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Matthias W. Birkwald

Riestern schließt Rentenlücke nicht

Interview der Woche auf www.linksfraktion.de

23.07.2013

Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über den Flopp der Riester-Rente,Lücken in der Rente und das notwendige Comeback der gesetzlichen Rente



In der vergangenen Woche hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aktuelle Zahlen zur Riester-Rente veröffentlicht. Die Neuabschlüsse sinken, die Zahl der ruhenden Verträge ist gestiegen. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Dass genau das eingetreten ist, was DIE LINKE schon lange vorhergesagt hat: Riester ist ein Flop! Riester funktioniert nicht, weil zum Beispiel drei Viertel der Niedrigverdienenden sich die private Vorsorge einfach nicht leisten können. Sie werden aber durch die Kürzungen der gesetzlichen Rente unverschuldet in die Altersarmut geschickt. Deshalb ist es höchste Zeit, Riester abzubauen und die gesetzliche Rentenversicherung wieder zu stärken. Die bereits bestehenden Riester-Verträge sollen nahezu kostenfrei freiwillig in die sichere gesetzliche Rentenversicherung überführt werden können. Die Deutsche Rentenversicherung Bund gibt übrigens auch für künftige Jahrgänge ihre Rendite mit drei Prozent für Männer und 3,4 Prozent für Frauen an. Das ist in der gegenwärtigen Niedrigzinsphase mehr als gut.

Der Namensgeber der Riester-Rente, Ex-Arbeitsminister Walter Riester (SPD), hat die private Vorsorge daraufhin in einem Interview erneut verteidigt. Es gebe eine Kampagne gegen die Riester-Rente.

Die Bundesregierung aus SPD und Bündnisgrünen hat unter Federführung von Walter Riester die Rente teilprivatisiert. Das war, ist und bleibt unverantwortlich. Aber es ist nachvollziehbar, dass Herr Riester nun mit allen Mitteln versucht, sein ungutes Werk zu verteidigen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die bürokratische und hochkomplizierte Riester-Rente aufgrund von zu hohen Verwaltungskosten, mickrigen Renditen zu Lasten der Versicherungsnehmenden und Leistungen, die die von SPD und Grünen willkürlich gerissenen Löcher in der gesetzlichen Rente niemals werden stopfen können, nichts anderes ist, als ein Goldesel für die Versicherungswirtschaft. Die verdient mit Riester Milliarden. Auch wenn Walter Riester dies runter spielt. Aber dafür hat er ja zahlreiche Vorträge bei Banken und Versicherungen mit immensen Honoraren erhalten.

Riester behauptet, es lohne sich aber auch für Menschen mit geringem Einkommen, eine Riester-Rente abzuschließen. Stimmt das denn nicht?

Was nutzt die Menschen eine angebliche Rendite, wenn sie nicht mal das Geld aufbringen können, um die Versicherungsbeiträge zu zahlen? Und in Zeiten von Erwerbslosigkeit, Niedriglohn, schlecht bezahlter Leiharbeit, Werkverträgen mit Hungerlöhnen und Minijobs ist das nicht von der Hand zu weisen. Im besagten Interview spricht Walter Riester allen Ernstes davon, dass sich auch Hartz IV-Berechtigte "Riestern" leisten können. Wie bitte? Wer von der Hand in den Mund lebt, soll sparen? Wovon denn? Das ist doch völlig realitätsfern! Außerdem: Was kommt denn an Riester-Rente hinten raus, wenn Sie mit fünf Euro im Monat riestern, wie die aktuelle Arbeitsministerin es empfiehlt? Auf diese Frage antwortet mir regelmäßig niemand von den Riesterfreundinnen und -freunden. Kein Wunder: Die Summen werden sehr überschaubar sein und Lücke in der Rente niemals schließen können.

Als Beispiel nannte Walter Riester eine alleinerziehende Mutter in Teilzeit, die mit zwei kleinen Kindern auf eine Zulage von 754 Euro im Jahr komme und dafür aufgrund ihres geringen Verdienstes selbst nur 60 Euro pro Jahr sparen müsse. Ist doch besser als nichts?

Walter Riester lebt offenbar in einem Paralleluniversum, in dem teilzeitarbeitende, alleinerziehende Mütter viel Geld verdienen und im Luxus schwelgen. Damit verschließt er seine Augen aber vor der bitteren Realität. Wie soll denn eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern noch Geld übrig haben? Ein wahrscheinlich mies bezahlter Teilzeitjob, und wenn es schlecht läuft, erhält sie vielleicht nicht einmal Unterhalt für die beiden Kids. Miete, Nebenkosten, notwendige Versicherungen, Kindergarten- und Schulgeld, Kleidung, Lebensmittel. Wir alle wissen, wie hoch die Lebenshaltungskosten sind. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist am Ende des Geldes noch viel zu viel Monat übrig. Und gesagt, was hinten raus kommt, hat er wieder nicht, der Herr Riester. Er weiß, warum.

