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Matthias W. Birkwald

Befremden über Merkels Machtwort

Matthias W. Birkwald widerspricht klar: "Wenn man mehr betriebliche Vorsorge haben will, darf man es nicht zulassen, dass die Menschen im Alter 18 Prozent Beiträge abgezogen bekommen."

03.04.2019
Gregor Waschinski

Die Kanzlerin hat eine Entlastung bei den Betriebsrenten abgelehnt. Bei der Handelsblatt-Tagung Betriebliche Altersversorgung erntet sie Unverständnis. 

Angela Merkel versetzte den Hoffnungen von Millionen Betriebsrentnern auf eine Entlastung bei den Krankenkassenbeiträgen Mitte Februar einen Dämpfer. In einer Sitzung ihrer Unionsfraktion machte Merkel damals deutlich: "Das geht nicht."

Die Entlastung sei kostspielig und habe keine Priorität.

Mit dem Machtwort brüskierte sie nicht nur den Koalitionspartner SPD, der sich seit einiger Zeit für ein Ende der sogenannten Doppelverbeitragung starkmacht.

Die Kanzlerin stellte sich auch gegen einen Parteitagsbeschluss der CDU und beerdigte einen gerade vorgelegten Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn, bevor dieser im Kreis der Kabinettskollegen überhaupt richtig diskutiert werden konnte.

Die Autorität der Kanzlerin scheint seit ihrem Abgang als CDU-Chefin allerdings angekratzt.

Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann, der sich für eine Entlastung der Betriebsrentner starkmacht, will die Ansage von Merkel jedenfalls nicht hinnehmen. "Ich habe mich ein bisschen geärgert über die Kanzlerin", sagte Linnemann am Dienstag bei der Jahrestagung Betriebliche Altersversorgung des Handelsblatts. Die CDU habe auf ihrem Parteitag einen "klaren Beschluss" gefasst. "Wenige Monate später wird dieser Beschluss dann vom Tisch gewischt. Das mache ich nicht mit." Die Unionsfraktion wolle schließlich "selbstbewusster" werden.

Linnemann sagte, er sei mit Fraktionschef Ralph Brinkhaus im Kontakt, um das Thema erneut auf die Tagesordnung zu setzen. "Ich werde es bei dem Nein von Angela Merkel nicht belassen."

Der Streit um die Doppelverbeitragung schwelt schon lange. Seit 2004 müssen Rentner auf Bezüge aus der betrieblichen Altersversorgung den Arbeitnehmer- und den Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Krankenversicherung zahlen. Damit sollte damals den in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Krankenkassen geholfen werden. In den Berliner Abgeordnetenbüros stapeln sich die Briefe von empörten Betroffenen. Eine rückwirkende Entschädigung gilt angesichts der geschätzten Kosten von rund 40 Milliarden Euro als unrealistisch.

Doch über die Parteien hinweg ist der Wille groß, zumindest für künftige Betriebsrentner etwas zu tun. Der FDP-Rentenexperte Johannes Vogel kritisierte auf der Handelsblatt-Tagung, dass die bisherige Regelung das Vertrauen in kapitalgedeckte Zusatzrenten untergrabe. Von der Großen Koalition müsse nun das "klare Signal" kommen, "dass die Politik verstanden hat.

Auch der rentenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Matthias W. Birkwald, fordert eine Entlastung: "Wenn man mehr betriebliche Vorsorge haben will, darf man es nicht zulassen, dass die Menschen im Alter 18 Prozent Beiträge abgezogen bekommen."

Spahns Gesetzentwurf sah vor, zum halben Beitragssatz auf Betriebsrenten zurückzukehren. Die Kosten für die Krankenkassen bezifferte der Minister auf rund drei Milliarden Euro jährlich. Davon sollten 2,5 Milliarden durch Steuergeld ausgeglichen werden und der Rest aus dem Gesundheitsfonds kommen, der das Krankenkassengeld verwaltet.

Die Finanzierung einer Entlastung ist in der Koalition umstritten.

Die SPD und ihr Finanzminister Olaf Scholz haben sich gegen eine Steuerfinanzierung ausgesprochen und verweisen auf die hohen Rücklagen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Staatssekretär im SPD-geführten Arbeitsministerium, Rolf Schmachtenberg, erinnerte auf der HandelsblattTagung daran, dass die Krankenkassen seit 2010 durch die Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ein erhebliches Einnahmeplus verbuchen konnten. "Das Geld ist da. Es muss nur freigelegt werden", sagte er zur Gegenfinanzierung einer Entlastung bei den Betriebsrenten.

Linnemann machte deutlich, dass er sich neben einer Halbierung des Beitragssatzes auf Zahlungen aus der betrieblichen Zusatzvorsorge auch andere Entlastungswege vorstellen könne. "Wir erleben ein Akzeptanzproblem. Es muss einfach was passieren", sagte er. Der CDU-Wirtschaftspolitiker nannte die Möglichkeit, die bisher bestehende Freigrenze bei den Betriebsrenten von gut 150 Euro im Monat in einen Freibetrag umzuwandeln.

Ein Freibetrag bleibt immer abgabenfrei, bei einer Freigrenze werden bei Überschreiten auf die gesamte Summe Beiträge fällig. Auch diese Variante hatte das Gesundheitsministerium einmal durchrechnen lassen, der Einnahmeausfall für die Krankenkassen läge hier nur bei 1,1 Milliarden Euro pro Jahr.

Bei der Finanzierung müssten sich "Herr Scholz und Jens Spahn an einen Tisch setzen", sagte er. "Am Ende des Tages zählt der politische Wille."