Rede von Matthias W. Birkwald, MdB (DIE LINKE.)
a) zur Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung „Lebenslagen in Deutschland – Vierter Armuts- und Reichtumsbericht“ (BT-Drs. 17/12650)
b) zur Beratung des Antrags der Fraktion der SPD „Die notwendigen politischen Konsequenzen aus der Armuts- und Reichtumsberichterstattung ziehen“ (BT-Drs. 17/13102)
c) zur Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die GA der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN „Der 4. Armuts- und Reichtumsbericht“ (BT-Drs. 17/11900, 17/12837)
am 26.April 2013 im Plenum des Deutschen Bundestags
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin von der Leyen! Gestern Abend lief im ZDF die Komödie Vorzimmer zur Hölle 3, in der Primetime.
(Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Was gucken Sie denn?)
Eine der Hauptrollen spielte Eleonore Weisgerber. Die Schauspielerin ist 65 Jahre alt und hat jetzt Einspruch gegen ihren Rentenbescheid eingelegt. Sie ist sehr enttäuscht und sagt: „887 Euro, und das nach 45 Jahren Arbeit.“ Sie fühlt sich hintergangen und will darum bis zum Bundesverfassungsgericht gehen. Ich weiß nicht, ob sie das schaffen wird, aber ich kann ihre maßlose Enttäuschung sehr gut verstehen. Ich wünsche ihr viel Erfolg bei ihrem Kampf für eine armutsfreie Rente.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Frau Weisgerber sagte der Deutschen Presse-Agentur ‑ ich zitiere ‑: „Wir werden bald ein Heer von verarmten Schauspielern über 65 haben.“ Das gilt leider auch für Langzeiterwerbslose und für Kellnerinnen, Friseurinnen, Wachleute, Gebäudereiniger, Taxifahrer, Callcenter-Agents, Schneiderinnen, Zimmermädchen und viele andere Menschen. Sie alle arbeiten für Niedriglöhne.
Im Jahr 2010 mussten knapp 4 Millionen Menschen in Deutschland für einen Bruttostundenlohn unter 7 Euro schuften. Das war im ersten Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts noch wortwörtlich so zu lesen. Das haben Sie zensiert, Herr Rösler. Im Brüderle-Sprech könnte man sagen: „Wer hat‘s gestrichen? Die FDP hat‘s gestrichen!“
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ‑ Pascal Kober (FDP): Das stimmt doch gar nicht! Das steht doch nach wie vor drin!)
Die Meinungsfreiheit der Sozialministerin war den Liberalen schon zu viel. Das ist unglaublich, aber wahr.
7 Euro und weniger, das sind Armutslöhne; davon kann niemand leben. Selbst bei Vollzeitarbeit sind Alleinstehende in diesen Jobs schon heute arm; das gilt erst recht später für die Rente.
Schauen Sie doch einmal in Ihren eigenen Armuts- und Reichtumsbericht hinein, Frau Ministerin. Unter Kanzlerin Merkel stieg das Armutsrisiko von Rentnerinnen und Rentnern von 12,2 auf 14,9 Prozent. Das Armutsrisiko von allen Menschen in Deutschland stieg von 14 auf gut 15 Prozent. Das alles steht in Ihrem Bericht auf den Seiten 303 und 304.
(Mechthild Rawert (SPD): Lesen bildet!)
Das heißt, 2011 gab es in Deutschland 12,6 Millionen arme Kinder, Männer und Frauen, gut 2,5 Millionen mehr als beim Amtsantritt der Bundeskanzlerin im Jahr 2005. Heute ‑ das gehört zur Wahrheit dazu, Frau Ministerin ‑ leben 2,5 Millionen Kinder in Deutschland in Armut. Ich sage: Das ist beschämend.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Gleichzeitig sind die Vermögen in Deutschland extrem ungerecht und ungleich verteilt. Laut Armuts- und Reichtumsbericht hat jeder Haushalt in der Bundesrepublik ein Nettovermögen von 118 000 Euro. Sie haben die nicht? Ja, es ist ja auch ein Durchschnittswert. Im Armuts- und Reichtumsbericht heißt es vollkommen zutreffend ‑ Zitat ‑:
Hinter diesen Durchschnittswerten steht eine sehr ungleiche Verteilung der Privatvermögen.
Wohl wahr: zum Beispiel 132 000 Euro im Westen und 55 000 Euro im Osten. Aber auch die werden sehr viele Menschen nicht haben. Vor allem Haushalte von Erwerbslosen, Migrantinnen und Migranten, Menschen mit niedrigen Löhnen und andere haben wenig oder gar kein Vermögen. Die obersten 10 Prozent der Bevölkerung verfügen über mehr als die Hälfte aller Vermögen, die untere Hälfte besitzt fast gar nichts. Diese Spaltung ist völlig inakzeptabel.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Reichtum ist teilbar. Darum will die LINKE gemeinsam mit Gewerkschaften, Sozialverbänden, Attac und vielen anderen „umfairteilen“ und Reichtum besteuern. Wir wollen mit Steuern umsteuern und eine Vermögensteuer für Millionärinnen und Millionäre einführen.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD))
Wer ein Privatvermögen von 2 Millionen Euro hat, soll 50 000 Euro abgeben. Das ist doch nicht zu viel verlangt.
Wir fordern eine einmalige Vermögensabgabe mit einem Freibetrag in Höhe von 1 Million Euro. Große Erbschaften sollen groß besteuert werden; das selbstbewohnte Haus bleibt selbstverständlich steuerfrei.
Wir brauchen eine Bundesfinanzpolizei; denn die systematische Steuerhinterziehung à la Hoeneß, Zumwinkel oder Nadja Auermann muss unbedingt ein Ende haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um Armut wirksam zu bekämpfen, schlagen wir LINKEN unter anderem vor, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, der vor Altersarmut schützen soll und darum nicht unter 10 Euro liegen darf.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch wenn Sie sich jetzt wieder alle furchtbar aufregen werden: Wir wollen ein Verbot der Leiharbeit,
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
den Sozialversicherungsschutz für Minijobs, endlich eine gebührenfreie Kinderbetreuung für Familien und Alleinerziehende, eine Kindergrundsicherung, länger ausgezahltes und höheres Arbeitslosengeld I, den Hartz-IV-Regelsatz sofort auf mindestens 500 Euro anheben und eine sanktionsfreie Mindestsicherung anstelle von Hartz IV einführen.
Gegen Altersarmut helfen: gute Löhne, ein Rentenniveau, wie wir es im Jahr 2000 einmal hatten und eine einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente von zunächst 900 Euro und dann 1 050 Euro.
(Beifall bei der LINKEN)
Armut bekämpfen und Reichtum begrenzen: Das ist der richtige Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
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