Rede von Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.) zur ersten Beratung der Anträge der Fraktion DIE LINKE.
1. Wiederherstellung eines Lebensstandard sichernden und strukturell armutsfesten Rentenniveaus“
2. Renten erst ab 67 sofort vollständig zurücknehmen
3. Risiko der Erwerbsminderung besser absichern
4. Rentenbeiträge für Langzeiterwerbslose wieder einführen
5. Kindererziehung in der Rente besser berücksichtigen
6. Renten nach Mindestentgeltpunkten entfristen
7. Angleichung der Renten in Ostdeutschland auf das Westniveau bis 2016 umsetzen
8. Eine solidarische Rentenversicherung für alle Erwerbstätigen
9. Altersarmut wirksam bekämpfen – Solidarische Mindestrente einführen
am 18.10.2012 im Deutschen Bundestag
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum legt Ihnen die Linke neun einzelne Anträge vor? Nun, die Linke will konkrete und schnelle Verbesserungen – am besten natürlich in Form des gesamten linken Rentenkonzepts, das wir hier bereits im März debattiert haben. Wir wissen aber, dass das hier im Parlament noch nicht mehrheitsfähig ist.
In einzelnen Punkten gibt es jedoch Übereinstimmungen. Uns geht es hier um konkrete einzelne Schritte im Kampf gegen Altersarmut und für eine gute Rente.
(Beifall bei der LINKEN)
In der Rentenpolitik muss sich etwas bewegen, und darum fordere ich Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen: Verweigern Sie sich nicht. Machen Sie mit. Legen Sie Ihre parteipolitischen Scheuklappen ab, und unterstützen Sie die Forderungen, die Sie selbst für richtig halten.
(Beifall bei der LINKEN)
Da komme ich direkt zur CDU/CSU. Jüngst war im Handelsblatt zu lesen, dass Sie, Herr Kollege Weiß, und Karl-Josef Laumann von der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft
(Zuruf von der CDU/CSU: Gute Männer!)
– wie im Übrigen auch die SPD – fordern, die Rente nach Mindestentgeltpunkten für Zeiten nach 1992 fortzuführen. Das ist eine gute Idee, weil lange Jahre zu niedriger Löhne in der Rente deutlich besser bewertet würden. Darüber hinaus käme diese Rentenform besonders Frauen zugute. Verzichten Sie auf die Einkommensanrechnung, und stimmen Sie unserem Vorschlag zu. Dann sind wir an dieser Stelle auf einem guten Weg für Menschen mit niedrigen Löhnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Frauen in der Union fordern ähnlich wie wir, dass allen Müttern und Vätern für jedes Kind bei der Rentenberechnung drei Jahre Kindererziehungszeiten gutgeschrieben werden. Sie fordern das allerdings nur im Hinblick auf diejenigen, die in Zukunft in Rente gehen werden. Wir sagen: Es muss gelten, dass jedes Kind dem Staat und der Gesellschaft gleich viel wert ist, und deshalb müssen wir diejenigen Mütter und Väter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, gleichstellen. Es ist nämlich überhaupt nicht einzusehen, dass es für diese Kinder nur 74 bis 84 Euro mehr Rente gibt und für Kinder, die bis 1991 geboren wurden, nur 25 bis 28 Euro mehr. Damit wir diese Gleichstellung zustande bringen, sollten Sie auch diesem Vorschlag der Linken zustimmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ja, es ist richtig: Man muss darüber reden, dass es Armut trotz Erwerbsarbeit gibt. Wir brauchen am Arbeitsmarkt gute Tariflöhne. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn. Zwei Drittel der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter erhalten, wie wir diese Woche gehört haben, Niedriglöhne. Deswegen müssen wir die Leiharbeit regulieren. Wir würden sie am liebsten verbieten. Ich könnte noch vieles mehr nennen.
