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Matthias W. Birkwald

Das ist armenfeindlich, rentnerfeindlich und völlig inakzeptabel!

"Zu all diesen Unverschämtheiten der Union haben wir hier Änderungen, Streichungen und Verbesserungen eingebracht. Nehmen Sie diese an!" fordert Matthias W. Birkwald in seiner Rede zur sogenannten "Grundrente" im Plenum des Deutschen Bundestages.

02.07.2020
Redebeitrag von Matthias W. Birkwald (Die Linke) am 02.07.2020 um 12:56 Uhr (170. Sitzung, TOP ZP 11,12)

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Die Kölner Band BAP hatte in den 70er-Jahren einen Song, in dem es hieß: „Besser hätt ich dat jelosse, dann wöhr alles nit passiert.“

Also: Besser hätte ich das gelassen, dann wäre alles nicht passiert.

In den vergangenen 25 Jahren gab es für die unteren 40 Prozent der Einkommensbeziehenden keine nennenswerten realen Lohnerhöhungen, ein großer Niedriglohnsektor wurde aufgebaut und das Rentenniveau von 53 Prozent auf 48 Prozent gekürzt.

Deshalb musste das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung festgestellen, dass Durchschnittsverdienende im Jahr 2000  23,2 Jahre für eine Rente auf dem Grundsicherungsniveau arbeiten mussten und es im Jahr 2018 bereits 27,4 Jahre waren.

Und darum gilt es erstens, die Gewerkschaften zu stärken, die Allgemeinverbindlicherklärung von Löhnen zu erleichtern und jetzt sofort den gesetzlichen Mindestlohn auf mindestens 12 Euro anzuheben.

(Beifall bei der LINKEN)

Und darum gilt es zweitens, das Rentenniveau schrittweise wieder von 48 Prozent auf 53 Prozent anzuheben. Da lag es im Jahr 2000.

Und darum fordert DIE LINKE. drittens, nach österreichischem Vorbild eine echte einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente von derzeit 1 050 Euro netto zuzüglich Wohngeld in Orten mit hohen Mieten einzuführen - mit einem Vermögensfreibetrag von knapp 69 000 Euro, Johannes Vogel, statt der heutigen 5 000 Euro und vor allem mit der Zusicherung, im Alter nicht nach Jahrzehnten aus dem vielleicht vorhandenen eigenen Häuschen geschmissen zu werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das alles wäre ein gutes Konzept gegen Altersarmut.

Es wäre gerecht, bezahlbar und wirkungsvoll! Und es ist dringend notwendig; denn die sogenannte "Grundrente" ist keine. Die gibt es in den Niederlanden, wo alle Alleinstehenden im Rentenalter 1 255 Euro netto erhalten, wenn sie 50 Jahre dort lebten. Das ist Grundrente!

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrter Herr Minister Hubertus Heil, Chapeau, dass Sie Ihre sogenannte "Grundrente" gegen den erbitterten Widerstand des Wirtschaftsflügels der Union in den Bundestag eingebracht haben und heute die abschließende Lesung erfolgt.

Alle Ihre Amtsvorgängerinnen haben sich an der Bekämpfung der Altersarmut in den vergangenen elf Jahren die Zähne ausgebissen. Insofern: Glückwunsch!

1,3 Millionen Friseurinnen, Paketzusteller und hoffentlich auch viele Schauspieler, Künstlerinnen und andere werden nun endlich im Durchschnitt 75 Euro Rente mehr erhalten, viele nur 10 bis 40 Euro, manche aber auch bis zu 405 Euro. Das ist gut.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber es hätten drei Millionen sein können. Das haben CDU und CSU verhindert. Und das ist sehr schlecht!

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Martin Rosemann (SPD) und Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aber es ist gut, dass überwiegend Frauen und besonders Menschen im Osten von der sogenannten Grundrente profitieren werden. Und dafür klatscht auch DIE LINKE.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist ebenfalls gut, dass Sie Freibeträge in der Grundsicherung im Alter und beim Wohngeld für Rentnerinnen und Rentner einführen. Aber es ist schlecht, dass das nur für Rentnerinnen und Rentner mit mehr als 33 Versicherungsjahren gilt.

