Einer meiner Mitarbeiter pflegte sie oft „Klassenfahrten für Erwachsene“ zu nennen: Die sogenannten „Wahlkreisfahrten“ oder ganz präzise, die politischen Informationsfahrten, bei denen Gruppen von bis zu 50 Bürgerinnen und Bürgern von freien Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern des Bundespresseamts und der oder dem einladenden Bundestagsabgeordneten an vier Tagen das politische Berlin kennenlernen. Diesmal traf die Metapher noch mehr zu als sonst, denn mehr als die Hälfte der Mitreisenden stellten Mitglieder meines Abiturjahrgangs 1981 des Gymnasiums Erftstadt-Lechenich. Da man sich oft nur in Ein- oder Mehrjahresabständen sieht und da beileibe nicht alle meine Jahrgangsschulkameradinnen und -kameraden Die Linke wählen, freute mich der rege Zuspruch besonders.
Die mir bekannten Gesichter, aber auch die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartete ein in mehrfacher Hinsicht besonderes Programm. Nach Anreise, Einchecken und einem sehr geschmackvollen (aber auch scharfen!) sri lankischen Abendessen am Sonntag folgte am Montag nach einer informativen Stadtrundfahrt eine erste Begegnung mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in Gestalt eines Informationsgesprächs einer Refereratsleiterin, das über die Arbeitsweise der Bundesregierung im Allgemeinen und die Arbeit und Struktur des BMAS konkreter aufklärte. Darauf folgte eine Führung im Humboldt-Forum. Eine Teilgruppe berichtete nahezu überschwänglich von der Führung, die ungeschminkt und kritisch auch über Hintergründe zum Abriss des Palasts der Republik aufklärte, der zuvor den gleichen Platz auf der Berliner Museumsinsel belegte.
Auf den zweiten Teil der Stadtrundfahrt folgte am Dienstag der Besuch des Deutschen Bundestages. Selten dürfte eine meiner Besuchergruppen ein so glückliches Timing erfahren haben. Die Gruppe erwischte nämlich für ihren Einzug auf der Besuchertribüne exakt den aus meiner Sicht lohnendsten Zeitabschnitt der letzten Plenardebatte des 20. Deutschen Bundestags. Bereits den zweiten Beitrag lieferte meine geschätzte Gruppenvorsitzende Heidi Reichinnek mit einem flammenden Plädoyer für linke Antworten auf die politisch-gesellschaftlichen Schieflagen, gefolgt von Dr. Sahra Wagenknecht vom BSW und zahlreichen fraktionslosen MdB. Zu hören gab es auch mehrere Abschiedsreden von Kolleginnen und Kollegen, die - wie ich - nicht mehr für den nächsten Bundestag kandidieren, darunter der sehr von mir geschätzte Axel Schäfer, mein langjähriger Vorsitzender der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas beendete die Sitzung mit einem Aufruf an alle Bürgerinnen und Bürger, sie mögen sich zahlreich an der anstehenden Bundestagswahl beteiligen. Diesem Aufruf zollte ich als einziger Abgeordneter Beifall, wie man dem amtlichen Plenarprotokoll dieser Sitzung entnehmen kann.
Auf die Plenardebatte folgte die zweite Begegnung der Gruppe mit dem Hause Hubertus Heils. Es war mir gelungen, den von mir hoch geschätzten beamteten Staatssekretär Dr. Rolf Schmachtenberg aus dem Ministerium für Arbeit und Soziales dafür zu gewinnen, an einem Gespräch mit meiner letzten Besuchergruppe teilzunehmen. So wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur über die Arbeit des Bundestagsabgeordneten am Beispiel einer typischen Sitzungswoche, sondern auch über das Wirken des aus meiner Sicht wichtigsten Ministeriums informiert. Ich danke Dr. Schmachtenberg sehr für seine freundlichen und klugen Ausführungen.
Den inhaltlichen Schlusspunkt der Informationsfahrt bildete eine Führung im Museum Berlin-Karlshorst, jenem Ort, an dem in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 die Spitzen der Wehrmacht die Erklärung zur deutschen Kapitulation unterzeichneten, die den Zweiten Weltkrieg auf europäischem Boden beendete. Den Rückmeldungen zufolge sind Museum und Führung als Ort historisch-politischer Bildung dringend weiterzuempfehlen. In Zusammensetzung und Inhalt war dies eine äußerst gelungene Veranstaltung und ein guter Abschluss für die vielen, vielen Fahrten dieser Art, die meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Jahre so kompetent organisiert haben. Ihnen gilt mein besonderer Dank, und selbstverständlich allen Menschen, die meinen Einladungen nach Berlin gefolgt sind. Allen künftigen Abgeordneten ist zu wünschen, dass möglichst viele Menschen dieses Angebot in Anspruch nehmen mögen.
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