Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr verehrter Herr Bundesminister Heil, lieber Hubertus, Sie haben eben gesagt, dass Sie bereit sind, bei den Verbesserungen darüber zu diskutieren, ob sie reichen oder ob sie nicht reichen. In Ihrem Rentenpaket I haben Sie nunmehr vor, Erwerbsminderungsrentnerinnen und ‑rentnern, also Menschen, die wegen chronischer Krankheiten nicht arbeiten können, höhere Erwerbsminderungsrenten in Form eines Zuschlages zu gewähren. Das ist notwendig, weil SPD und Grüne im Jahr 2001 eine Rentenreform gemacht haben, die dafür gesorgt hat, dass chronisch kranke Menschen deutlich niedrigere Ansprüche haben.
Nun haben Sie einen Zuschlag von 7,5 Prozent bzw. 4,5 Prozent vorgeschlagen für alle, die zwischen 2001 und 2018 in Rente gehen mussten. Ich frage Sie: Wie begründet bzw. wie berechnet sich der Ausgabendeckel von 2,6 Milliarden Euro für diese viel zu niedrigen Zuschläge? Zudem erwecken Sie den Eindruck, dass diese jahrelang vergessene Gruppe mit einer sehr hohen Armutsgefährdung und – so traurig das ist – einer sehr kurzen Lebenserwartung hinsichtlich der Leistungsverbesserung gleichgestellt würde. Sie wollen sie aber bis 2024 im Regen stehen lassen. Warum 2024? Und vor allen Dingen: Wie berechnet sich der Zuschlag?
Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Sehr geehrter Abgeordneter Birkwald, ich habe Ihrer Rede zur ersten Lesung sehr aufmerksam gelauscht. Ich finde es schade, dass Sie den positiven Teil aufgrund der Kürze der Zeit heute weglassen mussten; denn wir sind uns im Kern einig, dass diese längst überfällige Verbesserung der Leistungen für Erwerbsgeminderte im Bestand etwas ist, das Fortschritt im Lebensalter von Menschen bedeuten wird.
Sie haben die Punkte angesprochen, die im parlamentarischen Verfahren diskutiert werden. Da geht es um die Frage: Wann kann das technisch umgesetzt werden, zu welchem Zeitpunkt? Die zweite ist: Wie ist die Höhe? Da kann ich dem Bundestag nicht vorgreifen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die Begründung der Bundesregierung können Sie der Begründung des Gesetzestextes sehr wohl entnehmen. Das parlamentarische Verfahren läuft; ich hoffe, es wird bald abgeschlossen. Wie immer das ausgeht: Das wird der Bundestag entscheiden. Ich glaube, es gibt am Montag der nächsten Sitzungswoche, der Haushaltswoche, dazu eine Anhörung Ihres Ausschusses. Ich gehe davon aus, dass wir dann schnell eine Einigung herbeiführen werden.
Ich will an dieser Stelle sagen: Im Grundsatz, Herr Birkwald – über die Höhe kann man immer streiten; dass Sie immer mehr wollen als andere Parteien, ist hinlänglich bekannt, das ist klar: noch einen druff –, ist das ein Riesenfortschritt für 3 Millionen Menschen in Deutschland, die endlich, nach einem Leben von Arbeit, das unterbrochen wurde durch Krankheit, durch Unfälle oder weil man eine Behinderung bekommen hat, tatsächlich bessergestellt werden. Das ist, glaube ich, ein großer sozialer Fortschritt – das hatten Sie ja auch in der letzten Rede gesagt –, bei allen Wünschen, die Sie eben noch einmal unterstrichen haben.
(Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau:
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage, die dann aber so kurz ist, wie wir uns das vorgenommen haben.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Hubertus Heil Bundesminister für Arbeit und Soziales Bundesminister für Arbeit und Soziales
Dann kommt wieder nur der negative Teil; schade eigentlich.
Matthias W. Birkwald DIE LINKE
Herr Minister, bei 886 Euro Durchschnittserwerbsminderungsrente sind die Zuschläge von 66 oder 40 Euro wirklich zu wenig. Deswegen frage ich Sie noch einmal: Werden Sie dem Hohen Hause eine transparente und fachlich nachvollziehbare Vergleichsberechnung für die Zuschläge, die auf 2,6 Milliarden Euro Finanzvolumen begrenzt sind, vorlegen? Falls ja, wann wird das der Fall sein, und, falls nein, warum nicht?
Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Herr Birkwald, da muss ich das Prinzip deutlich machen, für das ich kämpfe. Ich kämpfe für jeden sozialen Fortschritt. Aber bevor ich keinen bekomme, hole ich raus, was ich rausholen kann. Deshalb: Es gibt ein laufendes Verfahren. Wir haben unseren Gesetzentwurf, glaube ich, gut begründet. Es liegt jetzt in der Hand des Deutschen Bundestages, und ich hoffe, dass zeitnah entschieden wird. Das ist auch notwendig, weil in dem Rentenpaket die Rentenerhöhung von 5,3 Prozent im Westen und 6,1 Prozent im Osten, die zum 1. Juli kommen soll, enthalten ist, weil systemische Fragen und die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente enthalten sind. Das ist meine Antwort.
Wenn Sie es ehrlich betrachten: Wir haben jahrelang in diesem Parlament die Debatte über dieses Thema gemeinsam gefordert. Auch Sie sind überrascht, dass diese Koalition es als eines der ersten Pakete angeht. Das ist auch gut so. Der Bundestag wird darüber entscheiden.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Kai Whittaker.
Kai Whittaker CDU/CSU:
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Bundesminister, ich möchte anknüpfen an das, was der Kollege Birkwald gesagt hat. Sie schlagen jetzt einen Zuschlag von 4,5 Prozent bzw. von 7, 5 Prozent vor. Das entspricht ungefähr der Hälfte dessen, was eigentlich gemacht werden müsste, um den vollen Ausgleich zu erreichen. Deshalb frage ich Sie, warum Sie nur die Hälfte ausgleichen wollen und warum Sie nicht wenigstens dazu bereit sind, beim Übergang in die reguläre Altersrente jeden Rentenbescheid noch einmal anzufassen, um die Differenz voll auszugleichen. Zudem stelle ich die Frage, warum Sie nicht auch die Erwerbsminderungsrentner, die vor 2001 in die Erwerbsminderungsrente gegangen sind, berücksichtigen. Sie haben zwar keine Abschläge hinnehmen müssen, aber Sie haben ein geringeres Bezugsalter gehabt, nämlich 55 Jahre statt des aktuellen regulären Renteneintrittsalters. In Summe frage ich mich, warum Sie für die Schwächsten unserer Gesellschaft keinen Extrasteuerzuschuss machen, sondern das auf dem Rücken der Beitragszahler finanzieren.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist nicht auf dem Rücken der Beitragszahler! Das ist systemkonform!)
Hubertus Heil Bundesminister für Arbeit und Soziales Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Herr Kollege Whittaker, Ihr Engagement für Steuerzuschläge hätte ich mir bei der Verbesserung der Mütterrente das letzte Mal sehr gewünscht; das will ich sagen.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Aber es ist ein Fortschritt, dass wir endlich etwas hinbekommen, was mit Ihrer Partei in der letzten Legislaturperiode längst noch nicht möglich war. Wir haben damals – ich kann mich an die Koalitionsverhandlungen erinnern – gesagt: Wir müssen im Bestand der Erwerbsgeminderten etwas tun. – Das hat Ihre Partei abgelehnt. Jetzt haben Sie dazugelernt. Wir machen das jetzt, und jetzt wollen Sie mehr machen. Mehr geht immer. Aber ich bin der festen Überzeugung: Man muss immer für viel kämpfen, man muss den Menschen aber auch sagen, was man an dieser Stelle erreichen kann. Was an dieser Stelle nicht geht, ist, dass Sie sagen: Das darf nicht aus Beiträgen sein, das darf aber auch nicht aus Steuern sein. Dann wollen Sie Steuern senken, dann sollen keine Schulden gemacht werden. – Ich sage noch einmal: Das, was wir machen – und das sollten Sie nicht kleinreden –, hilft Menschen, die es schwer haben im Bestand.
Die Frage zu den Erwerbsminderungsrenten bei einem Eintritt vor 2001 haben Sie selbst beantwortet: Das ist eine andere Systematik gewesen. Aber Sie können nicht verkennen, dass das ein großer sozialer Fortschritt für 3 Millionen Menschen ist. Der ist überfällig. Meine Bitte ist – Sie können immer mehr fordern; das darf eine Opposition –: Wenn Sie jemals wieder regieren sollten, dann machen Sie es bitte nicht wieder andersrum; das habe ich letztes Mal erlebt. Ich bin froh, dass hier mehr Fortschritt möglich ist, als das mit Ihnen möglich war.
(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)
Ich kann mich noch an die Nachtsitzung zur Grundrente erinnern. Da haben Sie alles versucht kleinzuhäckseln.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Herr Bundesminister, das müssen Sie jetzt verschieben. Wir sind in der Regierungsbefragung.