Die Gewerkschaften und die Sozialverbände laufen dagegen Sturm.

Den Freibetrag für Betriebsrenten und für die Riester-Rente gibt es in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab null Jahren. Das muss auch für die gesetzliche Rente gelten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich fordere Sie auf: Streichen Sie diese Hürde aus dem Gesetz! Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage es so, wie es ist:

Hätten Sie den Referentenentwurf aus dem Arbeitsministerium vom Mai 2019 heute eingebracht, hätte DIE LINKE zugestimmt - trotz einiger Kritik.

Dem heutigen Gesetzentwurf können wir nicht zustimmen; denn die Union hat aus einem ersten sehr guten Gesetzentwurf nach einem Jahr Sperrfeuer und übelster Blockade ein bürokratisches Monstrum gemacht.

Die Union hat die Hürden für die Kassiererin unerträglich hochgeschraubt.

Die Union hat die vorgesehenen Leistungen gekürzt und bessere Renten bei Kurzarbeit und bei Arbeitslosigkeit wieder aus dem Gesetz gestrichen.

Bei CDU und CSU heißen die Fraktionsvorsitzenden offenbar soziale Kälte und sozialer Geiz statt Brinkhaus und Dobrindt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Union hat dafür gesorgt, dass die Folgen viel zu niedriger Löhne nicht bekämpft werden, sondern dass diese weiter direkt in die Altersarmut führen.

Das ist armenfeindlich, rentnerfeindlich und völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wird viele Rentnerinnen und Rentner frustrieren. Sie werden frustriert sein, weil ihnen der Titel „Grundrente“ etwas Falsches verspricht.

Viele werden frustriert sein, weil sie die 33 Beitragsjahre nicht schaffen, zum Beispiel wegen eines Jahres Arbeitslosigkeit.

Viele werden frustriert sein, wenn sie 30 Jahre sehr wenig verdient haben, aber fünf Jahre lang vielleicht nur weniger als 30 Prozent des Durchschnittslohnes.

Auf Druck der Union erfolgt der Zuschlag nämlich erst für Monatslöhne ab 1 014 Euro. Ausgerechnet für Menschen mit 700, 800 oder 900 Euro Monatslohn soll Ihre sogenannte "Grundrente" keinen Cent Zuschlag bringen? Das ist vollkommen inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hinzu kommt: Viele Menschen werden frustriert sein, wenn sie an ihrem Rentenbescheid sehen, dass der versprochene Zuschlag erst gewährt und dann völlig willkürlich um 12,5 Prozent gekürzt wird.

Das trifft diejenigen mit den kleinen Renten besonders hart. Und die Union schwadroniert hier vom Äquivalenzprinzip. Dabei geht es hier um die Anerkennung von Lebensleistung und einen Beitrag gegen Altersarmut.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich fordere Sie auf: Streichen Sie die willkürliche Verkürzung um 12,5 Prozent!

Viele Betroffene werden frustriert sein, wenn ihnen der Zuschlag in einem Jahr zusteht und im nächsten Jahr nicht zusteht, weil vielleicht ein Ehepartner einen Minijob annimmt und das Paar dann über die Einkommensprüfung stolpert. Eine haarsträubend komplizierte Einkommensprüfung bei einer durchschnittlichen Leistung von 75 Euro ist beschämend. Streichen Sie die Einkommensprüfung!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zu all diesen Unverschämtheiten der Union haben wir hier Änderungen, Streichungen und Verbesserungen eingebracht. Nehmen Sie diese an!

Dann würden auch Zeiten des Mutterschutzes, Zurechnungszeiten bei Erwerbsminderung und Zeiten der Arbeitslosigkeit berücksichtigt. Dann würden 25 Jahre statt 33 Jahre als Voraussetzung reichen, und es gäbe den Zuschlag nicht nur für 35 Jahre, sondern auch für 40 oder 45 Jahre.

Dann würde aus einem schlechten Grundrentengesetz wieder ein guter Rentenzuschlag für Niedrigverdienende, und dann würde auch DIE LINKE zustimmen. So werden wir uns enthalten müssen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)