lebenslang; denn durchschnittlich sind die Betroffenen bei ihrem Eintritt in die Erwerbsminderungsrente knapp 52 Jahre alt.

Deshalb haben wir sofort nach der Bundestagswahl unseren Antrag vorgelegt. Ich sage: Unterstützen Sie ihn, und die Altersarmut von Erwerbsminderungsrentnerinnen und ‑rentnern würde endlich wirksam und deutlich bekämpft werden.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Und Manna fällt vom Himmel!)

Meine Damen und Herren, Die Linke fordert erstens, dass die systemwidrigen und nicht zu begründenden Abschläge von meist 10,8 Prozent für nahezu alle Betroffenen abgeschafft werden. Alternativ dazu könnte man diese Ungerechtigkeit bei den bestehenden EM-Renten auch über einen pauschalen Aufschlag lösen - genauso wie bei der sogenannten Mütterrente. Auch das wäre für uns eine denkbare Lösung.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der öffentlichen Sachverständigenanhörung im Mai 2017 sagte die Caritas, die Abschläge seien vielleicht gerechtfertigt, wenn man freiwillig frühzeitig in Rente gehen wolle, aber das sei bei Erwerbsminderungsrentnern, die ja zu krank zum Arbeiten seien, definitiv nicht der Fall. Stimmt! Niemand wird freiwillig krank.

Deswegen fordern wir Linken zweitens, dass die sogenannte Zurechnungszeit in einem Schritt bis 65 Jahre bzw. bis zur jeweils gültigen Regelaltersgrenze verlängert wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Zurechnungszeit liegt derzeit bei 62 Jahren und drei Monaten. Bei der Rentenberechnung werden Erwerbsminderungsrentner dann so gestellt, als hätten sie bis zu diesem Alter weiter auf ihrem bisher erreichten durchschnittlichen Verdienstniveau gearbeitet. So würden bestehende Renten durch die Abschaffung der Abschläge im Schnitt um rund 90 Euro angehoben werden.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, kommen Sie bitte zu Ihrem letzten Satz.

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Eine neue Rente stiege durch die zusätzliche Anhebung der Zurechnungszeit, die 65 Euro netto brächte, durchschnittlich sogar um mindestens 155 Euro. Das wäre gerecht. Das würde vielen zumindest den Gang zum Sozialamt ersparen, und das wäre ein echter Beitrag gegen Altersarmut.

Herzlichen Dank. Schönen guten Morgen!

(Beifall bei der LINKEN)