Was ist der Kardinalfehler der Riester-Rente?

Riestern ist oft nicht besser als das Geld in den Sparstrumpf zu stecken. Das stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in einer Untersuchung fest. Das ist der Kardinalfehler, denn das kann die gesetzliche Rentenversicherung mit ihrem Umlageverfahren deutlich besser. Aber Riester wimmelt nur so von weiteren Fehlern: Riester ist ineffizient – aufgrund der hohen Verwaltungskosten; Riester ist intransparent – weil die hohen Kosten und die schmale Rendite kaum durch die Verbraucherinnen und Verbraucher zu erkennen sind; Riester ist aber auch ineffektiv, weil das Ziel, die Versorgungslücke zu schließen, nicht erreicht wird, und Riester ist sozial ungerecht, weil die staatlichen Subventionen in Milliardenhöhe – weit mehr als 12 Milliarden Euro seit 2002 – nahezu ausschließlich in die Taschen der Versicherungsunternehmen fließen.

Außerdem: Menschen mit geringem Einkommen, geringem Bildungsabschluss oder mit Migrationshintergrund riestern seltener als der Durchschnitt der Bevölkerung, weil sie zum Beispiel das Geld nicht haben, weil die Sprache der Anträge unverständlich und bürokratisch ist und weil das Verfahren viel zu kompliziert ist.

Kein Wunder, dass im ersten Quartal des Jahres 2013 laut dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales 19,5 Prozent der Riester-Verträge ruhend gestellt waren. Für jeden fünften Vertrag werden also keine Beiträge mehr gezahlt und es fließen keine Zulagen mehr. Damit wird die Riester-Rente im Alter mickrig ausfallen. Sie ist und bleibt einfach ein Flop!

DIE LINKE fordert ein Comeback der gesetzlichen Rente. Wie soll das aussehen?

Die gesetzliche Rentenversicherung muss wieder gestärkt werden! Das heißt, wir streiten dafür, das die gesetzliche Rente künftig wieder allein den Lebensstandard sichert. Dazu muss das Rentenniveau vor Steuern wieder auf 53 Prozent angehoben werden, also auf das Niveau, das wir mal hatten, bevor Bundeskanzler Schröder, Joschka Fischer und Walter Riester die gesetzliche Rente rasiert haben. Und eine Solidarische Rentenversicherung muss zuverlässig vor Altersarmut schützen. Deshalb kämpfen wir für die Einführung einer ergänzenden einkommens- und vermögensgeprüften Solidarischen Mindestrente, die aus Steuern finanziert wird. Niemand soll im Alter von weniger als 1050 Euro netto leben müssen. Und wir LINKEN stehen für eine solidarische Finanzierung der Rentenversicherung. Darum wollen wir, dass künftig alle Erwerbstätigen, also auch Beamtinnen und Beamte, Selbständige, Abgeordnete, Minister und Ministerinnen und die Erziehenden, die Pflegenden und die Erwerbslosen in die gesetzliche Solidarische Rentenversicherung einbezogen werden. Das stärkt den Charakter der gesetzlichen Rente als Ersatzleistung für Erwerbseinkommen und zugleich als Solidarsystem.

Die Beitragsbemessungsgrenze muss in einem ersten Schritt drastisch angehoben werden und mittelfristig ganz entfallen. Wer zehntausend Euro Gehalt im Monat hat, soll auch Rentenbeiträge für zehntausend Euro zahlen und nicht nur für 5.800 Euro. Zugleich wird der damit verbundene Anstieg der höchsten Renten abgeflacht. Das stärkt die finanzielle Basis der gesetzlichen Rente. Mit moderat ansteigenden Beitragssätzen ist das alles finanzierbar. Nach uns vorliegenden Berechnungen kämen durchschnittlich Verdienende im Jahr 2030 mit einer wieder den Lebensstandard sichernden gesetzlichen Rentenversicherung sogar 81 Euro im Monat günstiger weg als mit Riester und betrieblicher Altersvorsorge. Die ist nur zusätzlich sinnvoll, aber nicht anstelle der gesetzlichen Rente.

Die anderen Parteien wollen von einer Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung nicht viel wissen...

