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Matthias W. Birkwald

Großer Wurf statt Neiddebatte

Die SPD wird mit der großen Koalition die gesetzliche Altersvorsorge nicht zukunftssicher machen. Das wäre aber nötig. Der Gastbeitrag von Matthias W. Birkwald in der Frankfurter Rundschau.

30.03.2018
Frankfurter Rundschau

Hubertus Heil ist Minister für Arbeit und Soziales und damit für die Rentenpolitik der Koalition zuständig. Reduziert man die Erwartungen an ihn und die kommenden vier Jahre ‚sozialdemokratischer‘ Rentenpolitik auf ein Minimum, so könnte man sagen: Echte Verbesserungen für ältere Menschen durchzusetzen, die im Alltag spürbar wären und damit gleichzeitig Jüngere und Mittelalte davon zu überzeugen, dass die gesetzliche Rente leistungsfähig und zukunftssicher ist. Den Versicherten sowie Rentnerinnen und Rentnern muss die Angst vor dem Verlust des Lebensstandards und der Altersarmut genommen werden. Blickt man aber in den Fahrplan, den sich die kleine große Koalition gegeben hat, so werden wohl auch diese Erwartungen enttäuscht werden.

Erstens: Das von Schwarz-Rot avisierte Einfrieren des Rentenniveaus bei 48 Prozent markiert zwar eine Kehrtwende nach jahrelangen Kürzungen, wird aber keiner Rentnerin und keinem Rentner auch nur einen Euro mehr Rente bringen. Eine Wiederanhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent (wie im Jahr 2000) würde dagegen einer Standardrentnerin nach 45 Jahren Arbeit zum Durchschnittslohn 139 Euro mehr an Rente bringen. Das ist auch finanzierbar, denn ein Durchschnittsverdiener und seine Arbeitgeberin müssten dafür derzeit jeweils 32 Euro mehr monatlich in die Rentenkasse einzahlen.

Auch im Jahr 2030 wäre es für die Beschäftigten weniger, als sie unterm Strich an Beiträgen im Drei-Säulen-Modell für ihre gesetzliche Rente, ihren Riestervertrag und ihre betriebliche Altersvorsorge oder (-versorgung) aufbringen müssten, um ihren Lebensstandard im Alter zu sichern.

Zweitens: Auch die Mütterrente II der CSU wird die Mehrheit der Eltern enttäuscht zurücklassen. Denn 93,09 Euro Rente statt 62,06 Euro Rente brutto für ein Kind, das vor 1992 geboren worden ist, sind ja eigentlich gut und richtig. Dies fordert die Linke schon seit geraumer Zeit. Aber was wird aus den Müttern und Vätern, die nur ein oder zwei Kinder haben? Sie sollen leer ausgehen und keinen Cent mehr Mütterrente erhalten.

Was werden sie sagen, wenn sie erfahren, dass diese Verbesserung aus Beiträgen finanziert werden wird und damit Jahr für Jahr dann bis zu zehn Milliarden Euro für Leistungen ausgegeben werden, die sie niemals erhalten werden können? Im besten Falle werden sie nur mit dem Kopf schütteln. Gerecht wäre, 93,09 Euro Rente für jedes Kind zu zahlen, und zwar, egal, ob es vor 1992 oder danach geboren wurde. Und als gesamtgesellschaftlich bedeutsames Projekt müsste die „Mütterrente“ vollständig von der gesamten Gesellschaft und damit aus Steuern finanziert werden. So fordern es die Rentenversicherung, die Gewerkschaften und alle Sozialverbände.

Drittens: Das sozialdemokratische Vorzeigeprojekt der Arbeitsministerin Andrea Nahles, die Rente ab 63 oder 65 Jahren, lässt man sich von Marktradikalen wie Jens Spahn und den Grünen kaputtreden, statt endlich offensiv zu fragen, warum denn so viele Männer und (überraschend viele) Frauen unbedingt vor 65 in Rente gehen wollen oder müssen, wenn sie es denn dürften.

Fazit: Liebe SPD, Herr Minister Heil, reden Sie doch mal über das Glück des „kleinen“ Mannes und der „kleinen“ Frau im wohlverdienten Ruhestand, reden Sie doch mal über die Chancenlosigkeit von älteren Arbeitslosen auf dem Arbeitsmarkt, reden Sie doch endlich mal über die hohen gesundheitlichen Belastungen in vielen Berufen, statt immer wieder dem vermeintlichen Generationenkonflikt und der Neiddebatte der Arbeitgeberverbände, der Spahns, von Stettens und der ihrem Namen Hohn sprechenden „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ hinterherzulaufen.

Bisher macht die SPD vieles nur ein bisschen richtig und sie macht zu viel falsch. Die Liste ließe sich verlängern: Lohnraub bei Zeitungsausträgern, doppelte Krankenversicherungsbeiträge auf viele Betriebsrenten, Festhalten an der gescheiterten Riesterrente, Minischritte bei Erwerbsminderungsrenten, eine Grundrente, die ihren Namen nicht verdient, statt wirksam vor Armut zu schützen.

Es hilft alles nichts: Die Erwartungen an eine sozialdemokratische Rentenpolitik müssen enttäuscht werden, solange die ehemalige Arbeiterpartei nicht vom falschen Drei-Säulen-Modell Abschied nimmt und nicht endlich einen großen Wurf für eine lebensstandardsichernde und armutsfeste gesetzliche Rente vorlegt, sondern sich weiter an Walter Riester, Gerhard Schröder und Franz Münteferings Erbe klammert.

Schade eigentlich. Denn es wäre höchste Zeit, im Interesse von Beschäftigten und Rentnern zu handeln. Denn die Beschäftigten von heute sind die Rentnerinnen und Rentner von morgen.

Matthias W. Birkwald ist Linken-Bundestagsabgeordneter und deren rentenpolitischer Sprecher.