Trotz der Tatsache, dass es gute Erwerbsarbeit gibt, haben wir das Problem der Altersarmut. Deswegen müssen wir an die Gründe dafür herangehen. Einer der Hauptgründe ist das weiter absinkende Rentenniveau. Das ist ein wesentlicher Risikofaktor für Altersarmut. Das darf auf gar keinen Fall so bleiben. Das muss geändert werden. Die Rente muss wieder den Lebensstandard sichern.
(Beifall bei der LINKEN)
Damit das geschieht, muss das Rentenniveau auf 53 Prozent angehoben werden. Durchschnittlich verdienende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hätten rund 160 Euro Rente verloren, wenn das Rentenniveau heute nur noch bei 43 Prozent läge. Das ist doch ein Skandal!
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, manche von Ihnen wollen aus guten Gründen ebenfalls das Rentenniveau anheben oder zumindest beibehalten. Darum bitte ich Sie: Ordnen Sie Ihre rentenpolitische Vernunft nicht leichtsinnig dem Vizekanzlerkandidatenkonzept Ihrer Partei unter und unterstützen Sie diesen Antrag, der Millionen von hart arbeitenden Männern und Frauen zugutekäme.
(Beifall bei der LINKEN)
Weitere rentenpolitische Kürzungsmaßnahmen forcieren das Problem der Altersarmut, zum Beispiel die Rente erst ab 67. Deswegen muss sie abgeschafft werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Bei der Erwerbsminderungsrente sind Abschläge systemfremd. Wer krank ist, hat keine Wahl. Darum müssen die Abschläge aus der Erwerbsminderungsrente heraus.
(Beifall bei der LINKEN)
Hinein in die Rente müssen aber unbedingt wieder die Rentenbeiträge für Langzeitarbeitslose, die von dieser Regierung auf null gesetzt worden sind. Hartz-IV-Betroffene dürfen nicht unter die Räder geraten. Deswegen brauchen wir anständige Rentenbeiträge für Langzeitarbeitslose.
(Beifall bei der LINKEN)
Insgesamt ist es wichtig, dass alle Erwerbstätigen in die Rentenversicherung einbezogen werden, also auch Selbstständige, Beamtinnen und Beamte und vor allen Dingen Abgeordnete, Ministerinnen und Minister, Staatssekretärinnen und Staatssekretäre.
(Manfred Grund (CDU/CSU): Das hilft der Rentenkasse ungemein!)
Alle Erwerbstätigen sollen in die Rentenversicherung einzahlen, und zwar entsprechend der Löhne und Gehälter, die sie beziehen. Wer ein Gehalt von 10 000 Euro im Monat hat, soll auch für 10 000 Euro Rentenversicherungsbeiträge zahlen und nicht nur für 5 600 Euro.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein ganz wichtiger Punkt: 22 Jahre nach der Einheit muss endlich Schluss sein mit der erbärmlichen Sankt-Nimmerleins-Tag-Politik. Union und FDP und die Kanzlerin persönlich haben ihre Wählerinnen und Wähler belogen. Rentnerinnen und Rentner im Osten, die durchschnittlich verdienende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren, erhalten immer noch durchschnittlich 142 Euro weniger Rente im Monat. Es muss aber gelten: Gleiche Rente für gleiche Lebensleistung. Deswegen müssen wir jetzt angleichen und die Sache bis 2016 abschließen.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Wir haben schon heute Altersarmut. 436 000 Menschen befinden sich in der Grundsicherung im Alter. Rechnet man die Dunkelziffer hinzu, stellt man fest, dass es um weit über 1 Million Menschen geht. Deswegen brauchen wir schon heute eine solidarische Mindestrente in Form eines einkommens- und vermögensgeprüften steuerfinanzierten Zuschlags. Denn es muss gelten: Niemand soll im Alter in Armut leben müssen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Nachfolgenden noch eine Zwischenfrage, die ich im Laufe der Debatte an den Abgeordneten Weiß (CDU/CSU) gestellt haben.
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