Nein, leider nicht. Die sind immer noch dem marktradikalen Dogma der niedrigen Lohnnebenkosten erlegen und wollen den Arbeitgebern weiterhin helfen, sich ein Stück aus der Verantwortung für die Alterssicherung zu ziehen. Spätestens wenn die 1964 und später Geborenen wegen des sinkenden Rentenniveaus und der unsäglichen Rente erst ab 67 millionenfach in der Altersarmut landen werden, wird sich das ändern. Damit das nicht passiert, müssen wir aber heute handeln. Wir LINKEN werden bei den Wählerinnen und Wählern und bei den anderen Parteien weiter für eine Stärkung der gesetzlichen Rente werben. Die Gewerkschaften, die Volkssolidarität, der Sozialverband Deutschland, der VdK und viele Andere stehen auch für eine Stärkung der gesetzlichen Rente. Selbst in der CDU hat nun der Fraktionsvorsitzende im nordrhein-westfälischen Landtag, Karl-Josef Laumann, öffentlich eingesehen, das Riester Quatsch ist und die gesetzliche Rente gestärkt werden muss. Das ist doch schon mal ein Anfang. DIE LINKE wird hier weiter Druck machen!

Beamte sollen nach den Vorstellungen der LINKEN auch in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Werden die Beamten das gut finden, wo doch ihre Pensionen höher sind und auch stärker wachsen als die gesetzliche Rente?

Nein, die werden zunächst womöglich nicht so begeistert sein. Auf Dauer werden sie aber feststellen, dass eine Solidarische Rentenversicherung nach LINKER Bauart ihnen mehr an gesetzlicher Rente bringen wird, als sie heute befürchten. Und sie werden mit Blick auf ihre überwiegend nicht verbeamteten Kinder und Enkel feststellen, dass es sehr gut ist, wenn diese später mal eine Rente erhalten werden, die ihren Lebensstandard sichert und zuverlässig vor Altersarmut schützt. Viele Beamtinnen und Beamte aus dem einfachen und mittleren Dienst werden übrigens erfahren, dass die Unterschiede unterm Strich nach Steuern überschaubar sein werden. Eines ist für uns LINKE klar: Die Bruttoeinkommen der Beamten müssen künftig selbstverständlich so gestaltet werden, dass die verbeamteten Kolleginnen und Kollegen auch die Beitragszahlungen an die Solidarische Rentenversicherung ohne Nettoeinkommenseinbußen zahlen können.

Die Legislatur geht zu Ende. Welches Zeugnis stellen Sie dem Deutschen Bundestag beim Thema Rente und Altersvorsorge aus?

Ein schlechtes. Leider. Die Bündnisgrünen sind für die Rente erst ab 67 und sie wollen das Rentenniveau weiter absenken. Das fördert Altersarmut, statt sie zu bekämpfen. Ihr Vorschlag für eine Garantierente liegt netto nur fünfzig Euro über der Grundsicherung im Alter. Und das auch nur für künftige Rentnerinnen und Rentner, die mehr als 30 Versicherungsjahre zusammen bekommen. Die SPD eiert herum, wie nichts Gutes und Peer Steinbrück hat schon zugegeben, dass er die Rente erst ab 67 gar nicht abschaffen will. Hieß es jedenfalls in der Süddeutschen Zeitung am 21. Mai. Und das glaube ich sofort. Wie die SPD das Rentenniveau stabilisieren will, ohne in die Rentenanpassungsformel einzugreifen, bleibt ebenfalls ihr großes Geheimnis. Und beim Thema Rente und Alterssicherung sind CDU/CSU und FDP ein Totalausfall! Die haben nichts hingekriegt. Niente, nada, zero! Von der Bundesregierung und den sie tragenden Fraktionen kam zur Bekämpfung der Altersarmut in den vergangenen fast vier Jahren kein Gesetzentwurf, kein Antrag – rein gar nichts. Nur heiße Luft und Vorschläge, die alle wieder in der Schublade verschwanden. Im Fach "Bekämpfung der Altersarmut" bekommen die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und Schwarz-Gelb also nur ein Armutszeugnis. Setzen! Sechs!

Und darum sage ich: Am 22. September mit beiden Stimmen DIE LINKE wählen ist der beste Weg, sich für eine gute und solidarische Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und Rentenpolitik einzusetzen. Denn die gehören untrennbar zusammen. Gute Arbeit – Gute Löhne – Gute Rente. Dafür steht nur DIE LINKE.

linksfraktion.de, 23. Juli 2013