Hubertus Heil Bundesminister für Arbeit und Soziales Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Ich schaue auch nach vorne, versprochen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Die letzte Nachfrage stellt der Kollege Pascal Meiser.
Pascal Meiser DIE LINKE
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister Heil, wir wissen es sehr wohl zu würdigen, wenn Sie unsere langjährigen Forderungen umsetzen, vor allem, wenn Sie sie komplett und konsequent umsetzen. Aber dann müssen Sie uns natürlich auch zubilligen, dass wir dort, wo noch Leerstellen sind, auch weiterhin darauf hinweisen, –
Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Absolut.
Pascal Meiser (DIE LINKE):
– damit Sie auch dort unseren Vorschlägen folgen können und das dann auch korrekt umsetzen können.
Deswegen möchte ich auf das eingehen, was Sie in Ihrer Antwort auf Herrn Birkwald schon gesagt haben. Sie haben gesagt, dass nach Ihrer Einschätzung diese Zuschläge, die für diese spezielle Gruppe der Erwerbsminderungsrentner jetzt kommen sollen, was wir im Grunde begrüßen, auch wenn wir sie für zu niedrig halten, wohl erst 2024 kommen können, weil es technisch nicht anders möglich ist. Das mag so sein. Aber wenn im Gesetzgebungsverfahren, auf das Sie verwiesen haben, daran nichts mehr geändert wird, ist es aus Ihrer Sicht dann nicht notwendig, dass für die Jahre 2022 und 2023, so wie DGB, Sozialverbände und wir Linke das fordern, eine Einmalzahlung erfolgt? Denn für die Probleme bei der organisatorischen Umsetzung können die Betroffenen nichts. Wäre es nicht gut, wenn da mit einer Einmalzahlung für einen Ausgleich gesorgt würde?
Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Herr Meiser, so sympathisch ich Ihre Forderung finde und so gut ich es finde, dass jetzt auch der Kollege Whittaker der Meinung ist, dass wir das längst hätten machen sollen, ich sage Ihnen trotzdem: Ich will keinem Menschen etwas versprechen, was man nicht halten kann; das führt nur zu bitteren Enttäuschungen. Ja, ich hätte mir gewünscht, dass wir das schon vor vielen Jahren gemacht hätten. Ja, ich wünschte, wir könnten jetzt sagen: Das kommt im nächsten Monat. – Ich kann es nur nicht versprechen, weil ich es persönlich nicht für realistisch halte.
Was im parlamentarischen Verfahren diskutiert wird, ist möglicherweise die Frage des Inkrafttretens. Das überlasse ich diesem Bundestag, weil ich es ihm überlassen muss. Ich habe dazu eine Meinung. Natürlich wünsche auch ich mir immer mehr und schneller; aber wichtig ist, was ich vorhin gesagt habe, dass es kommt. Deshalb werbe ich dafür, dass dieser Bundestag das zügig beschließt.
Noch einmal: Wir kämpfen an dieser Stelle für sozialen Fortschritt, für Verbesserungen, die den Menschen helfen. Mehr ist immer wünschenswert; aber man sollte nie Dinge versprechen, die man nicht halten kann. Deshalb bitte ich, meine Zurückhaltung zu verstehen. Ich vertrete hier den Kabinettsbeschluss. Der ist natürlich das Ergebnis von Ressortabstimmungen. Ich habe eine persönliche Meinung; aber als Mitglied der Bundesregierung werde ich versuchen, in meinem Bereich, wo immer es geht, nicht Dinge zu versprechen, von denen ich jetzt schon weiß: Die gehen nicht.
Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass es nächsten Monat etwas gibt, dass es zwischendurch etwas gibt. Je früher, desto besser, gar keine Frage. Aber der Gesetzentwurf ist, glaube ich, so vorbereitet, dass es eine realistische Erwartung gibt, wann Menschen wirklich damit zu rechnen haben. Er ist sowohl in finanzieller Hinsicht realistisch, weil es für die Rentenversicherung finanziell darstellbar ist, als auch in organisatorischer Hinsicht. Das wird, glaube ich, oft unterschätzt: Gut gemeint ist nicht schnell umgesetzt. – Wir müssen bei der Gesetzgebung, glaube ich, in Zukunft viel stärker auch an die administrative Umsetzung denken. In der Krise haben wir ja erlebt, wo das funktioniert hat und wo nicht. Das ist meine Amtsverantwortung. Deshalb werde ich nicht immer allen alles versprechen, nur weil sich das gut anhört. Das ist vielleicht eine Nuance, aber deshalb ist man in der Regierung: Damit man das macht, was man kann.
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